Sachsen und Thüringen: Fünf Lehren aus den Landtagswahlen
Sachsen und Thüringen:Fünf Lehren aus den Landtagswahlen
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"Bitter" seien die Wahlergebnisse, sagt Kanzler Scholz: Die Ampel wirkt erschüttert, in Erfurt und Dresden beginnt die mühsame Suche nach Mehrheiten. Fünf Dinge, die nun anstehen.
Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen senden ein klares Signal an die Bundesregierung. Besonders schwer traf es die FDP, die beide Landtage klar verfehlt hat. 02.09.2024 | 1:58 min
Nach dem Beben der beiden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen kommen auf die Politik in beiden Ländern und im Bund unruhige Zeiten zu.
Die Ampel-Koalition in Berlin steht zwar noch, doch sie wirkt bis ins Mark erschüttert und ziemlich ratlos. In Dresden und Erfurt beginnt die mühsame Suche nach Mehrheiten.
Fünf Dinge, die nun anstehen:
1. Die Parteienlandschaft sortiert sich neu
Die CDU will nicht mit der Linken oder der AfD regieren. Und das will sie eigentlich auch nicht mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) - zumindest nicht zu den vom BSW genannten Bedingungen.
Nur: Nach den komplizierten Wahlergebnissen in Thüringen und Sachsen braucht es neue Konstellationen, sonst drohen Stillstand und Unregierbarkeit. Sollten zwei oder mehr sehr unterschiedliche Parteien miteinander arbeiten, wird interessant sein zu sehen, ob das pragmatischer geht als bei der Ampel in Berlin.
Die stand am Wahlabend vor den Trümmern ihrer Selbstblockade: SPD einstellig, Grüne an der Fünf-Prozent-Hürde, FDP verschwunden. Einen Absturz erlebte auch die Linke.
Nach den Landtagswahlen sehen sich die Regierungsparteien des Bundes in Bedrängnis. Doch es gibt auch kämpferische Stimmen.02.09.2024 | 2:37 min
2. Die AfD könnte blockieren
Die AfD ist in Thüringen Nummer eins und will als Wahlsieger mitregieren. Auch in Sachsen hat sie mit mehr als 30 Prozent ein Rekordergebnis. Nur will niemand mit der von Verfassungsschützern in den beiden Ländern als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei koalieren.
Als Hebel hat die AfD in Thüringen erstmals eine sogenannte Sperrminorität. Da sie mehr als ein Drittel der Mandate im Landtag bekommt, kann sie Entscheidungen blockieren, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig wären, etwa die Wahl von Verfassungsrichtern oder die Spitzen der Landesrechnungshöfe.
Die AfD ist bei der Landtagswahl in Thüringen stärkste Kraft, in Sachsen liegt sie Kopf an Kopf mit der CDU. Dass die AfD in einem der Länder regieren wird, ist aber unwahrscheinlich. Denn: Keine andere Partei will mit ihr koalieren, also zusammenarbeiten.
Trotzdem kann die AfD viel Einfluss nehmen, wenn sie ein Drittel der Abgeordneten in den neuen Landtagen stellt. Und zwar so: Kommt die AfD auf über ein Drittel der Sitze im Landtag, hat sie Einfluss durch die sogenannte Sperrminorität. In Sachsen verfügt die AfD jedoch nicht über dieses Instrument. Damit können Abstimmungen blockiert werden, zum Beispiel:
Bei der Ernennung neuer Verfassungsrichter
Bei Änderungen der Landesverfassung
Bei der Auflösung des Landtages
Denn: Für diese Abstimmungen ist eine Zweidrittelmehrheit nötig.
3. Populismus zahlt sich aus - oder ist es Bürgernähe?
In Thüringen und Sachsen halfen der AfD wie auch dem BSW ihre scharfen Attacken gegen die etablierten Parteien. Sie werfen ihnen vor, Politik gegen "die Menschen" zu machen - und versprechen einen Neuanfang. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer punktete ebenfalls mit Distanz zu Berlin - in diesem Fall zur CDU-Zentrale - und schaffte es, seinen Stimmenanteil im Wesentlichen zu halten.
So warb Kretschmer für ein "Einfrieren" des Ukraine-Kriegs sowie für eine Obergrenze für Asylbewerber zu einer Zeit, als dies in der Parteizentrale nicht gut ankam. Diese im Osten so wichtigen Themen setzte auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht. Bequem war dabei für beide, dass eine Landesregierung dafür nicht zuständig ist.
Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen seien auch "ein Signal für eine andere Außenpolitik“, sagt die Vorsitzende des BSW, Sahra Wagenknecht. 01.09.2024 | 3:33 min
Dem "Volk aufs Maul gucken" sei immer schon Teil der Demokratie gewesen, sagte der Dresdner Politologe Hans Vorländer kürzlich in einem ARD-Podcast. Gefährlich werde Populismus dann, wenn demokratische Institutionen infrage gestellt würden.
Diese feine Linie werden wohl noch andere Politiker als Erfolgsrezept testen. Immerhin: Die Wahlbeteiligung war in beiden Ländern deutlich höher als 2019. Knapp drei von vier Wahlberechtigten stimmten ab.
Bei jungen Wählern gab es einen großen Gewinner: die AfD, so Stefan Leifert vom ZDF-Politbarometer. Die Wahlbeteiligung war bemerkenswert hoch – in Sachsen ein "Rekordwert".01.09.2024 | 1:06 min
4. Demonstrationen haben die AfD nicht gestoppt
Noch kurz vor der Wahl gingen in Dresden und Erfurt Tausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Am Sonntagabend zogen rund 400 Menschen vor den Erfurter Landtag, um gegen das Erstarken der AfD zu protestieren.
Solche Demonstrationen gab es seit Januar, seit den Enthüllungen des Medienhauses "Correctiv" über ein Treffen rechter Kräfte mit AfD-Politikern in Potsdam. Gestoppt haben diese Proteste die AfD nicht, ebenso wenig die Warnungen von Kirchen oder Wirtschaftsverbänden.
5. Die eigentliche Bewährungsprobe für die SPD ist Brandenburg
In knapp drei Wochen, am 22. September, wird in Brandenburg gewählt. Dabei könnten sich die politische Unsicherheit in Thüringen und Sachsen auswirken - womöglich ziehen Wählerinnen und Wähler den Schluss, dass etwas mehr Stabilität wünschenswert wäre.
Von zentraler Bedeutung ist diese dritte ostdeutsche Landtagswahl aber für die Kanzlerpartei SPD, denn anders als in Thüringen und Sachsen verteidigt sie in Brandenburg das Amt von Ministerpräsident Dietmar Woidke.
Nach den Ergebnissen der Landtagswahlen müsse man jetzt noch mehr die eigene Politik erklären und für die eigenen Positionen werben, sagt Saskia Esken, Parteichefin der SPD.01.09.2024 | 3:31 min
Geht das schief, dürfte in der SPD eine weitere Grundsatzdebatte anstehen, womöglich auch über Bundeskanzler Olaf Scholz. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert deutete das am jetzigen Wahlabend schon mal an. Der Kanzler sei der Kopf der Regierung, er werde am meisten identifiziert mit dem, wie man sich aus Berlin regiert fühle, sagte Kühnert im ZDF. "Da habe ich viele Menschen in den beiden Ländern getroffen, die da eher Unzufriedenheit haben."
Die SPD habe verhindern können, aus den Landtagen rauszufallen, sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Das Ergebnis sei jedoch kein Grund zur Freude.01.09.2024 | 6:12 min