Julian Nagelsmann wird der Nachfolger von Hansi Flick. Der Deutsche Fußballbund hat den neuen Bundestrainer der Nationalelf bestätigt. Bis zur Heim-EM 2024 gilt es die Mannschaft wieder auf Vordermann zu bringen.22.09.2023 | 3:30 min
Wenn die Fotografen bereits in den Morgenstunden neben dem Parkdeck zum Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Frankfurter Stadtteil Niederrad in Stellung gehen, ist ein besonderer Tag angebrochen. Und tatsächlich hat der Verband ja am Freitag seine wichtigste Personalfrage geklärt.
Zwölfter Bundestrainer der DFB-Geschichte
Nagelsmann assistieren mit seinem langjährigen Vertrauten Benjamin Glück und Sandro Wagner, den Nagelsmann noch bei der TSG Hoffenheim trainierte, zwei Helfer aus derselben Generation. Die neuen Hoffnungsträger sind 35, 36 und 37 Jahre alt. Ein dynamisches, unverbrauchtes Dreigestirn, das in kurzer Zeit viel bewegen soll. Das ist allen drei auch zuzutrauen.
Kurze Laufzeit des Vertrags mindert Risiko
Es stecken durch die kurze Laufzeit des Nagelsmann-Arbeitspapiers, befristet bis zum 31. Juli 2024, mehr Chancen als Risiken drin. Der Verband hat aus seinen zu vorzeitigen Vertragsverlängerungen mit Bundestrainern und Bundestrainerinnen gelernt. Dass Hoffnungsträger Nagelsmann sich seine flapsigen Belehrungen ersparte, ohne an seiner gegenüber Vorgänger Hansi Flick deutlich besseren Rhetorik einzubüßen, war ein Pluspunkt einer durchaus gelungenen Vorstellung.
Sportchef Rudi Völler, der zusammen mit Präsident Bernd Neuendorf am vergangenen Dienstag in Köln das entscheidende Gespräch mit dem verfügbaren Wunschkandidaten führte, nannte es einen "Glücksfall", dass solch eine begehrte Lösung auf dem Markt gewesen sei. Nagelsmann will in der Zusammenarbeit mit der Mannschaft "nichts verkomplizieren", aber dennoch "attraktiven Fußball" anbieten. Sein Versprechen: "Wir werden keine 14 verschiedenen Grundordnungen spielen - keine Sorge." Weil er nicht täglich mit den Spielern arbeiten könne, werde sein Plan "nicht so komplex" sein.
Handschrift schon bei USA-Reise erkennbar?
Eine griffige Philosophie hatte der selbstbewusst, aber nicht überdreht wirkende "Bauchgefühlsmensch" (Nagelsmann) auch parat: "Eine gesunde Aggressivität Richtung gegnerisches Tor - nicht nur im eigenen Ballbesitz." Hörte sich gut an. Bei der nicht unumstrittenen USA-Reise im Oktober mit Länderspielen gegen die USA (14. Oktober) und Mexiko (17. Oktober) soll bestenfalls schon eine erste Handschrift sichtbar werden. Das unter Nothelfer Völler gewonnene Prestigeduell gegen Frankreich (2:1) könnte helfen.
Es ist auch richtig, dass der noch von Vorgänger Hansi Flick beförderte Ilkay Gündogan Kapitän bleibt. Nagelsmann erinnert die Krise der DFB-Auswahl gerade ein bisschen an seinen Einstand im Winter 2016, als er als jüngster Bundesligacoach bei der TSG Hoffenheim ins kalte Wasser geworfen wurde. "Ganz so düster wie damals sieht es nicht aus", sagte er. Überhaupt habe er "keinen Bammel", sondern "Vertrauen in die Mannschaft, ins Trainerteam - und ich definiere mich nicht nur über den Job als Fußballtrainer."
DFB-Team aktuell nur Mittelmaß
Und ganz nonchalant sagte er zwischendrin: "Wir wuppen das." Nagelsmann kennt das Potenzial, das (noch) in der deutschen Nationalelf schlummert, aber er muss natürlich auch die Realitäten anerkennen: Der vierfache Weltmeister ist aktuell nur noch Mittelmaß, steht in der Weltrangliste auf Platz 15 irgendwo zwischen Marokko, Kolumbien und Uruguay.
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Und den Rückhalt der Fans muss sich seine Mannschaft erst mühsam erarbeiten. Auch der neue Bundestrainer sollte weiter an sich feilen, um sympathisch rüberzukommen. Noch immer ist zudem der Ballast aus der WM in Katar nicht gänzlich abgetragen, auch wenn der DFB gerade in diesen Tagen den alten Machtapparat von Oliver Bierhoff personell und strukturell zerschlägt.
Bierhoff-Apparat wird weiter abgebaut
Joti Chatzialexiou als Bierhoff-Vertrauter wird wohl nur noch die aktuellen Länderspiele der DFB-Frauen begleiten, bis seine Amtszeit als Sportlicher Leiter Nationalmannschaften endet. Und mit Akademieleiter Tobias Haupt ist ein weiterer Intimus des Ex-Direktors kaum mehr sichtbar.
Diesem Zirkel trauen die Oberen nicht mehr. Es ist sicherlich diskutabel, auf die Expertise solcher Fachleute zu verzichten, doch eines spricht gegen sie: der Misserfolg der A-Nationalmannschaft, der U21 und der Frauen in diesem Sommer.
Julian Nagelsmann wird die deutsche Nationalmannschat zur Heim-EM führen. Bei seiner Vorstellung zeigt er sich selbstkritisch und zuversichtlich - das wird der Mannschaft helfen.
von Nils Kaben