Studie über sexualisierte Gewalt:Evangelische Kirche will Klarheit schaffen
von Oliver Deuker
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Auch in der Evangelischen Kirche hat es Fälle von sexualisierter Gewalt gegeben. Wie groß das Ausmaß ist, soll eine Studie klären. Doch schon vor Veröffentlichung gibt es Kritik.
Die Evangelische Kirche will sexualisierte Gewalt mit einer Studie aufarbeiten. (Symbolbild)
Quelle: dpa
Welches Ausmaß hatte sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche? Welche Faktoren ermöglichten oder verhinderten Missbrauch? Wie wurde mit Hinweisen, wie mit Betroffenen umgegangen? Einige dieser Fragen sind in einer breit angelegten, unabhängigen Studie untersucht worden, die am Donnerstag erscheinen wird.
"Die Studie besteht aus sechs Teilprojekten und sie wird auch konkrete Fallzahlen benennen", sagt Studienkoordinator Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover. Genaue Zahlen über Fälle sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gibt es bisher noch nicht. Bis Ende 2022 stellten 858 Menschen einen Antrag auf Anerkennungsleistung bei der EKD. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein, sagen Experten.
Missbrauch in der EKD: Betroffene warten seit langem auf Studie
2020 vergab die EKD den Forschungsauftrag für die sogenannte Forum-Studie, Kostenpunkt 3,6 Millionen Euro. Mehr als fünf Jahre nach dem Erscheinen der Katholischen Missbrauchsstudie wird sie nun veröffentlicht. Lange, viel zu lange, wurde sie von Betroffenen erwartet. Auch von Katharina Kracht.
Als Minderjährige hat sie sexualisierte Gewalt erfahren, wurde über viele Jahre von einem Pastor sexuell missbraucht. Essenseinladung ins Pfarrhaus, den Pastor duzen dürfen - so begann es. Küssen, Streicheln - die Intimitäten steigerten sich.
Erst mit 22 Jahren gelang es der heute 50-Jährigen, sich aus der Gewaltbeziehung zu befreien.
Das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530.
Die Telefonzeiten: Montag, Mittwoch und Freitag von 9 bis 14 Uhr und Dienstag und Donnerstag von 15 bis 20 Uhr.
Die Rufnummer ist (auch im Zweifelsfall) eine Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend, für Angehörige sowie Personen aus dem Umfeld von Kindern.
Quelle: Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch
Die Telefonzeiten: Montag, Mittwoch und Freitag von 9 bis 14 Uhr und Dienstag und Donnerstag von 15 bis 20 Uhr.
Die Rufnummer ist (auch im Zweifelsfall) eine Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend, für Angehörige sowie Personen aus dem Umfeld von Kindern.
Quelle: Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch
Betroffene: Evangelische Kirche hat falsches Selbstbild
Im Windschatten der katholischen Missbrauchsskandale konnte sich die Evangelische Kirche, die sich als offen und fortschrittlich sieht, lange wegducken. Betroffene werfen ihr vor, ein Problem mit ihrem Selbstbild zu haben. So berichtet Katharina Kracht von Kirchenleuten, die ebenso verständnisvoll, wie unverbindlich auf ihre Schilderungen reagierten.
Sie erzählt von bürokratischen Mühlen, die sehr langsam mahlen. "Betroffene laufen oft gegen Gummiwände." Ihnen falle es schwer, die Taten noch einmal zu beschreiben. "Viele stellen gar keinen Antrag auf Anerkennung, weil das so weh tut."
Muster sexualisierter Gewalt und Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche soll die Studie offenlegen. Ziel ist eine Gesamtanalyse über Strukturen und Bedingungen innerhalb der Kirche, die Missbrauch begünstigen und die Aufarbeitung erschweren. Krachts Peiniger, ein für seine engagierte Jugendarbeit anerkannter und mittlerweile verstorbener Pastor, war wohl ein Serientäter, recherchierte Kracht. Sein Missbrauch muss bekannt gewesen sein.
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Missbrauchsbeauftragte: Einige Fälle fehlen in den Akten
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Dazu kommen die Missbrauchsfälle, die es nicht in die Akten schafften. Katharina Kracht sagt dazu:
EDK-Studie: Nicht auf alle Daten Zugriff?
Eine Auswertung kann immer nur so gut sein, wie es die zur Verfügung gestellten Daten erlauben. Nach Recherchen des WDR-Magazins "Monitor" zeigt die EKD-Studie nur die Spitze eines Eisbergs. Laut "Monitor" haben beteiligte Forscher bereits intern beklagt, dass sie nicht im vollen Umfang in allen 20 Landeskirchen Zugriff auf Personalakten hatten. In fast allen Landeskirchen konnten die Forscher wohl nur auf die Disziplinarakten, aber nicht auf die umfassenderen Personalakten zurückgreifen.
Ein Sprecher der EKD hat dem Bericht zufolge eingeräumt, dass die Bereitstellung von Daten "eine besondere Herausforderung und schwieriger als ursprünglich angenommen" gewesen sei. Trotzdem: Die lang geglaubte These, dass es sich bei sexueller Gewalt in den Kirchen allein um ein Phänomen der Katholischen Kirche handele, dürfte die Studie widerlegen.
Mit Material von KNA und epd.
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