Sderots Regionalchef glaubte an Frieden, jetzt ist er tot

    Sderot unter Dauerbeschuss:Regionalchef glaubte an Frieden und stirbt

    Britta Spiekermann
    von Britta Spiekermann
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    Sderot in Israel steht unter Beschuss. Regionalchef Liebstein soll versucht haben, die Stadt zu verteidigen. Jetzt ist der Mann, der an ein friedliches Miteinander glaubte, tot.

    Ofir Liebstein glaubte fest an eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts. Jetzt ist er tot. Die örtlichen Behörden teilten mit, dass der Vorsitzende des Regionalrats in Sha'ar Hanegev, dem Bezirk um Sderot, von Hamas-Terroristen ermordet wurde.

    Viele Angaben zu Konflikthandlungen, Schäden und Totenzahlen in Gaza lassen sich nicht unabhängig überprüfen. So berichtet das ZDF über die Lage vor Ort - hier finden Sie Fragen und Antworten.

    Liebstein soll versucht haben, die Stadt im Süden Israels zu verteidigen, die unter Dauerbeschuss steht. 

    Sderot – eine Stadt unter Beschuss

    Sderot ist eine 30.000-Einwohner-Stadt, die an den Gaza-Streifen grenzt. Nur ein Kilometer liegt zwischen israelischem und palästinensischem Gebiet. Ein Grenzzaun, fest verankert im Boden, kein Baum, das Gras verbrannt.
    Vor vier Wochen standen wir zusammen mit Ofir Liebstein auf einer Anhöhe: Regionalchef des Bezirks um Sderot, ein Macher und ein Visionär. Wir, das waren 25 Journalistinnen und Journalisten, die auf einer Bildungsreise der Bundeszentrale für politische Bildung den Nahost-Konflikt aus der Nähe begreifen wollten. 

    Tod eines Visionärs

    Von dem Hügel aus konnte man den Grenzstreifen gut sehen, nicht weit die palästinensische Stadt Beit Hanoun. Gespenstische Ruhe durchbrochen von starkem Wind und den Worten Ofir Liebsteins. "Zu 95 Prozent ist es wunderbar, hier zu leben, 5 Prozent sind die Hölle." 
    Sderots Bürgermeister Ofir Liebstein, links im Bild, glaubte an eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts.
    Ofir Liebstein, links im Bild, glaubte an eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts.
    Quelle: ZDF

    Er sprach von den Raketen aus dem Gazastreifen. Trotzdem glaubte Liebstein an ein friedliches Miteinander. Er erzählte von seiner Hoffnung und den Gefahren.

    Wenn der Wind in unsere Richtung bläst, schicken die Palästinenser Ballons, die Feuer bringen, deswegen ist hier alles abgebrannt.

    Ofir Liebstein

    Doch Liebstein wollte, dass wieder etwas wächst im Grenzgebiet. Er plante, Arbeitsplätze zu schaffen für Palästinenser auf israelischem Gebiet: Einen Industriepark. Es klang nach Wandel durch Annäherung. Es war seine Vision.

    Die Angst ist groß

    Jetzt ist Ofir Liebstein, Regionalchef des Bezirks um Sderot, tot. Eines der ersten Opfer im neu aufgeflammten Krieg zwischen Israel und der Hamas. Seit Samstagmorgen schlagen Raketen ein in Sderot. Bewohnerinnen und Bewohnern haben Schutz gesucht in Bunkern.
    Sderots Bürgermeister Ofir Liebstein, links im Bild, glaubte an eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts.
    Ofir Liebstein sei "bei einem Schusswechsel mit Terroristen" getötet worden, teilte der Regionalrat mit.
    Quelle: ZDF

