Kommentar zur Studie über Missbrauch: Nicht der Schlusspunkt
Kommentar
EKD-Studie zu Missbrauch:Das ist nicht der Schlusspunkt
von Reinold Hartmann
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In der Evangelischen Kirche gab es mehr Missbrauch als bisher angenommen. Eine düstere, aber wichtige Erkenntnis, weil die Kirche jetzt Verantwortung übernehmen will und auch muss.
Die Anzahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche in Deutschland liegt deutlich über den bisherigen Schätzungen. Einer bundesweiten Studie zufolge betrifft es Tausende.25.01.2024 | 2:52 min
Lange konnte die Evangelische Kirche im Windschatten der Katholischen Kirche segeln. Was Missbrauch angeht, lag der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung nicht bei ihr.
Spätestens heute, mit Veröffentlichung der Forum-Studie, ist dies vorbei. Sie wirft Fragen auf, an eine Institution, die viel zu lange für eine konsequente Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt braucht. Die Zahlen sind sehr hoch und die Gründe liegen auch in der Struktur der Evangelischen Kirche.
Verantwortlichkeiten blieben lange unklar
Die Vielfalt und das föderale System der 20 Landeskirchen führte dazu, dass Verantwortlichkeiten lange unklar blieben - zugunsten der Täter, zulasten der Betroffenen. Der Missbrauchsskandal am katholischen Canisius-Kolleg im Jahr 2010 hätte ein Weckruf sein müssen.
Die Untersuchung zu sexualisierter Gewalt der Evangelischen Kirche sei ein Meilenstein, so die Betroffene Katharina Kracht. Sie fordert einen besseren Umgang mit den Opfern.26.01.2024 | 5:04 min
Die Evangelische Kirche ist viel zu lange davon ausgegangen, dass es sich um Einzeltäter handelt. Die Studie zeigt, dass Täter vom Vertrauensraum Kirche profitiert haben, die Institution diese Taten also begünstigt hat.
Die unabhängige und wissenschaftliche Forum-Studie ist breit angelegt und umfasst nicht nur die Evangelische Kirche, sondern auch die Diakonie, die einer der größten Arbeitgeber in Deutschland ist.
Betroffene mit ihren Erfahrungen waren teilweise an der Studie beteiligt. Sie spricht von 2.225 Fällen und gibt die Anzahl der Beschuldigten mit 1.259 an. Dies, so die Wissenschaftler, sei die "Spitze der Spitze des Eisbergs". Die Dunkelziffer ist hoch, auch weil nicht alle Akten eingesehen werden konnten.
Die Ergebnisse der Missbrauchs-Studie in der Evangelischen Kirche seien "die Spitze der Spitze des Eisbergs". Der Zugang zu Akten war eingeschränkt, so Mitautor Prof. Dreßing.25.01.2024 | 5:36 min
Studie: Kirche reagierte nur, statt selbst aktiv zu werden
Eine weitere Erkenntnis der Studie: Die Kirche reagierte nur, statt selbst aktiv zu werden. Betroffene mussten in ungeklärten Verantwortungsbereichen ihr Recht suchen.
Die Telefonzeiten: Montag, Mittwoch und Freitag von 9 bis 14 Uhr und Dienstag und Donnerstag von 15 bis 20 Uhr.
Die Rufnummer ist (auch im Zweifelsfall) eine Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend, für Angehörige sowie Personen aus dem Umfeld von Kindern.
Quelle: Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch
Zum Selbstverständnis einer aufgeklärten Institution gehört es, sich der eigenen Verantwortung zu stellen, dies tut sie mit dieser Studie. Die amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Kirsten Fehrs, entschuldigte sich deutlich, die Kirche habe sich an unzähligen Menschen schuldig gemacht.
Der Tag heute ist nicht der Schlusspunkt der Aufarbeitung, sondern nur ein wichtiger Schritt auf dem für die Kirche schmerzhaften Weg. Nur wer sich dem Ausmaß und den Ursachen von sexualisierter Gewalt stellt, der kann in die Prävention gehen und weiteres Leid vermeiden.
Die Evangelische Kirche stehe bei der Aufarbeitung erst am Anfang, sagt die Missbrauchsbeauftragte im ZDF. Die Zahl der Fälle werde aber "deutlich höher" sein als bislang bekannt.