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Jugendliche zu Morden erpresst?:Wie Schweden gegen Bandenkriminalität kämpft
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Im einst so idyllischen Schweden rumort es. Seit Jahren fordern Schießereien und Bombenexplosionen im Gang-Milieu die liberale Gesellschaft heraus. Der Staat sucht eine Lösung.
13.000 Euro - so viel Geld sollen drei Jugendliche pro Kopf für drei Morde in Schweden bekommen haben. Die mutmaßlichen Bandenmitglieder stehen gerade vor Gericht. Ein 16-Jähriger soll die Morde an einem Familienvater und zwei Frauen begangen haben, mit Unterstützung von einem Freund und einer Freundin. Auftraggeber, so die Ermittlungen der Polizei, sei ein Bandenchef.
Morde geschehen hier am hellichten Tag, so auch kürzlich am 10. April. Der 39-jährige Familienvater Mikael Janicki wird in einer Unterführung in einem Stockholmer Vorort erschossen. Vor den Augen seines 12-jährigen Sohnes, auf dem Weg ins Schwimmbad. Die Bandengewalt in Schweden erschüttert das Land.
"Es fühlt sich so an, als hätten die Gangs die Macht übernommen", sagt seine Schwester Aneta Demir. "Dass wir uns ihnen anpassen müssen und sie genau wissen, was sie tun dürfen."
Und werden sie erwischt, gibt es keine gefährlichen Strafen, die sie zum Nachdenken bringen.
Aneta Demir, Schwester eines Mordopfers
Mikael hatte in der Unterführung, in der oft Drogen verkauft werden, offenbar ein paar Jugendliche zur Rede gestellt. Kürzlich wurde ein 18-jähriger Tatverdächtiger mit irakischen Wurzeln festgenommen, der zur Tatzeit 17 Jahre alt war. Zum Stand der Ermittlungen gegen ihn teilte die Polizei bislang nichts mit.
Bandengewalt in schwedischen Vororten
Lange galt die Gewalt der Jugendgangs als Phänomen der sogenannten Problemviertel schwedischer Großstädte, in denen vor allem Migranten leben. Doch inzwischen ist die Gewalt allgegenwärtig. Statistisch gesehen starb in den vergangenen Jahren fast täglich ein Mensch in Schweden durch Schusswaffen-Gewalt. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl so viel wie nirgendwo sonst in Europa.
Offen zur Schau getragene Gewalt werde bewusst in Szene gesetzt, so Daniel Vesterhav vom Rat zur Gewaltprävention, einem Institut, das die Entwicklung der landesweiten Kriminalität im Auftrag des Justizministeriums untersucht. "Wir nennen es Einschüchterungskapital", erklärt der Wissenschaftler.
Es dient dazu, seinen Ruf zu festigen, seine Position im kriminellen Milieu zu halten.
Daniel Vesterhav Rat zur Gewaltprävention
Hinter den Gangs mit ihren oft jugendlichen, noch strafunmündigen Mitgliedern stecke organisierte Kriminalität, so die schwedische Polizei. Drahtzieher, wie den irakischen Kurden Rawa Majid oder seinen Konkurrenten Ismail Abdo, vermutet sie in der Türkei.
"Diese Banden", weiß Polizist Saman Asad, "verkaufen den jungen Leuten ein Image von viel Geld und teuren Autos." Doch am Ende hätten die Jugendlichen in den Gangs nur noch Angst um ihr Leben.
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Mehr Überwachung soll Sicherheit bringen
"Wir waren einfach zu naiv", meint der Bestseller-Autor und Jurist Jens Lapidus. Als Strafverteidiger sammelte er Erfahrungen mit den jungen Gang-Mitgliedern. "Als so viele Menschen in unser Land kamen, dachten wir, sie fügen sich in unser System ein und sind am Ende einfach nett."
Eine Statistik des Instituts Brå zeigte 2018, dass die Wahrscheinlichkeit, strafrechtlich in Schweden in Erscheinung zu treten, bei zwei im Ausland geborenen Eltern drei Mal höher ist als bei zwei in Schweden geborenen Eltern.
Der Staat reagiert. Mit mehr Kameras, mehr Polizei, härteren Gesetzen. Doch die rechten Schwedendemokraten, die die bürgerliche Minderheitsregierung stützen, fordern mehr. "Mit Integration wird man das Problem nicht lösen", so Parteisprecher Richard Jomshof. "Man muss vielmehr die Einwanderung reduzieren und diejenigen, die kein produktiver Teil unserer Gesellschaft sein wollen, zurückschicken."
Selbst die Polizei soll inzwischen unterwandert sein. Bis zu 30 Beamte sollen die Gangs jahrelang mit Informationen zu geplanten Razzien und Abhöraktionen versorgt haben.
Anmerkung der Redaktion: In einer ursprünglichen Fassung dieses Beitrags hieß es fälschlicherweise in einer Infobox, Schweden habe die höchste Mordrate Europas. Richtig ist: Schweden hat eine vergleichsweise hohe Mordrate, führend ist das Land damit aber in Europa nicht. Wir haben den Beitrag entsprechend angepasst. Richtigstellungen finden Sie unter korrekturen.zdf.de
Claas Thomsen ist Reporter im ZDF-Landesstudio Schleswig-Holstein.
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