Ukraine-Hilfe: Kriegseintritt durch Taurus-Lieferungen?
Völkerrechtler zu Scholz-Aussage:Kriegseintritt durch Taurus-Lieferungen?
von Samuel Kirsch
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Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, könnte Deutschland zur Kriegspartei machen, fürchtet Bundeskanzler Scholz. Was sagt das Völkerrecht zu dieser Aussage?
Der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine erteilte Kanzler Scholz zuletzt eine eindeutige Absage.28.02.2024 | 2:03 min
Der russische Präsident Wladimir Putin hat in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, dass er das Völkerrecht außer Acht lässt und bricht - es sei denn, eine Interpretationsweise nützt ihm, um eigene Handlungen im Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befürchtet genau das: dass Putin die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern als Kriegseintritt Deutschlands werten und der Krieg zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland eskalieren könnte. Doch was besagt das Völkerrecht?
Wann wird ein Land zu einer Kriegspartei?
Die rechtlichen Kriterien dafür, wann Staaten zur "Konfliktpartei" - so die völkerrechtlichen Verträge - werden, sind nicht genau geregelt. Sie ergeben sich insbesondere aus der Staatenpraxis, die sich in vergangenen Konflikten gebildet hat.
Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, erklärt der Völkerrechtsexperte Alexander Wentker vom Max-Planck-Institut für ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg:
Durch das Liefern von Waffen an die Ukraine alleine greife Deutschland nicht unmittelbar ein. Entscheidend sei vielmehr, wie weitgehend Deutschland sich darüber hinaus am Einsatz der Waffen beteiligt.
Was bedeutet das für Taurus-Lieferungen an die Ukraine?
Der bloße Umstand, dass Marschflugkörper vom Typ Taurus wegen ihrer großen Reichweite von 500 Kilometern Ziele in Russland treffen könnten, führt nicht dazu, dass Deutschland zur Konfliktpartei wird, wenn es solche Waffensysteme liefert.
Der Knackpunkt liegt in der Frage: Kann die Ukraine die Taurus-Systeme eigenständig einsetzen oder funktionieren diese technisch so, dass deutsche Militärs die Programmierung übernehmen und konkrete Daten zur Ansteuerung von Zielen beisteuern müssten?
Ob aber deutsche Soldaten tatsächlich die Ziele der Taurus-Raketen einprogrammieren müssten, ist umstritten. Verschiedene Experten gehen stattdessen davon aus, dass eine Grundausstattung mit allgemeinen Geo-Daten ausreicht und die genaue Zieleingabe durch die ukrainischen Militärs erfolgen könnte.
Frontalangriff auf Olaf Scholz: Grünen-Politiker Hofreiter nennt die Absage des Kanzlers an Taurus für Kiew "unverantwortlich". Außerdem sei das Verhältnis zu Frankreich zerrüttet.27.02.2024 | 6:14 min
Bundeskanzler Olaf Scholz ist davon offenbar nicht überzeugt. Er verwies am Montag bei einer Veranstaltung auf Großbritannien und Frankreich, die ähnliche Waffensysteme an die Ukraine liefern. Scholz deutete an, die beiden Länder beteiligten sich auch an der Zielsteuerung. Großbritannien widersprach Scholz auf Anfrage des "Spiegel". Ein Sprecher des britischen Verteidigungsministeriums gab an, der Einsatz und der Prozess der Zielauswahl sei Sache der ukrainischen Streitkräfte.
Die Infokarte zeigt die potenzielle Reichweite deutscher Waffensysteme.
Deutschland würde aber auch durch das Entsenden von Soldaten in die Ukraine nicht automatisch zur Konfliktpartei, sondern nur, wenn deutsche Soldaten sich in Abstimmung mit dem ukrainischen Militär an Kampfhandlungen beteiligen würden. Ausbildungseinsätze, um ukrainische Soldaten allgemein für den Einsatz von Waffen zu schulen, dürften nicht ausreichen - unabhängig, ob auf deutschem oder ukrainischem Staatsgebiet.
Überschritten wäre die Schwelle zur Kriegsbeteiligung aber, wenn deutsche Militärs durch ihre Anleitung in konkreten Einsätzen daran mitwirken, russische Ziele zu treffen.
Bundeskanzler Scholz bleibt bei seinem Nein zur Taurus-Lieferung an die Ukraine. Frankreichs Präsident hingegen will nun sogar den Einsatz von Bodentruppen nicht mehr ausschließen.27.02.2024 | 3:25 min
Dürfte Deutschland die Ukraine mit eigenen Truppen unterstützen?
Unabhängig von der Frage, wann Deutschland Kriegspartei würde, ist klar: Die militärische Unterstützung der Ukraine ist völkerrechtlich zulässig. Und Deutschland dürfte sich auch als Kriegspartei beteiligen, was freilich politisch nicht gewollt ist.
Denn die Ukraine übt ihr in der UN-Charta verbrieftes Selbstverteidigungsrecht gegen den Aggressor Russland aus. Demnach dürfen andere Staaten wie Deutschland die Ukraine umfassend militärisch unterstützen.
Samuel Kirsch ist Redakteur der ZDF-Fachredaktion Recht und Justiz.
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