Vor G20-Treffen: Deutschland muss das Zuhören lernen
Vor dem G20-Treffen in Neu Delhi:Deutschland muss das Zuhören lernen
von Andreas Kynast, Neu Delhi
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Auf dem G20-Gipfel wird Kanzler Scholz die selbstbewussten Staatslenker des Globalen Südens treffen. Auch wenn die Interessen auseinanderliegen: Deutschland muss lernen zuzuhören.
Es kann, aber es soll nicht passieren: Dass Bundeskanzler Scholz irgendwo auf den Gängen des riesigen Veranstaltungsgeländes in Neu Delhi dem russischen Außenminister Lawrow in die Arme läuft. Ein offizielles Treffen mit dem Repräsentanten des kriegführenden Russland sei nicht vorgesehen, sagt ein deutscher Regierungsvertreter. Aber würde Scholz Lawrow bei einem zufälligen Treffen die Hand geben? Und wird er gemeinsam mit dem Russen für das eigentlich übliche Gipfelfoto posieren? Das werde entschieden, sagt der Insider, wenn es so weit ist.
Globaler Süden zunehmend genervt vom Westen
Die zwei Tage, an denen sich die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zu ihrem jährlichen Gipfel trifft, werden für den deutschen Kanzler ein Tanz auf rohen Eiern. Denn vor allem die Staaten des Globalen Südens haben immer weniger Verständnis für die Berührungsängste westlicher Regierungschefs.
Indien, China, Brasilien und Südafrika reden nicht nur mit Lawrow, sondern schmieden Pläne und machen Geschäfte mit ihm. Und reagieren zunehmend genervt, wenn sie das Gefühl haben, belehrt zu werden.
Keine Verurteilung des russischen Angriffs
Dass sich die G20 noch einmal auf eine Abschlusserklärung einigen, in der der russische Angriff klar verurteilt wird, wie beim vergangenen Gipfel auf Bali, diese Hoffnung hat die deutsche Delegation bereits vor ihrer Anreise aufgegeben.
Scholz´ Reisegruppe wäre inzwischen schon froh, wenn die anwesenden Präsidenten ein grundsätzliches Bekenntnis zur territorialen Integrität aller Staaten unterzeichnen.
Allianz-Versuche des Kanzlers scheitern
Scholz hat in seiner bisherigen Amtszeit viel Zeit und eine Menge Flugkilometer investiert, um Staatslenker wie den Inder Modi, den Chinesen Xi oder den Brasilianer Lula auf die Seite des Westens zu ziehen. Aber was aus den Verhandlungen der Sherpas, der engsten Mitarbeiter, nach außen dringt, klingt nicht ermutigend.
Bei den wichtigsten Themen, dem Krieg gegen die Ukraine und dem Kampf gegen den Klimawandel, sind nicht nur keine Verbesserungen in Sicht, sondern sogar Verschlechterungen möglich.
Deutschlands Auftreten "zu belehrend"
An guten Ratschlägen herrscht kein Mangel. Als der Bundestag in dieser Woche über den Kurs der deutschen Außenpolitik debattierte, waren sich Regierung und Opposition einig: Deutschland müsse lernen zuzuhören.
"Vieles am Auftreten unserer Staaten kommt zu belehrend, zu von oben herab rüber", sagte der FDP-Außenpolitiker Michael Link. "Wir müssen aufhören, als selbstgerechter Westen aufzutreten", kritisierte Jürgen Trittin von den Grünen.
Um die Stimme des Globalen Südens zu stärken, unterstützt Kanzler Scholz den Vorschlag, die Afrikanische Union in die G20 aufzunehmen. Es ist eines der wenigen Vorhaben, bei denen sich die Staatengruppe bereits vor ihrem Gipfeltreffen einig zu sein scheint.
Xi Jinping und Putin nicht dabei
Dass Chinas Präsident Xi Jinping nicht nach Neu Delhi kommt, sondern Ministerpräsident Li Qiang schickt, wird aus der deutschen Delegation nicht kritisiert, auch wenn es die Diplomaten enttäuschen dürfte.
Die Abwesenheit von Russlands Präsident Putin dagegen kommt dem Kanzler entgegen. Im ZDF-Sommerinterview hatte Scholz mit Bezug auf die russischen Kriegsverbrechen erklärt: "Das kann man nicht aus dem Kopf kriegen, wenn man mit so jemandem redet."
Das dürfte auch für Putins Außenminister Lawrow gelten. Falls Scholz ihm irgendwo auf den Gängen in die Arme läuft.
Vertreter der führenden Wirtschaftsnationen der Welt treffen sich ab Samstag im indischen Neu Delhi. Was schon jetzt über die Zusammenkunft bekannt ist.