Tschechien: Ukrainische Flüchtlinge als Arbeitskräfte
Ukrainer in Tschechien:Kriegsflüchtlinge als Wirtschaftsfaktor
von Britta Hilpert
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Kein Land der EU hat proportional mehr Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen als Tschechien. Was eine finanzielle Belastung war, mausert sich zum Vorteil für die Wirtschaft.
Während die Integration ukrainischer Geflüchteter in Deutschland schleppend vorangeht, wirkt sie sich in Tschechien positiv auf die Wirtschaft und das Gemeinwohl aus.09.07.2024 | 2:03 min
Leise gurgelnd läuft das Bier in das eiskalte Glas. Diese tschechischste aller Fertigkeiten ist für die ukrainische Studentin Nika längst Routine. Sie hat im Westen der Ukraine, in Czernowitz, studiert und kam kurz nach Kriegsbeginn nach Prag. Ihr Studium der Philologie macht sie nun aus der Ferne weiter. Weil auch Tschechien Fachkräftemangel kennt, war sie sofort im Job.
70 Prozent aller Ukrainer arbeiten regulär
Vom Staat habe sie nur wenig Hilfe erhalten, sagt Nika. Aber:
Die Menschen aus der Ukraine arbeiten in Tschechien oft unter Qualifikation, als Kuriere, in der Gastronomie, oder auf dem Bau. Die tschechische Sprache ist zwar anders, aber dem Ukrainischen ähnlich. Das ist ein Grund für die schnelle Integration. Ein weiterer: Es gab schon vor dem Krieg in der Ukraine viele Ukrainer in Tschechien - das Netzwerk funktioniert.
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Nun hat auch die Politik Maßnahmen ergriffen, um die Integration in den Arbeitsmarkt zu beschleunigen, erklärt Marian Jurečka, tschechischer Arbeitsminister: "Der Staat hat kürzlich die Unterstützung für arbeitsfähige Menschen von 150 Tagen auf 90 Tage gekürzt. Wir erwarten, dass jemand nach drei Monaten arbeiten geht, wenn er kann." Das zeige Wirkung, meint der Minister.
Ukrainer sind keine Last und trotzdem unbeliebt
Trotzdem ändert sich die Stimmung, erzählen Nastya und Olga. Sie leben bereits seit zehn Jahren in Tschechien, vor zwei Jahren lernten sie sich kennen, als beide Flüchtlingen halfen.
Im Interview erklärt der ukrainische Außenminister, dass er als Diplomat immer ein Pokerface behält. Und bereit sei, mit Russland an den Verhandlungstisch zu gehen.27.06.2024 | 24:01 min
Sie gründeten die Boutique Gogola, verkaufen dort erfolgreich ukrainische Mode. Mit den Einnahmen helfen sie Soldaten und Flüchtlingen aus der alten Heimat. "Ich hatte 19 Personen in meiner Wohnung, viele Kinder.", erzählt Nastya von den ersten Tagen nach Kriegsausbruch. "Meine Cousine, ihr Mann und ihre Tochter sind hier geblieben. Sie arbeitet mittlerweile als Maskenbildnerin."
Nastya und Olga helfen ihren Landsleuten bei der Bürokratie, bei der Arbeitssuche. Und trotzdem tun manche Tschechen so, als seien Ukrainer eine Last, so erzählt es Olga. "Wir hören jetzt manchmal Schimpfwörter und man ruft uns zu: "Ihr Ukrainer und Ukrainerinnen, wir wollen euch nicht hier!" Das haben wir im Geschäft an der Kasse, oder auf dem Parkplatz erlebt."
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Es seien schon Ukrainer zurückgegangen, erzählen sie - das sei ein Nachteil für Tschechien, meint der Arbeitsminister.
Tschechien: Viele Flüchtlinge wirtschaftlich unabhängig
Bei der NGO Slovo21 haben sie die Situation der Ukrainer in Tschechien näher untersuchen lassen. Jelena Silajdzic, die selbst vor 25 Jahren als Flüchtling des Balkankrieges nach Prag kam, erzählt von den Ergebnissen der Studie: Ukrainer seien schon seit rund 15 Jahren die größte ausländische Gruppe in Tschechien, aber der Kriegsbeginn 2022 brachte noch mal einen großen Schwung.
Europa war für Ungarn, Slowenen, Tschechen und Slowaken das Versprechen von Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Was ist daraus geworden, was hat sich in 20 Jahren EU verändert?25.04.2024 | 44:15 min
"Die meisten dieser Menschen sind nun wirtschaftlich unabhängig und leben schon nicht mehr in Massenunterkünften. Aber viele sind unglücklich darüber, dass sie keinen Job haben, der ihrem Bildungsniveau entspricht." Warten auf Anerkennung der Diplome, auf eine bessere Chance sei aber keine Option, sagt Jelena Silajdzic.
Britta Hilpert leitet das ZDF-Studio Wien und ist zuständig für Osteuropa.
Millionen Ukrainer haben ihre Heimat bereits verlassen. Sollte Russland den Krieg gewinnen, würden weitere Millionen folgen, warnt der Migrationsforscher Gerald Knaus.