U-Ausschuss: Merkel spricht von "Scheitern" in Afghanistan
Altkanzlerin vor U-Ausschuss:Merkel spricht von "Scheitern" in Afghanistan
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Angela Merkel hat als Zeugin im Afghanistan-Untersuchungsausschuss ausgesagt. Dort erklärt die Altkanzlerin die Dilemmata von 2021 und verteidigt ihr Handeln. Zumindest weitgehend.
Ein Ausschuss des Bundestags untersucht das Vorgehen der Bundesregierung beim Abzug aus Afghanistan 2021. Als letzte Zeugin wurde Angela Merkel befragt. 05.12.2024 | 2:57 min
2021 rücken die radikalislamischen Taliban Richtung Kabul vor. Am 15. August erobert die Terrororganisation die afghanische Hauptstadt - überraschend schnell und praktisch ohne Gegenwehr. Zuvor hatten sich die internationalen Truppen aus dem Land zurückgezogen. Es kommt zu chaotischen Zuständen. Vor allem Entsandte aus Deutschland werden evakuiert.
Viele Ortskräfte von Bundeswehr, Polizei und Entwicklungsorganisationen müssen wegen des überstürzten Abzugs jedoch zurückbleiben. Wurden afghanische Mitarbeiter deutscher Organisationen dadurch gefährdet? Hätte die Politik früher Vorbereitungen für deren Schutz oder auch deren Ausreise treffen müssen?
Merkel im Urlaub über Lage in Afghanistan informiert
Der Frage geht der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags nach. Am Donnerstag war dort Angela Merkel (CDU) geladen, die kürzlich in den USA noch ihr neues Buch vorgestellt hatte. Als vorrausichtlich letzte Zeugin wurde die damalige Bundeskanzlerin zur überstürzten Evakuierungsmission vernommen.
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Dass es in jedem Fall auf eine Evakuierung aus Kabul hinauslaufen werde, sei ihr erst ab dem 13. August 2021 - dem letzten Tag ihres Sommerurlaubs - bewusst gewesen, als sie telefonisch über die dramatische Zuspitzung der Lage informiert worden sei, sagte Merkel. Das Szenario einer raschen Machtübernahme durch die Taliban, habe "sie nicht zur Kenntnis bekommen".
Das intern auch als "Emirat 2.0" genannte Szenario war in einer Staatssekretärsrunde jedoch bereits im November 2020 als wahrscheinlich angesehen worden, wie die Grünen-Politikerin Canan Bayram anmerkte. Der Bundesnachrichtendienst erachtete das Szenario hingegen als unwahrscheinlich an, wie der damalige Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), auch Zeuge im U-Ausschuss, mitteilte.
Merkel spricht von Dilemmata - verteidigt aber Entscheidung
Weiter verteidigte die Altkanzlerin die Entscheidungen der Bundesregierung zu Ausreisemöglichkeiten für afghanische Ortskräfte, sprach aber von schwierigen Abwägungsentscheidungen.
Merkel schilderte, dass sie die Forderung der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nach einer Ausweitung des befugten Personenkreises bei Bundeswehr und Polizei zunächst unterstützt habe.
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Merkel: Frühe Ausreise hätte falsches Signal gesendet
Zurückhaltender sei sie aber bei Ortskräften aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gewesen. Sie habe den Eindruck vermeiden wollen, dass Deutschland den Sieg der Taliban vorwegnehme. Hätte man zu vielen die Ausreise ermöglicht, hätte es als Signal verstanden werden können, man vertraue nicht mehr darauf, dass es eine gute Entwicklung geben könnte.
Die Bundesregierung debattierte im Frühsommer 2021 mit Blick auf den Abzug der Bundeswehr Ende Juni, inwieweit afghanischen Mitarbeitern deutscher Streitkräfte, von Polizei und anderen Organisationen die Ausreise nach Deutschland ermöglicht werden sollte. Diskutiert wurde dabei auch über beschleunigte Visa-Verfahren, was insbesondere im Bundesinnenministerium auf Vorbehalte stieß.
Merkel sagte im Ausschuss, das Innenministerium habe die Aufgabe gehabt, dafür zu sorgen, "dass wir uns nicht Kräfte ins Land holen, die für terroristische Anschläge verantwortlich sind".
An anderer Stelle räumte sie aber auch ein, dass die Entscheidung gegen beschleunigte Verfahren auch mit der Erfahrung aus dem Jahr 2015, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, zusammengehangen habe.
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Merkel: Internationale Gemeinschaft ist gescheitert
Sie halte es auch im Rückblick gesehen für richtig, die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unterstützt zu haben, weil die "begründete Hoffnung" bestanden habe, dass keine terroristischen Angriffe mehr von Afghanistan ausgehen, sagte die Altkanzlerin. Aber:
Dabei verwies sie auf den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen sowie die Etablierung von Demokratie und Menschenrechten, insbesondere Frauenrechten.
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Als Ursachen für dieses Scheitern nannte sie unter anderem mangelndes kulturelles Verständnis der westlichen Verbündeten, Vetternwirtschaft und Rauschgifthandel. Auch habe man wohl die geopolitische Lage des Landes und den Einfluss Pakistans nicht ganz richtig eingeschätzt.