Gewalt an Frauen: "Schutz darf nicht vom Wohnort abhängen"

    Interview

    Häusliche Gewalt gegen Frauen:"Schutz darf nicht vom Wohnort abhängen"

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    Zunehmende Gewalt gegen Frauen, zu wenige Schutzplätze: Dorothea Hecht vom Verein Frauenhauskoordinierung dringt darauf, das geplante Gewalthilfegesetz auf den Weg zu bringen.

    Frau sitzt auf einem Bett in einem Frauenhaus in Herne
    Weltweit erleiden bis zu 70 Prozent der Frauen mindestens einmal in ihrem Leben sexuelle, körperliche oder seelische Gewalt. Der Aktionstag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen soll darauf aufmerksam machen.25.11.2024 | 2:41 min
    Gewalt an Frauen in Deutschland nimmt drastisch zu -  2023 waren rund 180.000 Mädchen und Frauen Opfer von häuslicher Gewalt betroffen - 17 Prozent mehr als 2019, wie die jüngste Studie zeigt.
    Zugleich ist der Bedarf an Schutzplätzen bei weitem nicht gedeckt – dies führt eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) in den Bundesländern anlässlich des heutigen Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen deutlich vor Augen: Deutschland stellt demnach weniger als die Hälfte der Schutzplätze bereit, die laut Istanbul-Konvention empfohlen werden. Das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen sieht 2,5 Plätze auf 10.000 Einwohner vor.
    Davon ist Deutschland weit entfernt: Je nach Bundesland stehen laut epd-Umfrage lediglich zwischen 0,5 und 1,6 Plätzen zur Verfügung -  nur Bremen ist mit 2,1 Plätzen näher am Ziel.
    Am Mittwoch will das Bundeskabinett über ein Gewalthilfegesetz beraten, mit dem Familienministerin Lisa Paus von Gewalt betroffene Frauen und Kinder besser schützen will. Es verpflichtet den Bund, Schutzangebote verlässlich mitzufinanzieren. Die Grünen-Politikerin will das Gesetz noch vor der vorgezogenen Neuwahl des Bundestages durchbringen, ist aber auf Stimmen der Opposition angewiesen.
    Häusliche Gewalt
    Ob Sexualdelikt, häusliche Gewalt oder Mord: Übergriffe gegen Frauen haben in allen Bereichen zugenommen. Das zeigen die Zahlen des Bundeskriminalamtes. 19.11.2024 | 1:30 min
    Dorothea Hecht vom Verein Frauenhauskoordinierung, die als Anwältin viele von Gewalt betroffene Frauen unterstützt, fordert ein grundsätzliches Umdenken in der Gesellschaft und spricht im ZDFheute-Interview darüber, warum das geplante Gewalthilfegesetz so wichtig ist:
    ZDFheute: Was muss sich in Deutschland verändern, damit sich auch die Situation gewaltbetroffener Frauen und Kinder endlich verändert?
    Dorothea Hecht: Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens, dass Schutz vor Partnerschaftsgewalt uns alle angeht. Die Bedrohung und Gefahr muss von allen damit befassten Berufsgruppen, aber auch vom sozialen Umfeld ernst genommen werden. Die Betroffenen brauchen mehr Informationen und Unterstützungsangebote.
    ZDFheute: Wie würde das geplante Gewalthilfegesetz die Lage der Frauen verbessern?
    Dorothea Hecht: Im Gesetzentwurf wird ein Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung formuliert. Es geht um eine niedrigschwellige Versorgung von Gewaltbetroffenen. Sie sollen sie erhalten, unabhängig von der gesundheitlichen Verfassung, vom Wohnort, vom aufenthaltsrechtlichen Status oder Sprachkenntnissen.
    ARCHIV - 01.07.2023, Berlin: Eine Frau hält ihre Hände vor das Gesicht.
    Gewalt in der Partnerschaft ist in Deutschland keine Seltenheit. Mehr als 14 Frauen pro Stunde erfahren hierzulande Gewalt in ihren Beziehungen.08.03.2024 | 1:11 min
    Außerdem soll es flächendeckend spezifische Beratungsangebote geben. Kinder sind einbezogen. Der Bund gibt Gelder dazu.
    ZDFheute: Warum ist eine gesetzliche Regelung grundsätzlich wichtig?
    Hecht: Ob und unter welchen Bedingungen eine gewaltbetroffene Person Schutz findet - zum Beispiel, ob sie den Aufenthalt selbst bezahlen muss -, hängt aktuell extrem davon ab, wo sie in Deutschland lebt und in welcher Lebenssituation sie ist. Während in Schleswig-Holstein die Unterbringung kostenlos ist, kann ein Schutzplatz in anderen Bundesländern bis zu 100 Euro pro Tag kosten. Diese Situation ist fatal. Gewaltschutz darf nicht vom Wohnort abhängen.

    Dass der Schutz von Frauen und Kindern freiwillige Leistung ist und von politischem Willen oder jeweiliger Haushaltslage abhängt, ist nicht weiter tragbar.

    Dorothea Hecht, Verein Frauenhauskoordinierung

    Eine rechtliche Grundlage forciert den Ausbau des Hilfesystems und ermöglicht Gewaltbetroffenen, ihren Anspruch auf kostenfreien Zugang zu Schutz und Beratung einzufordern.
    Dag Schölper, Bundesforum Männer.
    Männer sind der Familienvorstand, brauchen keine Hilfe. Das ist eine sehr traditionelle Vorstellung von Männlichkeit. Stimmt die Tendenz? Wir reden mit Dag Schölper, Bundesforum Männer. 12.06.2023 | 5:01 min
    ZDFheute: Warum gehören Kinder genauso in den Fokus wie Frauen, wenn es um häusliche Gewalt geht?
    Hecht: Es leben zum Beispiel mehr Kinder mit ihren Müttern in den Frauenhäusern als Frauen. Sie leiden als Mitbetroffene unter der Gewaltbeziehung. Sie sind genauso gefährdet - auch und gerade bei der Durchführung des Umgangsrechts. Gewaltbiographien werden - leider - "vererbt".
    ZDFheute: Eigentlich müsste der Entwurf des Gewalthilfegesetzes doch butterweich durch die Abstimmung kommen, oder gibt es Parteien, die sich damit schwer tun?
    Hecht: Die demokratischen Parteien bekunden alle, dass sie eine Verbesserung des Gewaltschutzes befürworten. Doch zugunsten des Wahlkampfs und der Profilierung der eigenen Partei rückt diese Gemeinsamkeit in der Praxis aktuell leider teilweise in den Hintergrund.
    Und es ist eine Finanzierungsfrage: Bund, Länder und Kommunen müssen verbindlich zusagen, dass sie in die Sicherheit von Frauen und Kindern investieren. Letztlich ist das aber jenseits aller Parteiinteressen auch deshalb geboten, um Deutschlands Verpflichtungen aus europäischen und internationalen Abkommen umzusetzen.



    ZDFheute: Gibt es Länder, an denen wir uns orientieren könnten?
    Spanien hat ein ganzheitliches Gesamtkonzept mit einem effektiven Gewaltschutzgesetz. Österreich ist uns mit einigen Maßnahmen voraus, z.B. mit verpflichtenden Anti-Gewaltkursen. In Frankreich gibt es nach einem Einsatz häuslicher Gewalt erst einmal eine Nacht im Arrest.
    Die Fragen stellte Stephanie Schmidt.




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