Grenzreportage in Belarus: Zwischen Russland und EU

Im Stacheldraht hängen zerfetzte Handschuhe. Von Versuchen, den Zaun zu überwinden. Wir sind an der EU-Außengrenze zu Belarus. Mehr als 400 Kilometer lang. Michal Bura ist seit zwanzig Jahren beim polnischen Grenzschutz. Er nimmt uns mit auf Patrouille am Grenzzaun, den Polen nach dem Ansturm vor drei Jahren auf seine Grenze gebaut hat.

Eine fünfeinhalb Meter hohe Stahlkonstruktion gegen illegale Migration. Kein Tag vergehe, ohne dass Migranten versuchen, von Belarus aus nach Polen zu gelangen:

"Letzte Woche hatten wir einen Migranten, der sich etwas gebrochen hat und wir mussten ihn in Krankenhaus bringen", so Michal Bura.

Die Migrationsroute via Belarus gibt es nun seit mehr als drei Jahren. Die EU ist sich sicher, dass Moskau und Minsk gezielt Migranten einfliegen und sie Richtung Polen schleusen, um Streit innerhalb der EU in Sachen Migration zu verursachen. "Wir sehen mit eigenen Augen", so Michal Bura, "dass die belarussischen Dienste sie mit Autos transportieren. Wir wissen es auch von den Migranten, dass sie von der belarussischen Armee angeleitet werden".

Es sind vor allem Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika, die versuchen nach Polen und damit in die EU zu gelangen. Waren es vor drei Jahren auch Familien, sind es jetzt laut Grenzschutz zu mehr als 90 Prozent junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren, die seit Monaten aggressiver würden: "Sie versuchen mit Steinen und Ästen ihren Weg nach Europa zu finden", sagt Michal Bura.

Im Frühjahr war er dabei, als ein Soldat von einem Migranten tödlich niedergestochen wurde. Dass vor allem junge Männer kommen, bestätigt auch Anna Sikora, von der Stiftung "Ocalenie" (dt.: Rettung). 88 Prozent, sagt ihre persönliche Statistik. Sie sei enttäuscht, dass Polens liberalkonservative Regierung das Asylrecht einschränken und wie die nationalkonservative davor die Grenze abriegeln will.

"Wir haben am Anfang nach dem Regierungswechsel gesehen, dass der Grenzschutz sich den Menschen gegenüber besser verhalten hat", sagt Anna Sikora. "Nachdem ein polnischer Soldat getötet wurde, hat sich das radikal verändert."

Polens Regierungschef Tusk hatte im Oktober angekündigt, das Asylrecht regional und auf Zeit auszusetzen. Außenminister Sikorski hat es nun konkretisiert: Per Gesetz, höchstwahrscheinlich für 90 Tage entlang der Grenze, können keine Asylanträge gestellt werden. Was bedeutet, dass man die Migranten zurückschieben kann.

Für Anna Sikoras Verständnis ist das Asylrecht längst ausgesetzt. Push-backs fänden statt, oft mit Gewalt.

"Unsere Hilfe hat das Ziel, dass die Menschen die Überquerung überleben." Auf belarussischer Seite würden Rückkehrer geschlagen und schlecht behandelt", so Sikora weiter.

Für Grenzschützer Michal Bura wird das Asylrecht zur Zeit ausgenutzt. Wer in Polen internationalen Schutz beantrage, müsse nach dem Recht in Polen bleiben. "Aber sie verlassen Polen und richten sich damit gegen polnische und europäische Gesetze." Trotzdem wolle man auch nach einem Aussetzen des Rechts Verletzten helfen. Auch die Hilfe für Frauen und Kinder werde aufrechterhalten, so der Grenzschützer.

An der Grenze zu Belarus. Auf der anderen Seite tauchen plötzlich zwei belarussische Soldaten auf, beobachten uns. Früher, erzählt Michal Bura, habe man zusammen geraucht oder geredet. Jetzt sind sie Feinde auf beiden Seiten des Grenzzauns, wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, aber auch wegen der hybriden Kriegsführung mit Migranten durch Lukaschenko und Putin.