Mehr Wettbewerbsfähigkeit: Neue Pläne für die EU-Wirtschaft
Interview
EU-Wettbewerbskompass:Wie die EU wieder in Schwung kommen will
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Die EU-Kommission stellt heute einen Fahrplan vor, um sich wirtschaftlich für die nächsten fünf Jahre im globalen Wettbewerb besser aufzustellen.
Durch zu viel Bürokratie mangelt es an Innovation in der EU-Wirtschaft. Die EU will das nun mit einem Fünfjahresplan bekämpfen, um gegen China und die USA zu bestehen.29.01.2025 | 2:40 min
Die Wirtschaft der EU schwächelt - und die EU-Kommission will mit dem Wettbewerbskompass handeln. Darin werden die Vorschläge, die der Ex-EZB-Präsident Draghi letzten Herbst als Analyse in einem Bericht zusammenfasste, in Maßnahmen umgesetzt. ZDFheute hat mit dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Armin Steinbach vom HEC Paris darüber gesprochen.
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ZDFheute: Warum braucht die EU einen neuen Fahrplan für Wettbewerbsfähigkeit?
Armin Steinbach: Der Kompass ist eine geopolitische Antwort auf die Tatsache, dass Europa in Sachen Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit hinter den USA, aber auch hinter China zurückliegt und im internationalen Wettbewerb nur bestehen kann, wenn es sein Wirtschaftsmodell neu ausrichtet. Europa kann sich nicht mehr auf andere verlassen, muss seine Abhängigkeiten abbauen - etwa bei entscheidenden Technologien für Dekarbonisierung (also die Wende zu einer kohlenstofffreien Wirtschaftsweise, die Redaktion), aber auch den datensensiblen Technologien wie Mikrochips.
ZDFheute: Welche Maßnahmen schlägt die EU-Kommission jetzt konkret vor?
Steinbach: Die Grundidee des Wettbewerbskompass ist eine Deregulierungsagenda. Die Europäische Union will ihre Unternehmen entfesseln, indem sie Bürokratie abbaut, Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht.
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ZDFheute: Inwiefern kann das jetzt gelingen, den USA unter Trump etwas entgegenzusetzen?
Steinbach: Es geht nicht nur um diese unmittelbare Reaktion auf Trump, sondern insgesamt darum, das Investitionsklima zu verbessern. Das kann gelingen, aber nicht kurzfristig. Kurzfristige Antworten, wie Gegenzölle, also ein Handelskrieg, würde beiden Seiten wehtun. Aber:
Ein wichtiger Aspekt ist auch der Protektionismus: öffentliche Ausschreibungsverfahren sollen zukünftig nach dem "Buy European"-Prinzip organisiert werden. Das steht im Widerspruch zu den Regeln der Welthandelsorganisation, ist aber eine Antwort auf den Protektionismus, der auch von den USA betrieben wird.
ZDFheute: Es soll ja auch mehr getan werden in Sachen KI und Innovation. Kann die EU Innovation?
Steinbach: Die EU muss Innovation erst lernen. Ein Bestandteil dieser Rezeptur ist, dass der Kapitalmarkt in der Europäischen Union ausgebaut wird. Die Idee ist, dass mehr privates Kapital in Startups fließt. Da haben wir in der Europäischen Union noch keinen Binnenmarkt und das Nachsehen hinter den amerikanischen und chinesischen Finanzmärkten. In diesen Ländern haben es private Investitionen einfacher.
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ZDFheute: Welche Branchen sind denn am meisten in Gefahr?
Steinbach: Zittern vor den USA müssen natürlich vor allem unsere starken Industrieprodukte. Das sind Autos, das sind Maschinen. Also jene Produkte, mit denen die USA aktuell ein Handelsbilanzdefizit ausweisen. Das sind die empfindlichen Stellen für Europa, weil davon viele Arbeitsplätze abhängen. Die energieintensiven Industrien sind weniger bedroht von den USA, sondern vielmehr von den hohen Energiepreisen, die in Europa auf einem höheren Niveau als in den USA liegen.
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ZDFheute: Welche Rolle spielt der Green Deal noch?
Steinbach: Die Realität ist, dass der Green Deal von Platz eins der politischen Agenda auf mindestens Platz zwei, wenn nicht noch weitere Plätze nach hinten gerückt ist. Auf Platz eins steht mit der neuen Europäischen Kommission die Wettbewerbsfähigkeit. Jetzt wird anerkannt:
ZDFheute: Womit kann Europa denn als Standort punkten?
Steinbach: Die Europäische Union hat traditionell technologisch hochwertige Industrieprodukte. Ein großer Standortvorteil ist natürlich auch die Rechtssicherheit. Dass sich Unternehmen in Europa darauf verlassen können, dass der Rechtsrahmen bestehen bleibt und nicht Schwankungen unterworfen ist wie in anderen Ländern. Außerdem ist Europa ein großer Absatzmarkt, der zudem nicht geopolitisch gefährdet ist.
ZDFheute: Wie ist Ihre abschließende Bewertung des EU-Wettbewerbskompasses?
Steinbach: Man muss jetzt abwarten, wie der Fahrplan runtergebrochen wird auf einzelne Projekte. Was aus meiner Sicht fehlt in diesem Fahrplan ist eine ehrliche Antwort darauf, wie die öffentliche Hand Investitionen leisten kann - Stichwort KI, Stichwort Dekarbonisierung. Da muss die Europäische Union darüber nachdenken, wie sie selber gegebenenfalls auch schuldenfinanziert ein Budget aufstellt, das von den Mitgliedsstaaten getragen und unterstützt wird, um eben diese Anpassung und diese Investitionen überhaupt leisten zu können. Das ist eine Lücke in dem Kompass.
Das Interview führte Lukas Nickel, Producer im ZDF-Studio Paris.
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von Klaus Weber
mit Video
Quelle: dpa
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