Vereinigtes Königreich pleite?:Labours Wut über leere Kassen
von Wolf-Christian Ulrich, London
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Kassensturz im Vereinigten Königreich: Das Land sei "pleite und kaputt", sagt die neue Labour-Regierung. Was das wirklich bedeutet: fünf Fragen, fünf Antworten.
Dramatische Übertreibung oder harte Realität? Großbritannien sei "kaputt und pleite", so das Büro von Premierminister Keir Starmer.
Quelle: epa
1. Ist das Vereinigte Königreich "pleite"?
Natürlich nicht. Die neue Labour-Regierung präsentierte vielmehr einen Kassensturz. Gute drei Wochen nach Regierungsübernahme drehte man in den Ministerien jedes Pfund um und stellt nun fest: Es fehlen rund 26 Milliarden Euro in der Staatskasse. Der Kassensturz ist in gewisser Weise die Fortsetzung des Wahlkampfes. Die neue Labour-Regierung stellte nun fest, dass die konservative Regierung den öffentlichen Sektor heruntergewirtschaftet hatte und ihre Wahlkampfgeschenke nicht mehr finanzieren konnte.
Experte Ben Zaranko vom Institut für Fiskalische Studien sagt deshalb: Natürlich wusste Labour, wie schlecht die Lage in der Staatskasse war. Das Vereinigte Königreich hat laut Nationalem Statistikamt umgerechnet rund 3,2 Billionen Euro Schulden, was knapp 100 Prozent des BIP entspricht.
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2. Weshalb die Aufregung?
Das Büro von Premierminister Keir Starmer ließ verlauten, das Land sei "kaputt und pleite". Eine dramatische Überspitzung von tatsächlich nicht grade rosigen Zuständen. Starmer trat an, um Wandel durchzusetzen. Dazu braucht er Geld. Schon im Wahlkampf hatte er gesagt: Man könne sich nicht jeden Luxus leisten. Nun steht er tatsächlich vor einem großen Problem: den großen Investitionsstau im Land zu bewältigen, einen Wachstums-Schub großen Maßes anzuschieben (um seine Vorhaben zu bezahlen) - und gleichzeitig den Haushalt in Ordnung zu bringen. Weil das Opfer verlangen wird, die auch seine Anhänger schmerzen werden, brauchte Starmer einen dramatischen Moment - und den hat seine Finanzministerin heute mit ihrer eindringlichen Rede versucht zu schaffen.
3. Wo wird gespart?
Das Wichtigste: Obwohl die konservative Vorgängerregierung kein Geld für die weitere Unterstützung der Ukraine bereit gehalten habe, werde man das bereitstellen, so Reeves. Das ist eine wichtige außenpolitische Botschaft Richtung Kiew und an die Nato-Partner. Wo genau gespart wird, zeigt sich Im Haushalt im Oktober. Eine Reihe von Straßenbauprojekten etwa würden gestrichen ("Wenn wir es nicht bezahlen können, können wir es nicht machen.") - und auch das Ruanda-Gesetz sei wegen hoher Kosten und keinem sichtbaren Nutzen gestrichen, so Reeves.
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4. Gab es Überraschungen?
Ja - eine! Die Regierung habe sich mit den jungen Ärzten geeinigt, so Reeves. Die streiken seit Monaten für höhere Gehälter. Seit Jahren nehmen sie einen dramatischen Reallohnverlust hin. Nun gibt es über zwei Jahre 20 Prozent Lohnsteigerung. Dass die Regierung diesen jahrelangen Streitpunkt nach drei Wochen still und leise und trotz klammer Kassen abräumt, ist bemerkenswert.
5. Wie reagiert die neue Opposition?
Jeremy Hunt, Ex-Finanzminister, schüttelte während Reeves Rede oft den Kopf. Vor allem als Reeves im vorwarf, "Sie haben das Geld ausgegeben, als gäbe es kein Morgen. Weil sie wussten, dass sie nie die Rechnung bezahlen werden." Labour habe doch gewusst, wie die Lage sei, entgegnete Hunt, Reeves Rede sei nur eine Ausrede um Steuern zu erhöhen. Auch das Fortsetzung des Wahlkampfes.
Denn was er nicht sagte: dass die Steuerlast unter den Tories schon historisch gestiegen war. Die Szene ist nun gesetzt für kommende Haushaltsdebatten. Im Vereinigten Königreich stehen harte finanzielle Entscheidungen an - an denen sich das Profil der neuen Regierung zeigen wird.
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Wolf-Christian Ulrich ist ZDF-Korrespondent für Irland und das Vereinigte Königreich.
Quelle: ZDF
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