Ukraine-Krieg: Was steckt hinter Scholz' Taurus-Skepsis?
Debatte um Marschflugkörper :Was steckt hinter Scholz' Taurus-Skepsis?
von J. Schneider, K. Belousova, O. Klein
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Olaf Scholz begründet sein Taurus-"Nein" damit, eine Beteiligung der Bundeswehr am Ukraine-Krieg ausschließen zu wollen. Was ist da dran? Und warum kommt Kritik aus London?
Deutschland will die Ukraine weiter unterstützen, darf dabei aber nicht Kriegspartei werden - das ist die Haltung von Bundeskanzler Scholz. Bundeswehrtruppen und Taurus in der Ukraine erteilt er ein klares "Nein".28.02.2024 | 2:03 min
Mit seiner Entscheidung, keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern zu wollen, sorgt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weiterhin für hitzige Diskussionen. Koalitionspartner werfen ihm vor, die "Unwahrheit" zu sagen. Was ist dran an seiner These, dass der Taurus-Einsatz die Beteiligung deutschen Personals erfordere? Und warum gibt es Verärgerung aus Großbritannien?
Wie begründet Olaf Scholz die Absage?
Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa sagte Scholz am Montag über Taurus:
"Das ist eine sehr weitreichende Waffe, und das, was an Zielsteuerung und Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", erklärte er mit Blick auf deren Marschflugkörper Strom Shadow.
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Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter nannte Scholz' Begründung für die Absage im ZDF heute journal "völlig unverantwortlich". Er bezichtigte den Kanzler, die "Unwahrheit" zu sagen:
Grünen-Politiker Hofreiter nennt die Absage des Kanzlers an Taurus für Kiew "unverantwortlich".27.02.2024 | 6:14 min
Warum gibt es Kritik aus Großbritannien an Scholz?
Darüber hinaus sorgt Scholz' Verweis auf Großbritanniens mögliches Engagement in der Ukraine für Kritik aus London. "Dies ist ein eklatanter Missbrauch von Geheimdienstinformationen, der absichtlich dazu dient, von Deutschlands Zögern abzulenken, die Ukraine mit einem eigenen Langstreckenraketensystem zu bewaffnen", zitiert der britische "Independent" Tobias Ellwood, den ehemaligen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des britischen Unterhauses.
Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak sagte vor Journalisten am Dienstag: "Abgesehen von der geringen Anzahl an Mitarbeitern, die wir im Land zur Unterstützung der Streitkräfte der Ukraine haben, haben wir keine Pläne für einen großangelegten Einsatz." Gegenüber dem "Spiegel" erklärte das Verteidigungsministerium in London zudem:
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Sind deutsche Soldaten für Taurus nötig?
Mehrere Militärexperten, mit denen ZDFheute gesprochen hat, widersprechen Scholz' Darstellung. Die Steuerung des Taurus-Marschflugkörpers ist äußerst ausgefeilt und besteht aus vier Navigationssystemen. Es sei aber nicht unbedingt nötig, dass diese Systeme aus Deutschland von Soldaten der Bundeswehr gesteuert werden müssen, sollte die Waffe an die Ukraine geliefert werden, erklärt Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr auf Anfrage von ZDFheute.
Man könne der Ukraine die Missionsplanung für den Taurus beibringen und ihnen dann das Waffensystem übergeben. Das sei zwar etwas zeitaufwendig, würde aber die deutsche Beteiligung an den Einsätzen ausschließen. Ähnliches wurde auch schon bei anderen Waffensystemen wie dem Flugabwehrraketen-System Iris-T gemacht.
Ausbildung, Aufbereitung der IT, Lösungen und Bereitstellung von Daten zur Missionsplanung könne auch durch deutsche Firmen erfolgen, ohne Beteiligung der Bundeswehr. Die Bundeswehr "komplett rauszuflechten" brauche jedoch Geld und Zeit, ergänzt dabei Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR).
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Die Ukraine bräuchte einen selektiven Zugang zu Geoinformationen, um Einsätze planen und ausführen zu können. Ähnlich arbeiten auch gelieferte Waffensysteme aus Großbritannien (Storm Shadow) und Frankreich (Scalp).
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Klassifizierte Informationen dieser Art würden schon seit dem Frühjahr 2022 mit der Ukraine geteilt, so Gressel. Der "Rubikon der Informationsübertragung" sei also schon lange überschritten. "Freilich sind Taurus-Geodaten für Deutschland noch ein Schritt sensibler. Aber da geht es dann um die Frage von Vertrauen und Integrität, nicht Kriegsbeteiligung."
Auf Anfrage von ZDFheute verwies die Pressestelle der Bundeswehr auf allgemeine Informationen zu dem Waffensystem auf der Webseite der Armee. Auf die Frage, ob Bundeswehrpersonal für den Taurus-Einsatz in der Ukraine benötigt werde, wollte ein Pressesprecher aus Sicherheitsgründen keine Antwort geben.
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Was hält Scholz also wirklich von der Lieferung ab?
"Der Kanzler will den Taurus nicht liefern, weil er in Verbindung mit diesem Waffensystem Sorge vor Eskalation hat", meint Frank Sauer.
Auch Oberst a.D. Wolfgang Richter folgt der Auffassung, dass die Sorge vor einer Eskalation des Kriegs der ausschlaggebende Grund für Scholz’ "Nein" zur Taurus-Lieferung sei. Die reichweitenstarken Marschflugkörper könnten gegen Ziele von strategischer Bedeutung eingesetzt werden, zum Beispiel um russische Flugplätze im Hinterland anzugreifen, auf denen auch Bomber stationiert sind, die Atomsprengköpfe tragen können.
Durch eine deutsche Waffe, die mit deutschen Daten gefüttert würde, könnte eine rote Linie überschritten werden, sagte er bei ZDFheute live. Das Eskalationspotenzial einer Lieferung sei sehr groß, ein "Gamechanger" für die Verteidigung der Ukraine im Krieg gegen Russland wäre es aber nicht. Das müsse Scholz sorgfältig abwägen, so Richter.
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