EU-Politikerin zu Ukraine-Krieg: Putin profitiert von Nahost

    Interview

    Ukraine-Krieg aus Fokus geraten?:"Putin profitiert" von Eskalation in Nahost

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    Die Französin Nathalie Loiseau führt den Verteidigungsausschuss im EU-Parlament. Und sie schlägt Alarm: Was Europa für die Ukraine tue, das reiche nicht.

    Nathalie Loiseau am 04.07.2023 in Brüssel.
    Nathalie Loiseau macht sich große Sorgen, dass die Aufmerksamkeit für den Ukraine-Krieg ins Hintertreffen gerät.
    Quelle: Imago

    Nathalie Loiseau ist gelernte Diplomatin. Doch ihre diplomatische Zurückhaltung hat die 59-Jährige längst abgelegt. Was in den USA und Europa passiere, bereite ihr große Sorgen, sagt Loiseau im Interview mit dem ZDF. Ihr Wort hat Gewicht: Sie leitet den Unterausschuss für Verteidigung im EU-Parlament. Sie gehört der liberalen Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an.
    ZDF: Madame Loiseau, seit vier Wochen hält der Krieg zwischen der Hamas und Israel die Welt in Atem. Was bedeutet das für den Krieg Russlands gegen die Ukraine?
    Nathalie Loiseau: Wir müssen doch in der Lage sein, mit beiden Kriegen gleichzeitig umzugehen! Natürlich ist das, was die Hamas gegen Israel begangen hat, inakzeptabel, und Israel hat das Recht, zurückzuschlagen. Wir dürfen darüber aber nicht vergessen, dass der Krieg in der Ukraine andauert. Und wir sollten nicht glauben, dass wir genug für die Ukraine tun. Mir macht das, was ich aus den USA höre, große Sorgen. Und auch aus Europa gibt es Signale, die mich beunruhigen:

    Die italienische Regierungschefin Meloni hat gerade von Kriegsmüdigkeit im Westen gesprochen - gut, sie wusste nicht, dass sie aufgenommen wurde. Aber ich finde das unanständig.

    Nathalie Loiseau, Verteidigungsausschuss EU-Parlament

    Wir können der Ukraine nicht sagen, dass sie mit ihrer Offensive keinen Erfolg hat - und gleichzeitig ihr nicht stärker helfen.
    Von der Leyen
    Am vergangenen Wochenende war EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erneut in Kiew. Dort traf sie sich mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj.09.11.2023 | 11:45 min
    ZDF: Europa hat die USA in der militärischen Hilfe für die Ukraine überholt - aber es macht weiterhin nicht genug, sagen Sie?
    Loiseau: Nein. Die Bedrohung aus Russland ist eine Bedrohung für uns alle - aber wir begnügen uns mit dem, was wir bisher tun. Und was passiert? Der EU-Außenbeauftragte Borrell hat eine langfristige Unterstützung der Ukraine von 20 Milliarden über die nächsten vier Jahre vorgeschlagen. Dies wäre eine Form von Sicherheitsgarantie für die Ukraine. Doch Ungarn blockiert diese Erhöhung. Man sagt uns, dass wir jetzt die Aufstellung des EU-Haushalts abwarten sollen. Aber erstens weiß ich nicht, ob die Ukraine die Zeit hat zu warten. Und zweitens: Ja, lassen Sie uns den Haushalt überarbeiten. Wir haben über Kriegswirtschaft gesprochen - dabei haben wir nicht mal eine Wirtschaft, die auf die Unterstützung der Ukraine ausgerichtet ist.
    ZDF: Was bedeutet das für Putin?
    Loiseau: Putin profitiert von der Destabilisierung des Nahen Ostens.

    Und wir müssen uns fragen: Wenn wir nicht mal in der Lage sind, der Ukraine zum Sieg zu verhelfen - wozu sind wir dann in der Lage? Wir, der Westen, Europa und die USA?

    Nathalie Loiseau, Verteidigungsausschuss EU-Parlament

    ZDF: Die Politik in den USA aber werden wir aus Europa nicht ändern können.
    Loiseau: Da haben Sie recht. Und natürlich besteht das Risiko, dass wir nach Präsidentschaftswahlen in den USA im nächsten Jahr einen Präsidenten haben, der die Unterstützung für die Ukraine nicht fortsetzen will. Und wir müssen uns klarmachen: Was in der Ukraine passiert, ist für uns in Europa viel wichtiger als für die USA. Deshalb setze ich mich für eine eigene europäische Verteidigungspolitik ein, als Vorsitzende des Ausschusses im Parlament. Nur schaue ich auch auf die Zahlen:

    Allein Nordkorea hat seit August eine Million Schuss Munition nach Russland geschickt - Europa hatte diesen Plan für ein ganzes Jahr. Aber wir sind erst bei 300.000 Schuss. Wir müssen schneller werden!

    Nathalie Loiseau, Verteidigungsausschuss EU-Parlament

    ZDF: Aber die Appelle scheinen nicht erhört zu werden.
    Loiseau: Ja, leider. Ich kann nur daran erinnern, wie wir damals auf die Covid-Krise reagiert haben. Aus dem Nichts heraus haben wir ein Konjunkturprogramm erschaffen. Und wir haben gesagt, dass wir die Europäer vor einer Krankheit schützen werden - was auch immer es kostet.

    Jetzt müssen wir uns vor der Bedrohung durch ein autoritäres, aggressives Regime schützen. Was auch immer es kostet.

    Nathalie Loiseau, Verteidigungsausschuss EU-Parlament

    Das Interview führte Florian Neuhann, Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.
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