Grüne Jugend: Klare Erwartungen an Spitzenkandidat Habeck
Interview
Grüne-Jugend-Sprecherin Nietzard:"Nicht realitätsfremd, was wir fordern"
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Die Grünen stellen sich auf ihrem Parteitag für einen Neustart auf. Welchen Kurs peilt die Grüne Jugend an? Und was erwartet sie von Kanzlerkandidat Robert Habeck?
Auf einem Parteitag in Wiesbaden wollen sich die Grünen neu aufstellen. ZDF-Reporterin Patricia Wiedemeyer berichtet.15.11.2024 | 1:09 min
ZDFheute: Ihre Vorgängerinnen bei der Grünen Jugend sind aus der Partei ausgetreten, weil sie den Kurs der Partei und der Parteispitze nicht mehr mittragen wollten. Hat denn die neue Parteispitze - wahrscheinlich Franziska Brantner und Felix Banaszak - von Ihnen weniger Kritik zu erwarten?
Jette Nietzard: Das kommt darauf an, was sie umsetzen. Die beiden haben Vergangenheit in der Grünen Jugend und wir hoffen sehr, dass sie sich an ihr politisches Aufwachsen bei uns erinnern und unsere Grundüberzeugungen mittragen. Und dann sind wir zuversichtlich, dass das etwas werden kann. Es gehört dennoch zur Wahrheit, dass beide in der Vergangenheit zum Teil eine Politik mitgetragen und befürwortet haben, die wir nicht gutheißen. Aber es geht gerade nicht um Personen, sondern es geht vor allem darum, über Inhalte zu sprechen.
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ZDFheute: Sie sagen, dass die Grüne Jugend sehr wichtig im Wahlkampf sei. Sie würden den Wahlkampf allerdings nur unter der Bedingung mitmachen, dass die Grünen sich erstmal wieder finden. Wo haben die Grünen sich denn verloren?
Nietzard: Die Grünen haben einfach sehr viele Kompromisse mitgetragen in der letzten Regierung. Viele Kompromisse, die wir als Grüne Jugend nicht gut finden. Wenn wir darüber reden, dass das Sicherheitspaket abgestimmt wurde oder die Schuldenbremse immer noch in Kraft ist, dann ist das die Schuld von Christian Lindner.
Wir sehen aber, dass man jetzt sehr viel mehr in Wahlkampfstimmung ist und sich auf die Grundsätze der Grünen zurückbesinnt. Wir sind zuversichtlich, dass das auch über den Wahlkampf hinaus trägt.
ZDFheute: Müssen die Grünen wieder linker werden?
Nietzard: Ja, die Grünen müssen Politik für das Portemonnaie der Menschen machen und das ist das, was bei Menschen auch ankommt. Links bedeutet in diesem Fall, dass Millionäre besteuert werden oder dass Menschen mit geringerem Einkommen am Ende des Monats mehr haben. Lasten müssen in diesem Land gerecht verteilt werden.
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ZDFheute: Sie sind bei der Grünen Jugend auch zuständig für das Thema Migration. Bei dem Thema werden auf dem Parteitag kontroverse Diskussionen erwartet. Einige Parteimitglieder fordern von den Grünen einen schärferen Kurs und stellen auch dementsprechende Anträge. Müssen die Grünen sich beim Thema Migration anders aufstellen?
Nietzard: Wir glauben, dass die Grünen sich eher in die falsche Richtung bewegt haben während der Ampel-Koalition.
Und das bedeutet auch, weitere Asylrechtsverschärfungen abzulehnen. Das bedeutet, keine Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete wie zum Beispiel nach Syrien oder Afghanistan mehr zu befürworten.
ZDFheute: Geht das, was Sie da wollen, nicht an der Realität vorbei, wie sie sich gerade darstellt?
Nietzard: Es ist nicht realitätsfremd, was wir fordern, sondern steht auf Grundlage der Menschenrechte. Und das sollten die Grünen auch. Wir sehen, dass Kommunen überlastet sind. Aber es liegt auch zum Beispiel an der Schuldenbremse, die Christian Lindner hier die letzten Jahre aufrechterhalten hat, wo Deutschland dringend Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen auch in den Kommunen braucht, um zum Beispiel Geflüchtete gut zu integrieren und gut unterzubringen. Die Unterbringungsverhältnisse in Deutschland sind zum Teil menschenunwürdig.
Nach dem Rücktritt der beiden Parteivorsitzenden der Grünen, Lang und Nouripour, ist die Partei Führungslos und auf der Suche nach sich selbst. Die Frage ist: Gelingt der Neustart?30.09.2024 | 2:02 min
ZDFheute: Zuletzt gab es von der Grünen Jugend auch Kritik an Robert Habeck. Finden Sie es richtig, dass Robert Habeck am Wochenende zum Kandidaten der Grünen fürs Kanzleramt aufgestellt werden soll?
Nietzard: Robert Habeck ist der linkeste Kanzler, den wir bei dieser Bundestagswahl in Deutschland wählen können. Robert Habeck steht auf den Grundsätzen der Partei. Wenn er auf diesen Grundsätzen, die wir mitbestimmt haben, Kanzlerkandidat ist, dann ist er die beste Wahl.
Wir sehen kein 'Weiter so' mit einer CDU, die gegen Frauenrechte, gegen Kinderrechte, gegen Menschenrechte ist, sondern wir wollen eine möglichst linke Regierung.
Der Rücktritt des Parteivorstandes biete eine Chance für einen Neuanfang, so Habeck. Auch er trage Verantwortung, aber von einem Regierungsamt trete man nicht einfach zurück.25.09.2024 | 7:22 min
ZDFheute: Robert Habeck fordert von seiner Partei eine gewisse "Beinfreiheit" - damit auch die Möglichkeit, spontane Entscheidungen zu treffen und eigene Akzente zu setzen. Wird er diese "Beinfreiheit" von der Grünen Jugend bekommen?
Nietzard: Man kann nicht bei jedem Punkt schon vorher den Antrag abgestimmt haben. Wichtig aber ist, dass wir für die gleichen Grundsätze stehen. Und ich bin zuversichtlich, dass auch Robert Habeck das tut. Aber das ist auch unsere Bedingung.
ZDFheute: Wenn es nach der Bundestagswahl zu einer schwarz-grünen Mehrheit kommt, gilt für Sie dann "lieber nicht regieren als schwarz-grün regieren"?
Nietzard: Die Frage ist nicht: nicht regieren oder schwarz-grün regieren. Die Frage ist, Mehrheiten zu finden, wo man etwas anderes möglich machen kann. Und dafür stehe ich auf der Straße. Und dann schauen wir uns die Wahlergebnisse an und werden sehen, womit wir da konfrontiert werden. Schwarz-grün auf keinen Fall.
Das Interview führten Clara Stritzinger und Lydia Wolter.
Der Bundeskongress der Grünen Jugend hat Jette Nietzard und Jakob Blasel zu seinen neuen Vorsitzenden gewählt. Der alte Vorstand war nach Kritik an der Partei zurückgetreten.