Dauerkrise Deutschland: Wie uns die politische Lage belastet

    Interview

    Landtagswahlen und Solingen:Wie sich der Dauerkrisenmodus auf uns auswirkt

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    Rund um die Landtagswahlen und nach dem Anschlag von Solingen scheint die Politik im Dauerkrisenmodus. Was macht das mit uns? Ein Interview mit Psychologe Christian Stöcker.

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    Gefühlte Bedrohungen machen Schlagzeilen, bestimmen zunehmend die Politik - und spielen Rechtsextremen in die Hände. Seit Jahren befinden wir uns - so wird es uns täglich vermittelt - im Dauerkrisenmodus. Statt konstruktiv über Lösungen zu beraten, den Menschen Mut zu machen, wird verbal auf den Panikknopf gedrückt. Das erleben wir vor allem gerade rund um die Landtagswahlen und nach dem grausamen Anschlag von Solingen. Was macht diese hysterische Diskussionskultur mit uns?
    ZDFheute: Aktuelle Berichte lassen vermuten, wirtschaftlich steht Deutschland offenbar am Abgrund, in der Migrationsfrage hat CDU-Chef Merz die nationale Notlage ausgerufen und es heißt, Kanzler Scholz habe die Kontrolle verloren - was macht diese Katastrophenrhetorik mit den Menschen?
    Christian Stöcker: Ich glaube, dass es schon so ein Grundgefühl davon gibt, dass Sachen nicht klappen. Also jeder, der letztens mal mit der Bahn gefahren ist, hat entsprechende Erlebnisse gehabt. Aber ich glaube, dass es dringend an der Zeit wäre, verbal mal wieder etwas abzurüsten. Also eine nationale Notlage - so schlimm diese Gewalttat von Solingen ist, ist nicht zu erkennen.
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    In Deutschland sind in den letzten 20 Jahren etwa zwei Dutzend Menschen von islamistischen Terroristen ums Leben gebracht worden, es sterben jedes Jahr um Größenordnungen mehr Menschen im Straßenverkehr. Deshalb ruft keiner eine nationale Notlage aus. Also es ist ein Klima, das momentan auch in der politischen Debatte befeuert wird von einer Katastrophensituation, die sich so im Moment nicht in realen Falten abbilden lässt.

    Terra X - die Wissens-Kolumne
    :Populisten und die Angst vor Kontrollverlust

    Wenn das Gefühl von Kontrollverlust einsetzt, scheinen wir oft empfänglich für einfache Antworten. Was steckt aus psychologischer Sicht dahinter, und wie können wir damit umgehen?
    von Eric Mayer
    Terra X - Die Wissens-Kolumne: Eric Mayer
    Kolumne
    ZDFheute: Gefühlte Bedrohungen nehmen stark zu - beispielsweise die Angst, dass mit der Zuwanderung mehr Gewalttäter in unser Land kommen. Reale Risiken werden - wie der Klimawandel, der im Wahlkampf gar keine Rolle gespielt hat - ausgeblendet. Wie ist das zu erklären?
    Stöcker: Da spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle. Es ist der, aus meiner Sicht, irrgeleitete Versuch der Union der AfD sozusagen das Wasser abzugraben, indem man Teile ihrer Rhetorik übernimmt. Die Politikwissenschaft sagt, das ist keine gute Idee, aber bisher scheint das bei der Führungsspitze der Union nicht angekommen zu sein. Der Klimawandel hat das Problem als Problem, dass er für die meisten Menschen einfach sehr abstrakt ist.

    … ist Kognitionspsychologe und Professor an der HAW Hamburg. Dort leitet er den Studiengang Digitale Kommunikation.

    Das ändert sich sicherlich in dem Moment, wenn sie selber Opfer einer Extremwetterkatastrophe werden. Aber für viele andere ist es eben sehr viel leichter - und das ist eine psychologische Grundkonstante der Menschheitsgeschichte - andere Menschen eher als Bedrohung wahrzunehmen als so was abstraktes wie: "Wir verändern die Zusammensetzung unserer Erdatmosphäre - und damit auch irreversible Änderungen für das Klima auf unserem Planeten."
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    Also, es ist sehr viel schwieriger, das langfristige politische Problem der Klimakrise so zu emotionalisieren und zu personalisieren wie das eben mit solchen Dingen wie Terroranschlägen geht.
    ZDFheute: Haben mittlerweile auch die etablierten Parteien sprachlich das Maß der Mitte verloren und stärken sie mit ihrem Krisen-Wording vor allem die AfD und auch das Bündnis Sahra Wagenknecht?
    Stöcker: Empirische Politikwissenschaft sagt ganz klar: Ja. Es gibt diverse Studien mit unterschiedlicher Methodik, die immer wieder zeigen, wenn Volksparteien die Rhetorik und die Themen von populistischen Parteien übernehmen, dann profitieren nicht die Parteien, die die Rhetorik übernehmen, sondern die Parteien, von denen die Rhetorik kommt.
    Das ist eine ganz klare Sache. Leute wählen das Original. Das sehen wir übrigens auch an der Wählerwanderung in Sachsen und Thüringen. Die Leute sind von der Union zur AfD und zum BSW gewandert. Zu der Union niemand. Die Rhetorik treibt den Populisten die Wählerinnen und Wähler im Moment in die Arme. Leider.
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    ZDFheute: Schlagzeilen müssen knallen, Klicks erzeugen - welche Rolle spielen die Medien dabei, dass Emotionen zunehmend in den Vordergrund und Fakten in den Hintergrund rücken?
    Stöcker: Also es gibt sehr viel sehr guten Journalismus in Deutschland. Aber die Art und Weise wie politischer Journalismus funktioniert, ist ganz einfach das Erzählen von Personen und Stellungnahmen. Und in dem Moment, in dem man mit den Stellungnahmen versucht, so ein bisschen in die populistische Kerbe zu hauen, einfach reproduziert, erzeugt man natürlich dieses Klima: "Es ist alles ganz schlimm und ganz schrecklich". Jedes Sprechen über die vermeintliche Bedrohung erzeugt - Verfügbarkeitsheuristik ist das Stichwort - das Gefühl, es wird tatsächlich immer alles schlimmer.
    Das Interview führte Yve Fehring.

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    Quelle: ZDF

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