Peter Gulacsi, Willi Orban und Dominik Szoboszlai sind Säulen der ungarischen Nationalelf. Wenn es gegen Deutschland zur Überraschung reichen soll, muss sich diese Troika steigern.
Ungarns Jung-Kapitän Dominik Szoboszlai (l) und Torwart-Routinier Peter Gulacsi.
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Das ungarische Örtchen Telki in der erweiterten Peripherie von Budapest verbindet mit der Gemeinde Weiler-Simmerberg in Baden-Württemberg vordergründig nur dies: die sanften Hügel und das ländliche Ambiente drumherum. Beides sind bewusst gewählte Rückzugsorte für eine EM-Mission der ungarischen Nationalmannschaft. So wie sich die Magyaren für die EM 2021 in Corona-Zeiten das abgelegene Trainingszentrum ihres Fußball-Verbandes als Heimquartier nahmen, fiel 2024 die Wahl auf eine Anlage im Westallgäu.
Es braucht ja ein bisschen Ruhe, weil bei EM-Auftritten mit ungarischer Beteiligung ein Höllenlärm herrscht. Vor drei Jahren war die Puskas-Arena in Budapest gleich wieder proppevoll, während woanders bei dem paneuropäischen Turnier mitten in der Pandemie noch Vorsicht waltete: Das frenetisch angefeuerte Heimteam zahlte zwar gegen Portugal (0:3) erst Lehrgeld, bot dann aber Frankreich die Stirn (1:1) - und hätte in München gegen Deutschland (2:2) beinahe noch das Weiterkommen geschafft.
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Ungarns Trainer mit Zweckoptimismus
Ans damalige Drama erinnert der seit sechs Jahren im Amt befindliche Nationaltrainer Marco Rossi vor dem Gruppenspiel gegen Deutschland in Stuttgart (Mittwoch 18 Uhr/ARD). "Es ist fast undenkbar, dass jemand auf uns setzen wird", sagte der Italiener zwar nach der Auftaktniederlage gegen die Schweiz (1:3), aber den Lerneffekt seines Teams solle bitte niemand unterschätzen, so Rossi.
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Gegen Ungarn, derzeit Nummer 26 der FIFA-Weltrangliste, ist die Gesamtbilanz mit 13 Siegen, 12 Unentschieden und 12 Niederlagen knapp positiv. Der höchste Sieg war ein 7:0, die höchste Niederlage ein 3:8.
In der jüngeren Vergangenheit tat sich die Nationalelf schwer gegen die Ungarn. Bei der EM 2021 reichte es in München gerade so zu einem 2:2. Und in der Nations League 2022 gab es auswärts ein 1:1 und daheim beim letzten Aufeinandertreffen eine 0:1-Niederlage.
Das wichtigste aller Spiele gegen Ungarn aber gewannen die ersten deutschen Weltmeister um Kapitän Fritz Walter (Foto) am 4. Juli 1954 mit 3:2 - beim legendären "Wunder von Bern" im WM-Endspiel.
Schiedsrichter der EM-Partie am Mittwoch (18 Uhr/ARD) ist der Niederländer Danny Makkelie. Der 41 Jahre alte Polizist ist seit 2011 FIFA-Schiedsrichter. Er wird zum dritten Mal bei einem großen Turnier ein DFB-Spiel leiten. Bei der vergangenen EURO pfiff er das Achtelfinale in London gegen England (0:2). Bei der WM 2022 in Katar stand er beim 1:1 gegen Spanien auf dem Platz.
Bundesliga-Spieler in Ungarns aktuellem EM-Kader sind Peter Gulacsi und Willi Orban von RB Leipzig, Roland Sallai, Attila Szalai (beide SC Freiburg) und Andras Schäfer (Union Berlin), außerdem Marton Dardai von Zweitligist Hertha BSC.
Der 59-Jährige wird jetzt vor allem seine Achse mit deutschen Bezügen in die Pflicht nehmen. Torwart Peter Gulacsi und Abwehrchef Willi Orban von RB Leipzig als auch der im vergangenen Jahr von den Sachsen zum FC Liverpool gewechselte Kapitän Dominik Szoboszlai sind eigentlich die Säulen seines Ensembles.
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Gulacsi hatte gesundheitliche Probleme
Nur: Schlussmann Gulacsi hat die Aura als einer der besten Torhüter der Bundesliga nach einem Kreuzbandriss eingebüßt. Der 34-Jährige brauchte bis in den Februar, um sich bei Leipzig überhaupt wieder einen Stammplatz zu erobern. Dabei gehört er zu den prägendsten Gesichtern des Bundesligisten, bei dem er 2015 in Zweitliga-Zeiten anheuerte. Deutschland ist längst seine zweite Heimat geworden und die DFB-Spieler keine Unbekannten.
"Die meisten Spieler kenne ich, stand gegen sie bereits mehrfach auf dem Platz. Deutschland verfügt über großartige Qualitäten", sagt Gulacsi.
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Einen Heimvorteil der DFB-Elf fürchtet der ungarische Schlussmann nicht, im Gegenteil: "Unsere Fans sind sehr kreativ, wenn es darum geht, an Karten zu kommen. Ich glaube, das wird ein Auswärtsspiel für euch."
Nun hat es schon in Köln gegen die Schweiz nicht an Unterstützung gemangelt, doch speziell die Defensive patzte gegen die Eidgenossen furchtbar. Auch Abwehrchef Orban erwischte einen rabenschwarzen Tag: Der 31-Jährige reihte mit seinen Nebenleuten Adam Lang (Omonia Nikosia) und Attila Szalai (SC Freiburg) in der Dreierkette Fehler an Fehler. Gegen dieselbe Formation fand die deutsche Nationalelf vor zwei Jahren in den Nations-League-Duellen (1:1, 0:1) kaum eine Lücke.
Mit den nun zum VfL Wolfsburg wechselnden Marton Dardai, Sohn von Hertha-Legende Pal Dardai, stände eine junge Alternative bereit, doch Rossi wird jetzt kaum seine Routiniers abstrafen. Den beim 1. FC Kaiserslautern ausgebildeten Orban bezeichnet er ja als einen seiner Anführer: "Er ist der Typ, der nicht zu viel redet, aber wenn er was sagt, dann hören alle zu." Obwohl der gebürtige Pfälzer besser Deutsch als Ungarisch spricht.
Das Wort soll ohnehin Spielmacher Szoboszlai führen, der mit der Kapitänsbinde noch mehr Verantwortung übernahm. Die letzte EM verpasste der 23-Jährige verletzt, umso mehr Erwartungen lasten jetzt auf dem Edeltechniker, der eine enorme spielerische Veranlagung mitbringt.
Doch bei seiner EM-Premiere gegen die Schweiz wirkte die Nummer zehn nur wie die Karikatur eines Unterschiedsspielers. Ballverluste und Zweikampfführung gerieten zum Ärgernis. Immerhin hat der Anführer begriffen, dass es so nicht geht.