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Missbrauch in der Kirche:"Bischöfe wissen: Sie haben versagt"
von Claudia Oberst
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Ein Priester soll jahrzehntelang junge Menschen missbraucht haben. Das Bistum Trier ließ ihn gewähren. Jetzt versuchen zwei ehemalige Staatsanwälte, den Fall aufzuklären.
In diesem Haus lebte Edmund Dillinger.
Quelle: dpa
"Völlig geschockt" war Stefan Dillinger, als er die ersten Hinweise auf die möglichen Straftaten seines Onkels Edmund Dillinger fand. Der Priester starb im November 2022 im Alter von 87 Jahren. Als sein Neffe nach Unterlagen für die Beerdigung suchte, stieß er auf Fotos, "die man als Priester nicht macht", wie er im ZDF-Interview sagt.
Bilder von jungen Männern, spärlich oder gar nicht bekleidet, manche in offensichtlich erregtem Zustand. Aufgenommen im Arbeitszimmer, erkennbar am Muster der Tapete. "Da waren viele, die ich kannte. Stipendiaten aus Afrika, die im Haus lebten. An Heiligabend zusammen mit der Familie feierten", so Stefan Dillinger.
Ehemalige Trierer Staatsanwälte ermitteln
Er wandte sich an das Bistum Trier, für das sein Onkel als Priester arbeitete, dann an die Presse. Jetzt sollen die ehemaligen Staatsanwälte Ingo Hromada und Jürgen Brauer, im Auftrag der vom Bistum einberufenen Unabhängigen Aufarbeitungskommission, den Fall aufklären. Am 13. Dezember stellten sie ihren zweiten Zwischenbericht vor.
Neun Betroffene kennen die Ermittler, mit sieben hatten sie persönlich Kontakt. Dillinger war neben seiner Arbeit als Religionslehrer viel im Ausland unterwegs, auch für eine Hilfsorganisation in Afrika. Das erschwert die Aufarbeitung. Zeugen berichten, wie Dillinger sie gegen ihren Willen umarmte, küsste, sich auf sie legte.
Dillinger war sein Betreuer in einer katholischen Jugendgruppe. Der Zwischenfall ereignete sich 1967 oder 1968.
Bistum Trier nahm Vorwürfe nicht ernst
Erste Hinweise auf sexuelle Übergriffe Dillingers erhielt das Bistum 1964, nahm die Vorwürfe aber nicht ernst. Erst 1970, nach einem anderen Zwischenfall, wurde Dillinger von Rheinland-Pfalz nach Köln versetzt. Offiziell, um ein Studium zu beginnen. "Dillinger ist ein klassisches Beispiel für den Umgang der Kirche mit solchen Fällen in den 1960er bis 1980er Jahren", sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Uni Münster im ZDF-Interview. "Der Mechanismus damals war: 'Kündige mal deinen Job.'“
Wie viele Opfer es gibt, lässt sich nicht sagen. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken vernichtete im Juli Unterlagen, darunter Dias, Negativstreifen und die Kalender Dillingers von 1964 bis 2021. Es hätten sich keine Verdachtsmomente aus dem Material ableiten lassen, so die Erklärung. "Für uns ist das ein schmerzlicher Verlust und gravierender Fehler", so Jürgen Brauer. "Wir hätten anhand der akribisch geführten Kalender die Aussagen von Zeitzeugen mit den Unterlagen Dillingers vergleichen und dadurch womöglich weitere Betroffene finden können."
Brauer und Hromada wollen jetzt herausfinden, ob Dillinger Mitglied in organisierten Ringen von Sexualstraftätern war. Bis jetzt gibt es keine Hinweise dafür. "Wir brauchen die Berichte von Zeitzeugen, sonst wird die Aufarbeitung nur Stückwerk bleiben", sagen sie.
Hohe Würdenträger in der Kritik
Thomas Schüller kritisiert Bischof Ackermann als "überfordert". "Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle geht im Bistum Trier nur langsam voran, weil da Schicksale dranhängen", so Schüller. "Kardinal Reinhard Marx, der Vorgänger von Ackermann, und auch Georg Bätzing, der heutige Bischof von Limburg und frühere Generalvikar von Trier, wissen: sie haben versagt."
Stefan Dillinger räumt derweil das Haus seines Onkels aus. Und schaut in jeder Sofaritze nach, ob er Hinweise findet, die die Polizei übersehen hat. Er will das Haus verkaufen. Und mit dem schmutzigen Erbe seines Onkels abschließen.
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