Interview
Nach Feuer-Drama in Skihotel:Türkei: Das Land weint - und fragt: warum?
von Carsten Rüger, Istanbul
|
Nach dem Feuer-Drama in einem Skihotel zeigen sich schwere Lücken beim Brandschutz. Eine Expertin sagt: "Nicht einmal bei der einzigen Feuertreppe gab es eine Brandschutztür!"
78 Menschen sterben bei dem verheerenden Brand in einem Skihotel im türkischen Kartalkaya. Sechs Staatsanwälte ermitteln zur Brandursache.22.01.2025 | 2:07 min
"Die Türkei weint um sie", schreibt die Zeitung "Hürriyet". Es folgen Fotos von strahlenden Kindern, stolzen Eltern mit Baby, Fotos von einem Universitätsprofessor und seiner Tochter, von glücklichen Gesichtern bei einem Kindergeburtstag. Sie alle leben nicht mehr.
Ganze Familien werden bei dem Feuer im Skihotel "Grand Kartal" ausgelöscht. Insgesamt finden 78 Menschen den Tod, darunter 36 Kinder. Warum? Wie war diese Feuerkatastrophe möglich?
Türkische Zeitungen berichten über das Unglück
Quelle: ZDF/Carsten Rüger
Gravierende Brandschutzmängel im Dezember festgestellt
Irgendwann nach drei Uhr nachts bricht im Restaurantbereich Feuer aus. Das voll ausgebuchte, zwölf-stöckige Hotel hat eine Holzfassade, die - sagen Augenzeugen - wohl auch dazu beiträgt, dass sich die Flammen rasend schnell von Stockwerk zu Stockwerk nach oben fressen. Dort sitzen die Menschen in der Falle.
Denn Überlebende berichten: Wegen des Rauchs sind die Wege zur Feuertreppe kaum zu finden. Einige knoten in ihrer Panik Bettlaken zusammen, versuchen, sich daran über die Fenster zu retten, sich abzuseilen. Andere springen direkt - dabei sind zwei sofort tot. Ein Vater hält sein einjähriges Kind aus dem Fenster und schreit: "Ich werfe Euch jetzt mein Kind zu oder es verbrennt hier!" In diesem Fall kam die Rettung durch die Feuerwehr zum Glück rechtzeitig.
Drohnenaufnahmen in diesem unkommentierten Video machen die Ausmaße der Zerstörung deutlich.24.01.2025 | 6:56 min
Gerettete: Keinen Alarm gehört
Überlebende berichten außerdem: Sie hätten keinen Alarm gehört. Kann das sein? Einen Tag nach dem Feuer kursiert in türkischen Medien ein Papier. Der Inhalt ist brisant. Er zeigt das Ergebnis einer Sicherheitsinspektion des Hotels durch die zuständige Feuerwehr in Bolu.
- Das Datum: 16. Dezember 2024
- Das Ergebnis: Es gibt keine einzige wirksame Brandschutzmaßnahme.
- Die Folgen: keine.
Die Geschäftsführung des Hotels zieht den Antrag auf die Inspektion einfach zurück und es passiert das Unfassbare - nämlich nichts. Das Papier mit der langen Liste an Mängeln fällt unter den Tisch. Das Hotel bleibt offen und ist in diesen Tagen ausgebucht.
Einen Tag nach dem verheerenden Feuer in einem schicken Skihotel in den türkischen Bergen wird ein Papier mit brisantem Inhalt öffentlich. Es zeigt das Ergebnis einer Sicherheitsinspektion des Hotels durch die zuständige Feuerwehr in Bolu vom 16. Dezember 2024.
- Evakuierungswege: NICHT ausreichend
- Zeichen für Notausgänge: NICHT ausreichend
- Notbeleuchtung: NICHT ausreichend
- Löschsysteme (Feuerschrank, Sprinkler): NICHT ausreichend
- Schränke vorhanden - aber Sprinklersystem gibt es nicht.
- Feueralarm (Wärme-, Rauchdetektoren): NICHT ausreichend
- Blitzschutz: NICHT ausreichend
- Rauchkontrolle (Lüftung): NICHT ausreichend
(Quelle: ZDF-Auslandsstudio Istanbul)
Expertin: "Brandmeldeanlage kaputt, Feuertreppe ohne Brandschutztür"
Derya Başyılmaz, Architektenkammer Ankara
Quelle: ZDF/Carsten Rüger
Wir reden mit Derya Başyılmaz, Vorsitzende der Architektenkammer von Ankara. Ihre Kollegen, Ingenieure und Architekten, sind am Unglücksort, untersuchen die schwarze Hotel-Ruine im Schnee von Karalkaya.
Von ihnen hat Derya Başyılmaz erschreckende Informationen bekommen: "Es gab zwar eine Brandmeldeanlage, aber sie war nicht funktionstüchtig. Übungen und Wartungen dieses Warnsystems hat der Hotelbetreiber nie durchgeführt." Das erklärt, warum niemand einen Alarm gehört hat.
