FAQ
Folgen des Karlsruher Urteils:Haushaltssperre: Was die Ampel noch tun kann
von Kristina Hofmann
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Alle mittel- und langfristigen Ausgaben auf Eis. Nach dem Karlsruher Urteil ist die Ampel-Regierung in finanzieller Not. Was tun? Über welche Lösungen jetzt diskutiert wird.
Die Abstimmung über den Etat-Entwurf 2024 wurde verschoben. Das entschied der Haushaltsausschuss aufgrund zu großer Unsicherheiten infolge des Karlsruher Urteils.22.11.2023 | 1:47 min
Die Schockwellen des Karlsruher Haushaltsurteils haben den Bundestag erreicht. Die Abgeordneten des Haushaltsausschusses ließen sich am Dienstag von verschiedenen Sachverständigen beraten.
Denn die Ratlosigkeit ist groß, seitdem das Bundesverfassungsgericht 60 Milliarden für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) und das ganze Konstrukt, neue Projekte aus alten Krediten zu bezahlen, gekippt hat.
Viele Fragen, unklare Auswirkungen auf den Haushalt
Kann man zum Beispiel noch den Haushalt für nächstes Jahr verabschieden oder ist er nun komplett verfassungswidrig? Eigentlich ist die Abstimmung für diesen Donnerstag geplant.
Die Haushaltskrise setzt die Regierung massiv unter Druck. Wie die Ampel-Koalition das überstehen kann, berichtet Shakuntala Banerjee aus Berlin.22.11.2023 | 0:56 min
Wie könnte die Regierung die fehlenden 60 Milliarden Euro für Transformationsprojekte auftreiben, ohne die Schuldenbremse zu reißen: durch Steuererhöhung, durch Kürzungen woanders? Was ist mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), von dem die Energiepreisbremsen bezahlt werden?
Viele Ideen liegen auf dem Tisch, über die am Ende die Regierungsparteien entscheiden müssen. Zu vielen Ideen gibt es meist konträre Meinungen - je nachdem, von welcher Partei die Sachverständigen bestellt wurden. Auch unterschiedliche Einschätzungen, welche Auswirkungen das Urteil haben könnte.
Anteile der einzelnen Posten am Bundeshaushalt 2024
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Schnelle Lösung für Haushalt gefordert
Jens Südekum, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Düsseldorf, findet ja: Der Kern-Haushalt sei ausverhandelt, sagte der von der SPD bestellte Sachverständige. Strittig seien lediglich die 60 Milliarden Euro des KTF, deren Finanzierung müsse man nun schnell klären - und könne das im nächsten Jahr durch einen Nachtragshaushalt regeln. Die Verunsicherung, so Südekum, bei Unternehmen und Privatleuten, die sich auf die Förderprogramme aus diesem Fonds verlassen hatten, sei groß. "Wir brauchen ganz schnell eine Lösung."
Die Wirtschaft fordert von der Politik Planungssicherheit. Die Unternehmen fürchten, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Milliardenhilfen ausbleiben.22.11.2023 | 1:33 min
Doch für Hanno Kube von der Universität Heidelberg geht das gerade nicht. Er hatte die Union bei der Klage in Karlsruhe vertreten. Wenn es verfassungswidrig sei, dass wie im KTF Corona-Kredite für Klimaprojekte verwendet werden, dann seien auch andere Sondervermögen nicht mit der Verfassung vereinbar. Wie etwa die Energiepreisbremsen aus dem WSF.
Mit 31,2 Milliarden Euro sind daraus allein in diesem Jahr die steigenden Energiepreise abgefedert worden. Die Kredite dafür stammen aus dem Jahr 2022 und zum Teil aus einem Nachtragshaushalt von 2023. Doch genau das Umschichten von Jahr zu Jahr hat das Bundesverfassungsgericht gekippt. Kube sagte, dass deswegen alle Sondervermögen nachberechnet werden müssen: "Es muss insgesamt noch einmal ein Kassensturz vorgenommen werden."
Das Finanzministerium hat für alle Ministerien eine Haushaltssperre verhängt. Wie und wo wird nun gespart? Die Ampel-Regierung muss einen neuen, gemeinsamen Haushaltskurs finden.21.11.2023 | 2:32 min
Möglich wäre, dass der Haushalt dieses Jahr nicht mehr beschlossen wird. In den Wahljahren ist das durchaus üblich. Alle rechtlich verbindlichen Ausgaben werden gezahlt, über alle Extra-Ausgaben muss der Bundestag einzeln entscheiden. "Das ist umständlicher, aber die Bundesregierung ist nicht handlungsunfähig", so Jan Keller vom Bundesrechnungshof. Neues könne durchaus auf den Weg gebracht werden.
Kann man die Schuldenbremse umgehen?
Mit der Schuldenbremse hat sich die Bundesregierung rechtlich verpflichtet, die Aufnahme von Krediten zu beschränken. Die FDP will an ihr festhalten, Grüne und SPD würden sie aussetzen. Der Jurist Henning Tappe von der Universität Trier hält es für rechtlich zulässig, die Schuldenbremse quasi zu umgehen. Nämlich dann, wenn die Schulden nicht schon miteingeplant sind, sondern sich erst beim Ausgeben ergeben.
