Interview
Inhaftierter Bürgermeister Istanbuls:Imamoglu: "Niemand ist sicher" vor Erdogan
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In einem Gastbeitrag schreibt der festgenommene Istanbuler Bürgermeister, Ekrem Imamoglu, über die Zerstörung der Demokratie in der Türkei - und warnt vor Präsident Recep Erdogan.
Der inhaftierte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu erhebt in einem Gastbeitrag für die "New York Times" scharfe Vorwürfe gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Er spricht von einer gezielten Demontage der Demokratie und warnt: "Niemand ist sicher. Stimmen können für ungültig erklärt, Freiheiten in einem Augenblick entzogen werden."
Unter Erdogan hat sich die Republik in eine Republik der Angst verwandelt.
Ekrem Imamoglu
Seit Jahren habe "Erdogans Regime die demokratischen Kontrollmechanismen ausgehöhlt, Medien zum Schweigen gebracht, gewählte Bürgermeister durch Bürokraten ersetzt, das Parlament entmachtet, die Justiz unter Kontrolle gebracht und Wahlen manipuliert".
Er sei von schwer bewaffneten Polizeikräften festgenommen worden. "Die Szene glich der Festnahme eines Terroristen – nicht der eines gewählten Bürgermeisters von Istanbul, der größten Stadt der Türkei", schreibt Imamoglu in der Zeitung.
Imamoglu: Universitätsabschluss mit Vorsatz aberkannt
Neben Korruptions- und Terrorvorwürfen sei ihm auch sein Universitätsabschluss 31 Jahre nach seinem Abschluss aberkannt worden, so der inhaftierte Bürgermeister.
Die Behörden schienen zu glauben, dass mich dies von der Kandidatur ausschließen würde.
Ekrem Imamoglu
"Da die Verfassung vorschreibt, dass der Präsident einen Hochschulabschluss haben muss", schreibt er weiter. Der Bürgermeister von Istanbul sieht einen gezielten Angriff auf die Opposition:
Da er mich an der Wahlurne nicht besiegen kann, hat Erdogan andere Mittel gewählt.
Ekrem Imamoglu
Imamoglu wirft Westen Untätigkeit vor
Er kritisiert das Verhalten westlicher Regierungen scharf: "Das Schweigen ist ohrenbetäubend", schreibt er. Washington habe lediglich "Besorgnis über die jüngsten Verhaftungen und Proteste" geäußert.
Mit wenigen Ausnahmen haben europäische Staats- und Regierungschefs keine klare Stellung bezogen.
Ekrem Imamoglu
Imamoglu gilt als größter politischer Rivale von Präsident Erdogan. Vergangene Woche war der beliebte Oppositionspolitiker nach Korruptionsvorwürfen inhaftiert worden – vier Tage vor der parteiinternen Vorwahl der Republikanischen Volkspartei (CHP) für die Präsidentschaftswahl. Terrorermittlungen gegen ihn laufen noch.
In der Türkei gehen seit Imamoglus Festnahme jeden Tag Zehntausende Menschen auf die Straße. Dabei ist es wiederholt zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Laut dem türkischen Innenministerium wurden seit Beginn der Proteste mehr als 1.800 Menschen vorübergehend festgenommen, darunter zahlreiche Journalisten. Die CHP hat für Samstag in Istanbul erneut zu einer Großkundgebung aufgerufen.
Schwedischer Journalist in der Türkei festgenommen
Ein bei seiner Ankunft in der Türkei festgenommener schwedischer Journalist war von den Behörden am Freitag in ein Gefängnis gebracht worden. Das bestätigte Chefredakteur Andreas Gustavsson der schwedischen Zeitung "Dagens ETC". "Wir wurden nicht über die Anschuldigungen gegen ihn informiert", fügte er hinzu.
Joakim Medin war am Donnerstag in die Türkei gereist, um über die dortigen Massenproteste zu berichten. Türkischen Medienberichten zufolge wird ihm vorgeworfen, Erdogan "beleidigt" zu haben und "Mitglied einer bewaffneten Terrororganisation" zu sein.
Quelle: chrz, ZDF, dpa, AP
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