Von ihnen hat Derya Başyılmaz erschreckende Informationen bekommen: "Es gab zwar eine Brandmeldeanlage, aber sie war nicht funktionstüchtig. Übungen und Wartungen dieses Warnsystems hat der Hotelbetreiber nie durchgeführt." Das erklärt, warum niemand einen Alarm gehört hat.
Bei dem Brand in der Provinz Bolu im Nordwesten der Türkei kamen nach jüngsten Angaben 78 Menschen ums Leben. 21.01.2025 | 1:23 min
Keine Sprinkleranlage installiert
Und eine Sprinkleranlage? Obwohl sie bei solchen Gebäuden vorgeschrieben ist, gab es sie nicht. "Nach den geltenden Brandschutzvorschriften müssen Hotels mit mehr als zwei Stockwerken und mehr als 20 Betten mindestens zwei Feuertreppen haben", erklärt Başyılmaz. Doch im zwölfstöckigen Luxushotel mit 161 Zimmern und 238 Betten habe es nur eine einzige Fluchttreppe gegegeben.
Ein sicherer Fluchtweg - Fehlanzeige.
Verstöße, Verstöße, Verstöße
Ein weiterer Verstoß gegen Vorschriften: Die Zufahrt für die Feuerwehr fehlt. Das Hotel ist auf einem abschüssigen Gelände gebaut und so gibt es auf der Gebäuderückseite keine Straße, über die ein Feuerwehrauto hätte einfahren können.
Zu Fuß und nur mit einem Schlauch in der Hand konnten die Feuerwehrleute hier wenig ausrichten. Die Menschen auf dieser Seite des "Grand Kartal" hatten keine Chance.
Hier hat sich der Hotelbrand ereignet: In Kartalkaya in der Region Bolu in der Türkei.
Quelle: ZDF
Feuerrisiko: Fett im Abluftkanal
"Das Hauptproblem ist aber, dass das Feuer aus dem Restaurantbereich kam", erklärt Architektin Başyılmaz. In Gastronomie-Küchen, in denen viel mit Fett gekocht wird, lauert das Feuerrisiko im Abluftkanal über dem Herd oder Grill. Sammelt sich hier Fett an, kann bei einem Herdbrand der Luftkanal wie eine Zündschnur wirken: Weil der Blechschacht durch das ganze Haus bis zum Dach hochgeht, kann sich ein Feuer durch diesen Kanal auf alle Stockwerke ausbreiten. Başyılmaz sagt:
"Für Hotels, Gaststätten, Schulen, Krankenhäuser gilt außerdem die Vorschrift: In Küchen, die mehr als 100 Personen bedienen, muss in den Abzugshauben ein automatisches Fettabscheidesystem eingebaut sein. Zudem müssen je nach Art des im Herd verwendeten Gases die Abzugshauben über eine Gasdetektions- und Abschaltwarnanlage verfügen. In der Küche des Grand Kartal Hotel wurde jedoch eine klassische Abzugshaube verwendet, also keine qualifizierte Haube im Sinne des Brandschutzes."
Es habe wohl niemand "einen Alarm gehört" und "für 76 Menschen kam alle Hilfe zu spät", so Carsten Rüger, ZDF-Reporter in Istanbul. Der Hotelbesitzer sei "zur Befragung" festgenommen worden.22.01.2025 | 3:33 min
Abluftschächte müssen abgeschlossen sein
Der deutsche Architekt und Brandschutzexperte Matthias Burda erklärt: "Wenn es in einem Abluftkanal brennt, dann gibt es ja ordentlich Zug und das Feuer schießt hoch in alle Geschosse. Bei Temperaturen von über 1.000 Grad brennt auch das Blech des Schachts durch." Deshalb bräuchten solche Schächte eine Ummantelung.
Zudem sei eine Fettabscheidevorrichtung, um von vorneherein Fett im Abluftschacht zu verhindern, sinnvoll. Wenn das aber alles fehlte?
Brandschutz nicht verbessert
"Man hätte den Brandschutz verbessern können", sagt Expertin Başyılmaz. Man hätte nachträglich passende Abzugshauben einbauen und Sprinkleranlagen installieren können. Oder neue Zimmertüren: Die Zimmertüren zum Flur müssen heute aus Materialien bestehen, die einem Feuer mindestens 30 Minuten lang standhalten können.
Das Resümee der Architektin ist niederschmetternd: Fehler schon in der Planung und beim Bau des Hotels, dann fehlende Kontrollen und Inspektionen und schließlich die mangelnde Sensibilität des Geschäftsinhabers - das alles zusammen habe zur Katastrophe geführt.
Wenige Stunden nach dem Interview bestätigt die Feuerwehr in ihrem Voruntersuchungsbericht - das Feuer ist definitiv in der Küche ausgebrochen. Und Medien zitieren Augenzeugen: Mitten in der Nacht hätten sich einige in der Küche noch schnell Pommes gemacht.
Thema
Mehr Nachrichten aus der Türkei
mit Video
Weltverfolgungsindex:Lage der Christen in der Türkei verschlechtert
Türken und Kurden:PKK-Gründer Öcalan will "Ära des Friedens"
Anna Feist, Istanbul