EU-Politikerin zu Ukraine-Krieg: Putin profitiert von Nahost
Interview
Ukraine-Krieg aus Fokus geraten?:"Putin profitiert" von Eskalation in Nahost
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Die Französin Nathalie Loiseau führt den Verteidigungsausschuss im EU-Parlament. Und sie schlägt Alarm: Was Europa für die Ukraine tue, das reiche nicht.
Nathalie Loiseau macht sich große Sorgen, dass die Aufmerksamkeit für den Ukraine-Krieg ins Hintertreffen gerät.
Quelle: Imago
Nathalie Loiseau ist gelernte Diplomatin. Doch ihre diplomatische Zurückhaltung hat die 59-Jährige längst abgelegt. Was in den USA und Europa passiere, bereite ihr große Sorgen, sagt Loiseau im Interview mit dem ZDF. Ihr Wort hat Gewicht: Sie leitet den Unterausschuss für Verteidigung im EU-Parlament. Sie gehört der liberalen Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an.
Nathalie Loiseau: Wir müssen doch in der Lage sein, mit beiden Kriegen gleichzeitig umzugehen! Natürlich ist das, was die Hamas gegen Israel begangen hat, inakzeptabel, und Israel hat das Recht, zurückzuschlagen. Wir dürfen darüber aber nicht vergessen, dass der Krieg in der Ukraine andauert. Und wir sollten nicht glauben, dass wir genug für die Ukraine tun. Mir macht das, was ich aus den USA höre, große Sorgen. Und auch aus Europa gibt es Signale, die mich beunruhigen:
Wir können der Ukraine nicht sagen, dass sie mit ihrer Offensive keinen Erfolg hat - und gleichzeitig ihr nicht stärker helfen.
Am vergangenen Wochenende war EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erneut in Kiew. Dort traf sie sich mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj.09.11.2023 | 11:45 min
ZDF: Europa hat die USA in der militärischen Hilfe für die Ukraine überholt - aber es macht weiterhin nicht genug, sagen Sie?
Loiseau: Nein. Die Bedrohung aus Russland ist eine Bedrohung für uns alle - aber wir begnügen uns mit dem, was wir bisher tun. Und was passiert? Der EU-Außenbeauftragte Borrell hat eine langfristige Unterstützung der Ukraine von 20 Milliarden über die nächsten vier Jahre vorgeschlagen. Dies wäre eine Form von Sicherheitsgarantie für die Ukraine. Doch Ungarn blockiert diese Erhöhung. Man sagt uns, dass wir jetzt die Aufstellung des EU-Haushalts abwarten sollen. Aber erstens weiß ich nicht, ob die Ukraine die Zeit hat zu warten. Und zweitens: Ja, lassen Sie uns den Haushalt überarbeiten. Wir haben über Kriegswirtschaft gesprochen - dabei haben wir nicht mal eine Wirtschaft, die auf die Unterstützung der Ukraine ausgerichtet ist.
Loiseau: Putin profitiert von der Destabilisierung des Nahen Ostens.
ZDF: Die Politik in den USA aber werden wir aus Europa nicht ändern können.
Loiseau: Da haben Sie recht. Und natürlich besteht das Risiko, dass wir nach Präsidentschaftswahlen in den USA im nächsten Jahr einen Präsidenten haben, der die Unterstützung für die Ukraine nicht fortsetzen will. Und wir müssen uns klarmachen: Was in der Ukraine passiert, ist für uns in Europa viel wichtiger als für die USA. Deshalb setze ich mich für eine eigene europäische Verteidigungspolitik ein, als Vorsitzende des Ausschusses im Parlament. Nur schaue ich auch auf die Zahlen:
ZDF: Aber die Appelle scheinen nicht erhört zu werden.
Loiseau: Ja, leider. Ich kann nur daran erinnern, wie wir damals auf die Covid-Krise reagiert haben. Aus dem Nichts heraus haben wir ein Konjunkturprogramm erschaffen. Und wir haben gesagt, dass wir die Europäer vor einer Krankheit schützen werden - was auch immer es kostet.
Das Interview führte Florian Neuhann, Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.