Militärexperte Keupp: "Woche des russischen Blechhaufens"

    Interview

    Ukrainische Gegenoffensive:Experte: "Woche des russischen Blechhaufens"

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    Wie steht es um die ukrainische Gegenoffensive? Man dürfe nicht nur auf Geländegewinne schauen, sagt Militärexperte Marcus Keupp. Die Ukraine setze derzeit auf Abnutzung.

    Wieder Drohnen und Raketen, wieder tote Zivilisten - am Freitag wird in der ostukrainischen Stadt Charkiw beim Beschuss eines Wohnhauses ein zehn Jahre alter Junge getötet, mehr als 20 Menschen werden verletzt. Nach Angaben Kiews standen zudem mehr als 110 Ortschaften der Ukraine unter russischem Artilleriebeschuss, mehrere Angriffe seien zurückgeschlagen worden. Seit Monaten führen die ukrainischen Streitkräfte eine Gegenoffensive - aber kommt sie auch voran?
    Der Militärexperte Marcus Keupp warnt vor einem "einseitigen Fokus" auf den Geländegewinn. "Es geht nicht darum, in selbstmörderischer Art durch Gräben und Minenfelder durchzubrechen - das wäre militärisch unsinnig", sagt er bei ZDFheute live, sondern:

    Die Ukraine setzt hier im Moment auf die Abnutzung.

    Marcus Keupp, Militärexperte

    Das sagt Keupp über die Phasen des Krieges:

    Hintergrund: Der Krieg in der Ukraine finde "in Phasen statt", erläutert der Experte der Militärakademie an der ETH Zürich: Abnutzung, Bewegung, Abnutzung, Bewegung. "Und wir sind im Moment in einer Abnutzungsphase."

    Marcus Keupp sitzt an seinem Schreibtisch im Anzug und spricht in die Kamera, der Hintergrund ist verpixelt.
    Quelle: ZDF

    Marcus Keupp arbeitet als Militärökonom an der Militärakademie der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich). Dort werden die Berufsoffiziere der Schweizer Armee aus- und weitergebildet. Die ETH Zürich ist ein international anerkanntes Kompetenzzentrum für Militärwissenschaften.

    Will heißen: Weil sich die Ukraine - wie etwa bei Robotyne - durch die russischen Minenfelder durcharbeiten müsse, komme sie im Gelände zwar relativ langsam voran. Im Hinterland allerdings "explodiert die russische Artillerie". Die Ukraine schieße sie dort "reihenweise ab". Dabei nutze ihr vor allem die US-Clustermunition. Es sei bemerkenswert, wie stark die Zerstörung voranschreite, so Keupp.
    Auch an der Front bei Uroschajne sei die Abnutzung deutlich zu sehen. Keupp umschreibt die abgelaufene Woche als "Woche des russischen Blechhaufens".

    ... über russische Fehler:

    Beispiel Uroschajne: In der Region sei der russische Versuch misslungen, die Ukrainer zurückzudrängen.

    Sie machen die gleichen Fehler immer wieder.

    Marcus Keupp, Militärexperte

    Die Russen stünden vor ihren Gräben im offenen Gelände und würden auch "vor diesen Gräben abgenutzt", erklärt Keupp. Das sei militärisch "so ziemlich das Dümmste, was sie machen können".
    Solche Fehler hingen unter anderem mit der "üblichen sowjetischen Doktrin" zusammen - Keupp spricht von einem "sehr hierarchischen Top-Down-Verhältnis". Wenn etwa aus Moskau der Befehl komme, nicht zurückzuweichen, "dann machen sie das genauso" - auch wenn dabei Tausende Menschen stürben. "Widerspruch ist unmöglich in diesem System."
    Hinzu kommt: Kremlchef Wladimir Putin belohne Loyalität, aber nicht Kompetenz. Keupp nennt das Beispiel des Generals Iwan Popow: Der Kommandeur der 58. Armee wurde entlassen, nachdem er seine Vorgesetzten und die Kriegsführung in der Ukraine kritisiert hatte. Sein Nachfolger dagegen verfolge die Strategie "halten um jeden Preis". Keupp:

    Solange sie solche Generäle haben, kann die Ukraine froh sein.

    Marcus Keupp, Militärexperte

    ... über russische Reserven

    Beispiel Robotyne: Russland habe kaum mehr Reserven, die dorthin verlegt werden könnten, analysiert der Militärexperte. Es stelle sich die Frage, wie lange es die Front noch halten könne. Hinter einer sehr stark ausgebauten, ersten Grabenlinie stünden im Hinterland kaum Reserven bereit. Russland kämpfe vor seinen Gräben "und unterliegt entsprechend einer sehr hohen Abnutzung".
    Zudem liefen russische Angriffe unter Inkaufnahme hoher Verluste und großer Brutalität. Aber die Taktik "alles kaputtschießen und dann vorrücken", das werde schwierig, so Keupp. Denn die Russen hätten einerseits immer weniger Artillerie. Diese, historisch einst stark, sei inzwischen so weit abgenutzt, dass sie "eine fast gleiche Feuerfrequenz hat, wie die Ukraine".
    Der Schwund sei auch bei gepanzerten Fahrzeugen zu beobachten. Die Depots leerten sich massiv. Selbst fahrende Geschütze würden ausgeschlachtet, offenbar aus Mangel an Logistik für die Ersatzteile. Das alles zeichne ein Bild von einer Armee, die sich bisher auf ihre sehr großen Reserven verlassen habe. "Aber dieses Argument gilt zunehmend nicht mehr."
    Die Perspektive: Die russische Armee, vermutet Keupp, "steht vor einem Moment der Wahrheit, der spätestens diesen Winter" kommen werde.
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    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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    Quelle: ZDF

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