Ungarn-Hooligans bei der Fußball-EM: Neue Eskalationen?
"Carpathian Brigade":Ungarn bei EM: Eskalieren die Fans wieder?
von Martin Henkel
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Ungarns EM-Teilnahme wird begleitet von der Sorge vor den Eskalationen einer radikalen Fangruppe. Deren Ansichten passen ins Bild, das der ungarische Staat in der EU abgibt.
Ungarische Fußballfans beim Fußball-EM-Spiel in München im Juni 2021. Unter den meist friedlichen Fans waren auch einige Anhänger der "Carpathian Brigade". (Archivbild)
Quelle: imago
Peter Gulacsi wird fantasievoll, denkt er an seine Heimat Ungarn. Der Profi des deutschen Bundesligisten RB Leipzig ist Torhüter der ungarischen Nationalmannschaft, einem der Gruppengegner der DFB-Elf. Heute startet Ungarn ins Turnier mit dem Duell gegen die Schweiz(15:30 Uhr). Kehrt Peter Gulacsi in Gedanken heim, dann fällt ihm "der Balaton" ein, sein "Haus, Badelatschen, kurze Hosen, den ganzen Tag am See".
Der 36-Jährige spricht dabei auch über den Stolz, den er empfindet, sein Land bei der Fußball-EM zu vertreten. Dann hält er kurz inne, denn der Weg an diesem Punkt könnte in eine unschöne Gegend führen. Er lenkt das Gespräch deshalb in eine andere Richtung.
"Carpathian Brigade": Exzess beim Spiel gegen Deutschland
Es ist der ungarische Nationalstolz, der das Team zum Turnier begleitet, und nicht nur etwas mit Heimat und Herkunft zu tun hat, sondern auch mit Volk, Vaterland und Ungarntum. Diese problematischen Facetten verkörpert vor allem eine Fangruppe, die sich "Carpathian Brigade" nennt und mit hoher Wahrscheinlichkeit Gulacsi und seinen Kollegen zum Turnier folgen wird.
Sie besteht aus gut 500 bis 1.000 meist Männern in schwarzen Hosen, schwarzen Shirts und ebenso schwarzen Ansichten. Sie gelten als ultranational und erzkonservativ.
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Deren Anwesenheit bei ausschließlich Spielen des Nationalteams ist nicht neu. Schon bei der EM vor drei Jahren traten sie Erscheinung. Bei den ersten beiden Heimspielen verunglimpften sie unter anderem Spieler der französischen Equipe Tricolore mit Affenlauten. Beim dritten Gruppenspiel gegen die DFB-Elf zeigten sie homophobe Banner und beschimpften das deutsche Publikum.
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Vorausgegangen war ein kurz vor der EM verabschiedetes Gesetz, das in Ungarn die öffentliche Aufklärung über Homo- und Transsexualität verbietet. Der DFB wollte daraufhin das Münchener Stadion in Regenbogenfarben leuchten lassen, die UEFA schob dem einen Riegel vor.
Orban und Fidesz: Sorgenkinder der EU
Der Exzess, der sich damals inmitten der ungarischen Fans austobte, passt ins Bild, welches der Staat und Teile der Gesellschaft mit Ministerpräsident Viktor Orban und dessen Fidesz-Partei an der Spitze im Ausland von sich zeichnen.
Dieser Staat, abgedriftet in Nationalismus, Autokratie, konservative Rollenbilder, Geschichtsverherrlichung und Minderheiten-Ausgrenzung, ist das Sorgenkind der EU. Vor zwei Jahren sprach ihm das Parlament in Straßburg offiziell ab, demokratisch zu sein.
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Die UEFA reagierte damals mit einer Strafe von drei "Geisterspielen" vor leerer Kulisse, reduzierte das Verdikt aber später auf zwei. Dass sich das Schauspiel der Fans in den kommenden Tagen und Wochen wiederholen wird, ist trotzdem nicht ausgeschlossen.
Die Brigadisten sind gut organisiert, stramm nach paramilitärischem Muster, wie Bálint Josá, Gründer der ungarischen Organisation "Szubjektív Értékek Alapítvány" ("Stiftung für subjektive Werte") 2016 in einem Interview mit dem Magazin "Vice" erklärte. Das sei eine quasi militärische Gruppe, "die aus Neonazis besteht".
Gleichwohl hält Josá die Gruppe für Außenseiter. Vielleicht unterstützt von den altvorderen Haltungen mancher Landsleute, doch es gibt auch Gegenkräfte. Auch im Nationalteam. Abwehrchef Willi Orban etwa, ebenfalls von RB Leipzig, fand damals Gefallen an der Idee, das Münchener Stadion regenbogenfarben zu beleuchten.
Am 19. Juni 2024 um 18 Uhr spielt Deutschland gegen Ungarn. Hier finden Sie das EM-Spiel live im Ticker und alle Informationen zu der Begegnung.
8:03 min
Gulacsi bezieht Stellung für Toleranz
Und auch Gulacsi hat bereits Stellung für eine weltoffenes und tolerantes Ungarn bezogen. 2020, als ein Gesetz in Kraft getreten war, welches die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare verbietet, postete er auf Instagram: "Jeder Mensch hat das Recht auf Gleichberechtigung. So hat auch jedes Kind das Recht, in einer glücklichen Familie aufzuwachsen - ganz egal (…) wen man liebt oder an was man glaubt."