Luftangriff auf Flüchtlingsstadt: Was in Dschabalia geschah
FAQ
Luftangriff auf Flüchtlingsstadt:Was in Dschabalia geschah
von Nils Metzger
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Bei dem israelischen Luftschlag auf mutmaßliche Hamas-Tunnel in der Flüchtlingsstadt Dschabalia starben viele Menschen. Nun läuft eine Debatte, ob der Angriff verhältnismäßig war.
Suche in den Trümmern: Ein israelischer Luftangriff in Dschabalia forderte viele Menschenleben.
Quelle: epa
Wo vor wenigen Tagen noch dicht aneinander gedrängte Wohnblöcke standen, klafft jetzt ein großes Loch. Metertiefe Krater umgeben von Bergen an Schutt, alles in graubraunen Staub gehüllt. Der Ort, an dem die israelische Luftwaffe am Dienstagnachmittag gegen 2:30 Uhr Ortszeit einen Gebäudekomplex bombardierte, ist jetzt eine Trümmerlandschaft.
Getroffen wurden Häuser in einem seit Jahrzehnten von Flüchtlingen bewohnten Stadtteil von Dschabalia im nördlichen Gazastreifen. Mindestens 195 Menschen seien dort und bei weiteren Bombardierungen von Dschabalia am Dienstag und Mittwoch gestorben. Das meldet die Hamas-Gesundheitsverwaltung, deren Zahlen in anderen Fällen jedoch teils überhöht und nicht überprüfbar waren. Die "Washington Post" nennt unter Verweis auf zwei lokale Krankenhäuser mindestens 110 Tote.
Die Bilder aus Dschabalia haben online abermals eine Debatte über mögliche Kriegsverbrechen ausgelöst. Oscar-Gewinnerin und Flüchtlingsaktivistin Angelina Jolie veröffentlichte am Mittwoch einen Beitrag auf Instagram mit mehreren Millionen Likes, worin sie den Angriff als "absichtliche Bombardierung einer gefangenen Bevölkerung" bezeichnete.
Instagram-Post von Angelina Jolie
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Die israelischen Streitkräfte (IDF) haben bestätigt, dass es sich bei den Explosionen um einen ihrer Luftangriffe handelte. Ziel sei der Hamas-Kommandeur Ibrahim Biari gewesen, dessen Kommandoinfrastruktur in Tunneln unter dem Lager von Dschabalia gelegen hätte.
Zahlreiche Hamas-Kämpfer seien bei dem Angriff getötet worden, sagte IDF-Sprecher Daniel Hagari, nannte aber keine genauen Zahlen. Auch Angaben zu den von Israel verwendeten Bomben machte er nicht. Ein Teil der Zerstörung sei darauf zurückzuführen, dass Hamas-Tunnel unter den Gebäuden eingestürzt seien.
Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
ZDFheute Infografik
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Eine Untersuchung des britischen "Guardian" kommt zu dem Schluss, dass womöglich mehrere sogenannte JDAM-Bomben zum Einsatz gekommen sein könnten. Sie würden zu dem von Israel erklärten Ziel passen, unterirdische Tunnel treffen zu wollen, würden aber auch überirdisch enormen Schaden anrichten, zitiert der "Guardian" den Bombenexperten Marc Garlasco. Fliegerbomben diesen Typs setzte Israel bereits regelmäßig im aktuellen Gaza-Krieg ein.
Gab es Tunnelsysteme unter den Häusern?
Dass sich auch unter Dschabalia Hamas-Tunnel befinden, gilt als sicher. Bereits eine mit IDF-Informationen von 2014 erstellte Karte des "Wall Street Journals" zeigt, wie Tunnel damals in der Umgebung des aktuellen Explosionsortes verlaufen.
Bislang gibt es jedoch keine öffentlich zugänglichen Belege, dass sich unter dem konkreten Haus ein Tunnelsystem befunden hat. Die israelischen Streitkräfte haben angekündigt, weitere Informationen dazu zu veröffentlichen. Hamas-Sprecher Hazem Qassem bezeichnete es am Dienstag als "Lüge", dass sich der Kommandeur Biari am Ort des Angriffes aufgehalten habe. Aussagen der Hamas zu getöteten Kommandeuren stellten sich in der Vergangenheit jedoch oft als falsch heraus.