    Unter ihnen ist auch Tal Shamir mit seiner Frau und seinen vier Kindern. Er ist Sozialpsychologe, auch ihn lernten wir auf unserer Reise kennen. Es gibt Nachrichten von ihm:
    "Er und seine Familie sind sicher, aber seit Stunden unter Beschuss. Die Angst ist groß", heißt es in unserem Gruppenchat, den es seit der Israel-Reise gibt. Ofir Liebstein und Tal Shamir kannten sich. In einer Stadt in ständiger Bedrohung zu leben, verbindet.
    Beide wollten den Stillstand im Nahost-Konflikt durchbrechen. Jetzt ist der eine tot und der andere fürchtet um sein Leben und das Leben seiner Familie in einem Bunker irgendwo in Sderot.  
    Ron Prosor, Israelischer Botschafter in Deutschland im Gespräch mit Andreas Klinner
    Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor im ZDFspezial: "Die Hamas wird einen Preis zahlen für die Tatsache, das sie einen Krieg gegen Israel angefangen hat."07.10.2023 | 4:15 min

    Ein Spielplatz als Bunker

    Es ist keine vier Wochen her, da zeigte uns Tal Shamir einen Spielplatz in Sderot, auf den ersten Blick einer wie jeder andere. Eine Riesenschlange schlängelt sich über das Gelände. Bunt und fröhlich und innen hohl.
    "Wenn die Sirenen heulen", erklärte er uns, "bleiben den Kindern nur wenige Sekunden, sich in der Schlange in Sicherheit zu bringen". Die fröhliche Schlange: ein Bunker aus bemalten Betonringen. In der Vergangenheit wurde die Kleinstadt immer wieder von Geschossen getroffen. 
    Auch an den Straßenrändern, an jeder Bushaltestelle ein Bunker, Sderot in ständiger Angst. Als wir Tal Shamir trafen, berichtete er uns von Monaten der Ruhe. In seinen Sätzen schwang jedoch die Sorge mit, diese Ruhe könnte bald vorbei sein. Es war die Ruhe vor dem Sturm. 

    Das Trauma der Kinder

    Tal Shamir erzählte davon, wie sehr auch seine Kinder traumatisiert seien. Und trotzdem: "Ich will nicht weg hier, es ist meine Heimat, hier leben meine Familie und meine Freude."
    Sein Bruder hielt es nicht mehr aus, er ist weggezogen. Doch auch Tal hatte Zweifel, ob es der richtige Ort sei, um seine Kinder groß zu ziehen.

    Wie erklären Sie ihren Kindern, dass es gute und schlechte Ballons gibt? Der eine ist fröhlich, es wird gefeiert, der andere aus den Palästinensergebieten bringt Feuer.

    Tal Shamir

    Tal Shamir ist mit seiner Familie weiter im Bunker, es besteht Kontakt. Er hofft, dass der Beschuss bald und endlich aufhört.  
    Zeit der Desillusion
    Die Israel-Reise ist eine Reise der Vorahnungen. Wir lernten auch Steven Höfner kennen. Er ist Leiter des Auslandsbüros Ramallah der Konrad-Adenauer-Stiftung. Seit 2020 schon. Drei Jahre haben gereicht, um ihm sämtliche Illusionen zu nehmen.
    Der Friedensprozess sei gescheitert, erzählt er uns in einem Restaurant in Ramallah im Westjordanland. Die palästinensische Jugend bewaffne sich zunehmend, vertraue weder der Politik noch irgendwelchen Friedensinitiativen.
    Wer Attentate verübe, sei ein Märtyrer, werde als Held verehrt. Das Oslo-Abkommen von vor 30 Jahren sei inzwischen vollkommen irrelevant, eine zwei-Staaten-Lösung völlig unrealistisch.
    Es sind die bitteren Worte des noch jungen Leiters des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. Bei unserem Besuch sagte er einen schweren Konflikt voraus mit Beschuss, Attentaten und vielen Toten. Die Lage sei extrem angespannt.
    Steven Höfner sollte Recht behalten. Jetzt herrscht Krieg. 
    Verfolgen Sie alle Entwicklungen in unserem Liveblog:

    Israel und Gaza
    :Rückblick: Eskalation in Nahost

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Ein Rückblick.
    Demonstranten mit Plakaten, darunter eines mit der Geisel Noa Argamani

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