Kritik an steuerfreiem Zuschlag:"Lust auf Überstunden"? Oder auch nicht
von Kristina Hofmann
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Steuerfreie Zuschläge für Überstunden? Das plant die Ampel in ihrem Wachstumspaket. Doch nicht alle sind dafür: Widerstand kommt von den Grünen und von den Gewerkschaften.
Die Gewerkschaft IG Metall kritisiert: Nur etwa die Hälfte der Überstunden werden derzeit bezahlt.
Quelle: dpa
"Lust auf Überstunden", so hatte es sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gewünscht. Der Hintergrund: Die Babyboomer gehen bald in Rente, es fehlen Arbeitskräfte. Die Bundesregierung will deswegen Mehrarbeit attraktiver machen. Ein Mittel: Die Zuschläge für Überstunden sollen steuer- und beitragsfrei werden. So steht es in der Wachstumsinitiative, auf die sich die Spitzen der Ampel-Koalition geeinigt haben und die in der kommenden Woche vom Kabinett beschlossen werden soll.
Doch so einfach wird das vermutlich nicht. Die Gewerkschaften sind dagegen, die Grünen sind skeptisch. Darum geht es:
Was plant die Bundesregierung?
Die Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte Vollarbeitszeit hinausgeht, sollen künftig steuer- und beitragsfrei sein. Das heißt: keine Lohnsteuer, keine Krankassenbeiträge zum Beispiel. Eine ähnliche Regelung kann es in manchen Branchen bei Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen geben.
Als Vollarbeitszeit gilt bei tariflichen Regelungen einen Arbeitszeit von mindestens 34 Stunden, außertariflich von 40 Stunden. Möglicherweise soll die Steuerfreiheit der Zuschläge nur für Vollzeitkräfte gelten, damit man nicht durch Arbeitszeitreduktion auf das gleiche Geld kommt. Ob Mehrarbeit überhaupt vergütet oder als Freizeit ausgeglichen wird, regeln Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge.
Steuerfrei sollen auch Wechsel-Prämien werden: Zahlen Arbeitgeber eine Prämie, wenn Arbeitskräfte ihre Teilzeit ausweiten, sollen keine Steuern und Abgaben fällig werden.
Wenn Arbeitgeber und Tarifpartner sich einigen, sollen künftig mehr Überstunden erlaubt sein. Bislang regelt dies das Arbeitszeitgesetz: Maximal 48 Stunden pro Woche sind zulässig. Für den einzelnen Tag gilt: Maximal zehn Stunden sind erlaubt. Jede Überstunde muss angeordnet werden. Das gilt beides jedoch nicht für Minderjährige, für Leitungsfunktionen und bestimmte Branchen, wie in der Landwirtschaft, der Pflege, in Kirchen.
Der hohe Krankenstand soll gesenkt werden - indem die telefonische Krankschreibung "möglichst bürokratiearm" geändert wird.
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Wie ist die Situation zurzeit?
Nimmt man die Zahlen von 2023, leisten Arbeitskräfte im Schnitt pro Jahr 13,2 bezahlte und 18,4 unbezahlte Überstunden. Auf diese Zahlen kommt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Im Vorjahr waren es in beiden Kategorien etwas mehr.
Die IG Metall geht von bundesweit 700 Millionen unbezahlten Überstunden aus. Bereits Anfang Mai hatte Gewerkschaftschefin Christiane Brenner davor gewarnt, dass damit nur etwa die Hälfte der Überstunden bezahlt und von einem Steuerbonus auf Zuschläge vor allem Frauen benachteiligt würden. Denn diese arbeiten öfter in Teilzeit.
Insgesamt stieg 2023 die Teilzeitquote, und der Krankenstand war höher als noch zur Hochzeit der Corona-Pandemie. Beschäftigte waren im vergangenen Jahr durchschnittlich 15,2 Arbeitstage krank - so häufig wie 1991 nicht mehr.
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Wie teuer ist die Steuerfreiheit?
Wenn die Bundesregierung die Zuschläge zu Überstunden und Prämien steuerfrei macht, verzichten der Bund und die Kranken-, Pflege-, Rentenkassen und die Arbeitslosenversicherung auf Einnahmen. Auf wie viel? Das weiß die Bundesregierung noch nicht so genau, sagt sie. "Mögliche Kosten und Wirkungen der einzelnen Maßnahmen hängen von der jeweiligen Ausgestaltung ab. Die einzelnen Maßnahmen werden derzeit erarbeitet", heißt es aus dem Bundesfinanzministerium. Und bittet um Verständnis.
Am Ende muss das Wachstumspaket mit der Wachstumsinitiative zusammen mit dem Haushalt der Bundestag beraten und bis Herbst beschließen. Änderungen sind also noch möglich. Und darauf hoffen manche.
Mit welchem Widerstand muss Lindner rechnen?
Als "sehr kritisch" sehen die Arbeitsmarktexperten der grünen Bundestagsfraktion diesen Vorschlag, sagt Frank Bsirske, Sprecher der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales in der Bundestagsfraktion der Grünen und frühere Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, zu ZDFheute:
Es werde sich laut Bsirske erst in den Haushaltsberatungen zeigen, "ob diese Regelung sinnvoll ist und letztlich geltendes Recht umgesetzt wird". Denn zu befürchten sei, dass bei Vollzeitbeschäftigung Überstunden gesundheitliche Folgen haben. Langfristig könne das die Arbeitskraft sogar verringern und die Krankenkassen belasten, so der Grünen-Politiker. Außerdem sei es schwer, Mitnahmeeffekte zu verhindern, nämlich vorübergehend auf Teilzeit zu gehen ohne finanzielle Einbußen.
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Kritisch sieht Bsirkse, dass bei einer solchen Regelung die Überstunden besser erfasst werden müsste. Vor allem in Branchen wie der Gastronomie, Logistik, Wach- und Sicherheitsgewerbe, wo es Probleme mit dem Schwarzmarkt gibt. Dort, aber nicht nur dort, müsse die Arbeitszeit "fälschungssicher erfasst werden", so Bsirkse.
Auch aus der SPD könnte es Widerstand geben. Die frühere SPD-Abgeordnete und aktuelle DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi kritisierte am Mittwoch zuerst in der "Ausgburger Allgemeinen Zeitung", dass der Ruf nach Mehrarbeit an der Realität vorbeiginge. Es sei ein "ideologiegetriebener Mythos", dass das Arbeitszeitrecht nicht flexibel sei. Es gebe "tausendfach im Land flexible Arbeitszeitmodelle", so Fahimi. Und sie warnt die Bundesregierung:
Die Belastungen für die Menschen seien bereits jetzt hoch. Verkürzte Ruhezeitund längere Arbeitszeiten erhöhten das Unfallrisiko, so Fahimi.
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