Arbeitszeiterfassung: Flexibilität oder Acht-Stunden-Tag?
Debatte zur Arbeitszeiterfassung:Flexibilität oder Acht-Stunden-Tag?
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Unternehmen und Büros müssen die Arbeitszeit erfassen - doch konkrete Regeln hat die Ampel bislang nicht vorgelegt. Die FDP fordert indes das Aus für den Acht-Stunden-Tag.
Der Acht-Stunden-Tag wurde in Deutschland 1918 eingeführt. Die FDP pocht nun auf sein Ende.
Quelle: colourbox.de
Nach Jahren mit wenig Arbeitszeiterfassung, Kontrolle und Papierkram beim mobilem Arbeiten oder im Homeoffice kehrt eine Art digitale Stechuhr zurück.
Arbeitszeiterfassung ist für Deutschlands Unternehmen, Büros und Verwaltungen Pflicht - diese Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts gilt seit zwei Jahren. Doch eine Reaktion des Gesetzgebers lässt bis heute auf sich warten. Stattdessen pocht die FDP auf ein Ende des Acht-Stunden-Tags - mit dem Ziel: Wirtschaftswende.
Was die Arbeitsrichter entschieden haben
Es besteht in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, heißt es in dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts von September 2022 (1ABR 22/21). Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete die Pflicht von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten mit dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019 und dem deutschen Arbeitsschutzgesetz.
Laut EuGH sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Sie soll helfen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten. Gewerkschafter argumentieren, die Kehrseite von Vertrauensarbeit seien großteils unbezahlte Überstunden.
Mit dem Beschluss zur Zeiterfassungspflicht sei das "Ob entschieden", betont die BAG-Präsidentin. Das "Wie" kann gesetzlich geklärt werden oder durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wie sie der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt sagt. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz mussten vor der höchstrichterlichen Entscheidung nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit.
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Das Bundesarbeitsgericht zog für seinen Beschluss nicht das Arbeitszeit-, sondern das Arbeitsschutzgesetz heran. Nach Paragraf 3 sind Arbeitgeber danach bereits verpflichtet, "ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann".
Schnell wurde über eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes gestritten, das definieren soll, wie die Arbeitszeiterfassung in der Praxis erfolgen soll.
Nach Einschätzung von Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, hat sich die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung durchgesetzt. Betroffen sind die 35 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland gibt. Gallner meint, es fehle zwar noch immer eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes. "Aber in den Unternehmen haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer oft maßgeschneiderte Lösungen gefunden, die Arbeitszeit und damit auch mögliche Überstunden zu erfassen", so die BAG-Präsidentin.
80 Prozent der Beschäftigten sagten, dass ihre Arbeitszeit betrieblich erfasst oder sie von ihnen selbst dokumentiert wird. Gallner verweist dabei auf Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz. Zahlen von 2023 deuteten darauf hin, "dass die Erfassung der Arbeitszeit etwas stärker verbreitet ist als noch 2021 und 2019", so die Bundesanstalt in einem Bericht.
Quelle: dpa
Auch die SPD im Bundestag machte sich für ein neues Gesetz stark - denn Überstunden würden heute oft nicht erfasst und vergütet. Doch noch immer hat die Regierung das Thema nicht abgearbeitet. "Zur gesetzlichen Ausgestaltung der Aufzeichnungspflicht finden derzeit regierungsinterne Gespräche statt", bekundet eine Sprecherin des Arbeitsministeriums.
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FDP: "Altes Dogma"
Wirtschaftsverbände und FDP sehen das "Stechuhr-Urteil" allerdings im Widerspruch zu einer modernen, flexiblen Arbeitswelt. Bereits mit dem Wachstumspaket gewähre die Koalition Angestellten und Unternehmen künftig mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeiten, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Das ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung, dem perspektivisch die vollständige Umstellung von der Tages- auf eine Wochenhöchstarbeitszeit folgen sollte."
Den "starren Acht-Stunden-Tag" bezeichnete der Politiker als "altes Dogma". Dieses werde der modernen Lebens- und Arbeitswelt vieler Menschen längst nicht mehr gerecht. "Deshalb schaffen wir jetzt den Einstieg in die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, auf die sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam im Rahmen von Tarifverträgen einigen können."
Heute darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden. Acht Stunden dürfen aber binnen sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Schnitt werktäglich nicht überschritten werden. Zudem kann per Tarifvertrag zugelassen werden, bei langen Bereitschaftsphasen die Arbeitszeit über zehn Stunden werktäglich zu verlängern.
Quelle: dpa
Ampel: Überstunden sollen sich auszahlen
Die Koalitionsspitzen wollen mit ihrer Haushaltseinigung auch dafür sorgen, dass sich Überstunden auszahlen: Steuer- und beitragsfrei gestellt werden Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte Vollzeitarbeit hinausgehen. Als Vollzeitarbeit soll dabei bei Tarif-Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden gelten. 40 Stunden sollen es bei nicht tariflich festgelegten oder vereinbarten Arbeitszeiten sein.
Teilzeitbeschäftigte, die aufstocken, sollen einen neuen steuerlichen Anreiz bekommen. Kritikerinnen und Kritiker beklagen, dass viele Beschäftigte laut Umfragen tatsächlich weniger statt mehr arbeiten wollten. Die meisten Überstunden würden heute zudem gar nicht bezahlt.