Auf Telegram veröffentlichten die IDF am Mittwoch ein Video, das einen Luftangriff auf den Hamas-Kommandeur Muhammad Asar zeigen soll, tatsächlich aber die Bombardierung in Dschabalia zeigt. Der Grund für die Verwechslung ist unklar, der Ort ist anhand der umliegenden Häuser klar identifizierbar.
IDF-Video des Luftangriffes auf Dschabalia
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Darauf zu erkennen sind eine ganze Reihe kleinerer Explosionen und blitzartig aufsteigender schwarzer Rauchwolken oberhalb und links von der zentralen und größten Explosion. Ob es sich dabei um weitere israelische Bomben handelt, oder womöglich um explodierende Stoffe in unterirdischen Hamas-Lagern, ist bislang unklar.
Dass über den Tunneln liegende Wohnhäuser durch unterirdische Explosionen einstürzen können, hält Eyal Weizmann von der Recherchegruppe "Forensic Architecture" für möglich. "Die Krater werden dann zu Massengräbern", so Weizmann gegenüber der "New York Times".
Die israelische Armee dringt in den Gazastreifen vor. Mit an der Front kämpft ein deutscher Soldat. Der Angriff der Hamas hat bei ihm, wie in ganz Israel tiefe Spuren hinterlassen.02.11.2023 | 13:24 min
Ist so ein Angriff automatisch ein Kriegsverbrechen?
Selbst Angriffe auf zivile Wohnhäuser müssen nicht zwingend ein Kriegsverbrechen sein. Sollte etwa der Ort militärischen Zwecken dienen, als Kommandobasis oder Waffenlager, kann er zum legitimen Ziel werden. Dann kommt es auf die Verhältnismäßigkeit von möglichen zivilen Opfern zu erlangtem militärischem Vorteil an.
Da bislang nicht alle Details zu den Opfern und möglichen Schäden an Hamas-Infrastruktur bekannt ist, kann aktuell nicht klar gesagt werden, ob eine Verhältnismäßigkeit gegeben ist. Die hohe Zahl an zivilen Opfern würde ein Ziel von großem militärischem Wert erfordern. Anders als Hamas setzt Israel im dicht besiedelten Gazastreifen meist gelenkte Waffen ein, die ihr intendiertes Ziel genau treffen, um die Zahl unbeabsichtigter Opfer zu reduzieren.
Womit sich Israel rechtfertigte, sind die Warnungen, die wiederholt an die Zivilbevölkerung gerichtet wurden. "Das ist die Tragik des Krieges. Wir haben seit Tagen gesagt: Bewegt euch nach Süden", sagte IDF-Sprecher Richard Hecht dem US-Sender CNN. Doch auch solche Warnungen entbinden die IDF nicht von ihrer Pflicht, auf die Verhältnismäßigkeit zu achten. Zivilisten werden nicht automatisch zu legitimen Zielen, nur weil sie ein Gebiet nicht verlassen.
IDF-Sprecher Richard Hecht bei CNN
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Häufig wird der vom Luftangriff betroffene Teil der Stadt Dschabalia als Flüchtlingslager bezeichnet, auch von den im Gazastreifen vertretenen UN-Organisationen. Jedoch ist es keine improvisierte Zeltstadt, wie man sie sich üblicherweise vorstellt, sondern besteht aus einem Meer an ärmlichen und eng gebauten Häuserblocks. Es gibt auch Restaurants und Geschäfte.
Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Flüchtlingsstadt bereits seit 1948 existiert. Dort wurden Familien untergebracht, die aus Gebieten im heutigen Israel geflohen sind. 116.000 Menschen sind dort laut UN-Angaben derzeit als Flüchtlinge registriert und bei ihrer Versorgung oft auf internationale Hilfe angewiesen. Viele Schulen und Gesundheitseinrichtungen werden etwa von den UN geführt. Das Flüchtlingsviertel gehört zu den ärmsten und am dichtesten besiedelten Gebieten im Gazastreifen.
Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.