Bergkarabach: Tausende fliehen:Wenn die Heimat zur Hölle wird
von Nina Niebergall
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Zehntausende Armenier fliehen vor der aserbaidschanischen Armee und den menschenunwürdigen Zuständen in Bergkarabach. Sie gehen vermutlich für immer.
- Am 19. September hat Aserbaidschan Bergkarabach angegriffen und einen Waffenstillstand zu seinen Bedingungen durchgesetzt.
- Beobachter warnen vor einem Genozid an der armenischen Bevölkerung der Enklave.
- Nach Angaben der armenischen Regierung sind inzwischen 13.350 Flüchtlinge aus Bergkarabach im Land angekommen.
- Die Regierung stelle allen ohne Obdach eine Unterkunft zur Verfügung, heißt es aus Eriwan.
Und plötzlich muss ein ganzes Leben in ein Auto passen. Wladik und seine Familie wollten so schnell wie möglich Bergkarabach verlassen. Sie sind zu elft. Aber sie hatten nur einen Pkw und wenig Benzin. Sie mussten alle Platz finden, die Kinder im Kofferraum. Viel Platz für ihre Habseligkeiten war da nicht mehr. Trotzdem sind sie froh, dass sie es nach Goris, Armenien geschafft haben.
Viele haben fast nichts dabei
Szenen wir diese gab es hundertfach. Seit Sonntag dürfen die Menschen Bergkarabach verlassen, seitdem lässt Aserbaidschan sie raus. Es musste schnell gehen. Manche haben nicht mehr dabei als zwei Plastiktüten.
Ihre Trauer mischt sich mit Wut. Viele hier fühlen sich vertrieben von Aserbaidschan, dem Erzfeind, der vergangene Woche ihre Heimat angegriffen hat. Und jetzt dort die Herrschaft übernommen hat.
Angst vor den aserbaidschanischen Herrschern
Sie fürchteten, dass Aserbaidschan ihnen jegliche Rechte rauben würde. Auch, dass die aserbaidschanische Armee ihnen etwas antun könnte. In den vergangenen Kriegen gab es Verbrechen auf beiden Seiten.
Mehr als 6.000 Menschen sollen aus Bergkarabach geflohen sein. Bleiben ist keine Option, so empfinden es viele von ihnen.
Die Region Bergkarabach, Armenien, und Aserbaidschan.
Quelle: ZDF
Es gibt nur wenige Informationen aus Bergkarabach, internationale Medien lässt Aserbaidschan nicht in die Region, die UN ist nicht vor Ort, und auch sonst keine internationalen Beobachter. Aber, das, was die armenischen Journalist*innen in den vergangenen Tagen auf "X", ehemals Twitter, geteilt haben, zeichnet das Bild einer humanitären Katastrophe.
Katastrophale Zustände in Bergkarabach
Einer von ihnen ist Marut Vanyan. Seit dem aserbaidschanischen Angriff am 19. September postet er Videos von seiner Heimatstadt Stepanakert. Kinder und ihre Großmutter, die in einer Kirche Schutz suchen. Kinder, die Feuerholz sammeln, um über dem offenen Feuer zu kochen. Oder den Müll zu verbrennen. Sowas wie eine Müllabfuhr gibt es nicht mehr.
Kein Benzin, keine Elektrizität, wenig Netz - die einzige Verbindung zur Außenwelt. Um ihre Handys zu laden, sind die Menschen auf das Rote Kreuz angewiesen. In kleinen Grüppchen sitzen sie auf einer Straße in Stepanakert, nutzen das bisschen Strom, was ihnen zur Verfügung gestellt wird.
Flüchtlinge in Stepanakert
"Stepanakert ist ein einziges Flüchtlingscamp", schreibt Vanyan. Die Hauptstadt von Bergkarabach ist noch nicht unter aserbaidschanischer Kontrolle. Sie steht offiziell unter dem Schutz sogenannter russischer Friedenstruppen. Auch wenn vieler Armenier*innen bezweifeln, dass die irgendwas unternehmen würden.
Die umliegenden Dörfer hat die aserbaidschanische Armee offenbar eingenommen. Die vertriebenen Einwohner flohen nach Stepanakert. Wo sie nun von denjenigen versorgt werden, die selbst kaum etwas haben.
Aus Stepanakert raus bildeten sich am Montag lange Schlangen. Armenien rechnet damit, dass in den nächsten Tagen weitere Tausende, womöglich Zehntausende Flüchtlinge ankommen werden.
Nina Niebergall berichtet als ZDF-Korrespondentin über Russland, Zentralasien und die Kaukasusregion.
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