Das wäre aktuell der Fall, da die 60 Milliarden im KTF bei der Planung des Haushalts da waren, durch das Karlsruher Urteils jetzt aber fehlen. Laut dem von den Grünen bestellten Sachverständigen könnten diese Schulden dann im Laufe der Jahre abgestottert werden.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat das Finanzministerium eine Ausgabensperre für alle Ressorts verhängt. Wie umgehen mit dem 60 Milliarden-Loch? Schuldenbremse aussetzen? Radikal sparen?21.11.2023 | 3:48 min
Der von der AfD bestellte Volkswirtschaftler Dirk Meyer von der Bundeswehr-Universität in Hamburg hat eine andere Idee: Bislang habe die Bundesregierung keine Kredite von der EU für den Umbau der Wirtschaft in Anspruch genommen. Die Kredite aus dem Next-Generation-Programm würden nicht auf die Schuldenbremse angerechnet. Das "grenzt an einen Trick", so Meyer, sei aber möglich.
Besteht eine Notlage, um Schuldenbremse auszusetzen?
Strittig ist, ob die Schuldenbremse vom Bundestag wieder ausgesetzt werden kann, weil eine Notlage herrscht. So wie es auch wegen der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg zwischen 2020 und 2022 der Fall war. Dann könnte das jetzt fehlende Geld durch neue Kredite ausgeglichen werden. Ökonom Meyer von der Bundeswehr-Universität hält das nicht für möglich.
"Die Krise" sei von der Bundesregierung "selbst verschuldet", weil sie die Kreditermächtigungen umgeschichtet hat. Es gebe keine aktuell neue Krise, die Misere sei "ein Versagen der derzeitigen Regierung".
Laut Henning Tappe sind die Spielräume zur Erklärung einer Notbremse allerdings erheblich größer. Zwar seien die Corona-Pandemie und der Beginn des Ukraine-Kriegs schon eine Weile her. Aber die Auswirkungen seien noch spürbar und die wirtschaftliche Krise noch nicht überwunden. Da die Notlage Jahr für Jahr neu erklärt werden müsse, sei die Verlängerung der Notlage "eine Frage der schlüssigen Darlegung".
Gibt es auch eine nachträgliche Notlage?
Kube hält das auch noch nachträglich beim Haushalt 2023 für möglich. "Eine Notlagenerklärung ist möglich, solange noch finanzielle Auswirkungen einer Notlage zu decken sind." Es gehe ja nicht um die Notlage selbst, sondern um die Folgen. Allerdings, schränkt Kube ein, könnte das wegen der hohen Auflagen des Karlsruher Urteils 2023 nur für den WSF gelten. Die Bundesregierung müsse dann deutlich machen, dass die geplanten Förderprogramme eine Folge der Energiekrise und nur durch Notlagenkredite finanzierbar seien.
Im KTF-Fonds waren bislang Förderungen für die Wasserstoffindustrie, Elektromobilität geplant, aber auch Investitionen für die Bahn und zehn Milliarden als Subvention für den Chip-Hersteller Intel.
Für Michael Hüther, vom Institut der Deutschen Wirtschaft und von den Grünen bestellt, ist das schlüssig.
Die Wirtschaft sei seit der Corona-Pandemie in einer schwierigen Lage und müsse nun bis 2045 klimaneutral werden. Dafür müsse die Politik den Rahmen setzen, deswegen sei vieles im KTF "gut begründet". Ohne staatliche Hilfe sei die Transformation der Wirtschaft schwierig. "Und ich mache mir große Sorgen, dass wir in einer langen Stagnationsphase hängen bleiben."
Die Haushaltssperre sorgt für Beunruhigung in der Regierung und in Unternehmen. ZDF-Reporter Shakuntala Banerjee und Frank Bethmann berichten über die Auswirkungen der Sperre. 21.11.2023 | 2:16 min
Steuererhöhungen? Oder mehr sparen?
Die FDP hatte im Wahlkampf versprochen, Steuererhöhungen zu vermeiden. SPD und Grüne würden gerne eine Vermögenssteuer einführen. Der von den Liberalen bestellte Berthold Wigger vom Karlsruher Institut für Technologie hält dagegen: Steuererhöhungen seien falsch, "um öffentliche Haushalte zu konsolidieren". Deutschland habe die höchsten Belastungen für Unternehmen unter den G7-Staaten, die Ertragssteuern seien so hoch, dass hochqualifizierte Fachkräfte lieber in andere Länder gingen.
Und: Um auf 60 Milliarden Euro zu kommen, muss man an vielen Ecken sparen. Südekum glaubt, dass diese Summe weder durch Einsparungen an anderer Stelle noch durch Steuererhöhungen kurzfristig zu erwirtschaften sei. Man brauche für den Umbau der Wirtschaft Förderprogramme in hoher Dimension. Deswegen, glaubt er, sei eine Reform der Schuldenbremse nötig.
Themen
Das Urteil zum Haushalt und die Folgen
Schreiben des Finanzministeriums:Fast gesamter Bundeshaushalt gesperrt
mit Video
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Winnie Heescher, Kiel