Interview
Reaktionen auf Wahlergebnis:So gespalten ist die Türkei nach Erdogan-Sieg
von Narîn Şevîn Doğan, Istanbul
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Nach der Türkei-Wahl feiern Erdogan-Anhänger in Autokorsos - Minderheiten und Kritiker im Land sorgen sich. Wie gespalten die Türkinnen und Türken sind, zeigen Gespräche vor Ort.
Die Stimmung in der Türkei ist gespalten. Recep Tayyip Erdogan hat mit 52 Prozent gewonnen, doch 48 Prozent der Menschen haben sich eine Veränderung gewünscht, einen neuen Präsidenten. Seit Verkündung des Wahlergebnisses melden sich Menschen innerhalb und außerhalb der Türkei zu Wort. Von Gratulationen über Kritik zu Sorge: Die Reaktionen sind gemischt.
Gespaltene Stimmung in der Türkei
Yaren ist enttäuscht von dem Wahlergebnis: "Ich war schon recht traurig." Sie ist 25 Jahre alt, hat gerade ihren ersten Job in Istanbul angefangen. Sie würde gerne alleine leben, könne es sich bei der aktuellen Wirtschaftslage in der Türkei aber nicht leisten und muss bei ihrer Familie unterkommen. Sie sehe es so wie Kemal Kilicdaroglu:
Die Veränderung kommt aber erst mal nicht.
Erdogan wird weitere fünf Jahre regieren, auch mit großer Zustimmung in der Bevölkerung. Dass viele glücklich sind über die Wiederwahl Erdogans, zeigt sich bereits in der Wahlnacht: In der Türkei und im Ausland waren Anhänger*innen von Erdogan in Autokorsos in einem rot-weißen Fahnenmeer unterwegs und feierten ihren Präsidenten. Mehmet Zeki Inan hat Erdogan seine Stimme gegeben. Er sagt:
Ein anderer Mann in Istanbul erklärt: "Wir können sagen, dass wir das neue Jahrhundert der Republik angehen." Denn nun wird Erdogan die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Staatsgründung der Türkei im Oktober austragen und das neue Jahrhundert der Türkei einläuten können, wie er im Wahlkampf so oft erwähnte.
Opposition spricht von "ungerechtester" Wahl seit jeher
Kurz nach Erdogans Siegesverkündung in der Wahlnacht meldete sich sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu zu Wort und beklagte die "ungerechteste" Wahl, die es je gegeben habe. Er wolle aber weiterkämpfen, "bis echte Demokratie in unser Land kommt", so Kilicdaroglu. Seitdem ist er nicht mehr an die Öffentlichkeit getreten.
Cengiz Candar von der Grünen Linkspartei zeichnete eine düstere Zukunft im ZDF-Interview: "Die gesellschaftliche Erschütterung wird sich in den kommenden Monaten ausbreiten. Die Inflation wird außer Kontrolle geraten, denn mit den Wahlversprechen wurden Erhöhungen gemacht. Die Staatskasse ist leer. Es gibt kein Geld."
Die Opposition warnt weiter vor einer erneuten Amtszeit Erdogans.
ZDF-Korrespondent Jörg Brase erwartet eine harte Politik gegen Oppositionelle:
Minderheiten in Sorge: Erdogan-Sieg kommt "einem Massaker gleich"
Besonders Minderheiten melden sich mit Kritik und Sorge zu Wort. Bereits kurz nach seiner Wahl machte Erdogan wieder Stimmung gegen die LGBTIQ+ Community: "Meine Brüder, ist diese CHP denn nicht für die LGBT?" In seinem eigenen Wahlbündnis gebe es so etwas nicht, betonte Erdogan. Ismail ist 22 Jahre alt, studiert und ist LGBT-Aktivist. Er ist der Ansicht, der Sieg von Erdogan komme für die LGBT-Community in der Türkei "einem Massaker gleich und heißt nichts anderes als Hass und Ausgrenzung. Es heißt Diskriminierung."
Auch Kurdinnen und Kurden nehmen das Ergebnis mit Sorge auf. Erdogan wird mit ultranationalistischen Partnern regieren, die einen harten Kurs gegen die kurdische Bevölkerung verfolgen. Unter Erdogan führt die Türkei mehrere Militäroffensiven gegen Kurdinnen und Kurden in Nord-Syrien. Influencer Jiyan Kara ist Kurde und lebt in Istanbul. Er hat sich eine andere Regierung gewünscht:
Banu Güven sieht "keine große Hoffnung" für verhaftete Journalisten in der Türkei:
Keine freien Medien in der Türkei
Die Journalistin Banu Güven sagte im ZDF-Interview, dass für unabhängige Journalist*innen immer Risiken in der Türkei bestehen, besonders wenn sie über die kurdische Frage berichten. Man müsse immer wieder betonen, "dass ohne freie Medien keine demokratischen Wahlen stattfinden können."
Vor den Wahlen seien viele kurdische Journalist*innen festgenommen worden. Jetzt werden wohl viele aus Angst vor Verfolgung das Land verlassen. Güven selbst lebt in Deutschland, nachdem ein Verfahren gegen den türkischen Sender eröffnet wurde, für den sie gearbeitet hat.
Gratulationen aus der Welt
Und wie reagiert die restliche Welt? Bereits vor seiner eigenen Verkündung des Wahlsiegs gratulierten erste Staatschefs wie Katars Emir, Viktor Orban und der Regierungschef der Taliban Erdogan zum Sieg. Staatschefs, die ähnlich autoritär regieren wie der türkische Präsident und gute Beziehungen zu ihm pflegen.
Nach Bekanntgabe des Sieges durch die Wahlbehörde beglückwünschten ihn auch andere Staatschefs aus aller Welt. Darunter NATO-Partner und europäische Regierungsoberhäupter.
Joe Biden betonte, dass die Zusammenarbeit mit NATO-Partner Türkei wichtig sei bei der Bewältigung globaler Herausforderungen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz spricht von einer engen Partnerschaft der Türkei und Deutschland: "Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben", so Scholz. Bei einem Telefonat hat er Erdogan bereits zu einem Antrittsbesuch nach Berlin eingeladen.
Olaf Scholz zu Erdogan-Sieg
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Westliche Staaten scheinen sich mit dem Wahlergebnis zu arrangieren. Auch wenn viele einen Präsident Kilicdaroglu wohl bevorzugt hätten.
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