Kurden und Türken: PKK-Gründer Öcalan setzt auf Versöhnung
Türken und Kurden:PKK-Gründer Öcalan will "Ära des Friedens"
von Anna Feist, Istanbul
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Der inhaftierte Anführer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK will zur Versöhnung zwischen Türken und Kurden beitragen. Was bedeutet das für die Kämpfe in Syrien?
Abdullah Öcalan wurde vor 25 Jahren vom türkischen Geheimdienst festgenommen. Das Foto zeigt ihn 1999 vor Gericht.
Quelle: dpa
Im Norden Syriens kämpfen seit drei Wochen die kurdischen Kräfte der SDF gegen regierungsnahe, islamistische Truppen der Syrischen Nationalen Armee (SNA). Ihr Ziel ist es, die Region "zu befreien" und die kurdische Stadt Kobane unter ihre Kontrolle zu bringen.
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"Unglaubliche Angst"
Die Einwohner in den betroffenen Regionen berichten gegenüber dem ZDF von stundenlangen Einschlägen. Besonders die Dörfer um Klhayde, 40 Kilometer südlich von Kobane, seien ins Kreuzfeuer geraten, berichtet Ahmed Suliman: "Es passierte am Abend gegen 20:30 Uhr. Wir hatten keinen Zufluchtsort um diese Uhrzeit. Zwischen einem Einschlag und dem nächsten waren es vielleicht fünf Minuten, manchmal auch nur zwei."
Einige Anwohner seien nach Kobane geflohen, doch viele hätten die Dörfer nicht verlassen können, weil ihre Autos während der Kampfhandlungen zerstört worden seien, erzählt uns sein Nachbar Majd Ahmed. Das Schlimmste seien aber nicht die Schäden, die überall sichtbar sind, sondern "diese unglaubliche Angst, die wir und unsere Kinder verspüren während der andauernden Einschläge".
Fragt man nach bei der Syrischen Nationalen Armee, dann sind solche Kampfhandlungen längst nicht vorbei: "Unsere Botschaft an die kurdischen Streitkräfte ist eindeutig: Träumt nicht davon, in dieser Gegend bleiben zu können. Dem kurdischen Volk wollen wir sagen: Wir sind eure Brüder. Wir raten allen Familien, deren Söhne Teil dieser kriminellen Gang sind, sich zu ergeben. Wir kommen, um das Land zu sichern", erklärt Feldkommandant Ubaid Al-Khalaf im ZDF-Interview.
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Öcalan setzt auf Versöhnung zwischen Türken und Kurden
Und nun könnte weiterer Druck dazukommen: Am Samstag hat PKK-Führer Abdullah Öcalan, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Türkei inhaftiert ist, zum ersten Mal seit zehn Jahren Besuch bekommen von der kurdischen DEM-Partei. Schon seit Wochen steht die Forderung im Raum, dass Öcalan die PKK zum Frieden aufrufen solle. Nun lässt Öcalan die Botschaft übermitteln, er sei bereit, "die notwendigen positiven Schritte zu unternehmen und die erforderliche Forderung zu stellen". Denn, so Öcalan: "Dies ist eine Ära des Friedens, der Demokratie und der Brüderlichkeit für die Türkei und die Region."
Bedeutet das die Auflösung der Terrororganisation PKK und ihrer Bruderorganisation YPG? Und damit de facto das Ende der kurdischen Streitkräfte SDF, die von den USA bisher unterstützt wurden?
Löst sich die PKK jetzt auf?
Nachfrage bei einem führenden Experten: Hüseyin Bağcı ist Professor für internationale Beziehungen an der "Middle East Technical University in Ankara": "Die PKK wird darauf nicht automatisch antworten, dass sie die Waffen niederlegt. Wenn sie das tut, dann wäre das eine historische Entwicklung."
Die Frage, so Bağcı, sei vielmehr, wer nun der eigentliche Boss der PKK ist: "Wenn Öcalan noch stark ist, dann werden die bewaffneten Gruppen der PKK ihm folgen. Aber wir müssen sehen, wie die PKK darauf reagiert." Insbesondere jene PKK-Mitglieder, die von Kandil-Bergen im Irak aus agieren, könnten sich Öcalans Friedensforderungen wiedersetzen, erklärt Bağcı: "Die Machthaber in Kandil, die haben eine andere Haltung, die gehören zu einer anderen Generation der PKK und die könnten sich von Öcalan trennen. Das ist möglich. Aber ob die das tatsächlich tun werden?"
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Experte sieht brillanten Schachzug Ankaras
Fest steht für Bağcı: Öcalan in den Konflikt miteinzubeziehen, sei ein brillanter Schachzug Ankaras gewesen: "Die türkische Regierung hat taktisch sehr klug gehandelt, in dem sie Öcalan zu Wort kommen lassen hat. Denn auch wenn die PKK die Waffen nicht ablegt, dann wäre es trotzdem ein Sieg für die türkische Regierung. Die kann dann sagen, wir haben alles getan. Aber die wollten das nicht." Damit wäre dann auch der grenzüberschreitende Kampf gegen die Terroristen der PKK und YPG der Türkei in Syrien gerechtfertigt.
Kurzum, so der Professor: "Das heißt YPG und PKK sind die Verlierer dieser Entwicklungen. Vor einem Monat sah das noch anders aus. Aber heute sind sie wie ein Fußballteam, das in der ersten Halbzeit 3:0 führt, aber am Ende 3:4 verliert."
Humanitäre Not der Kurden in Syrien
Ein Spiel auf Kosten der Zivilbevölkerung: Nach Schätzungen sollen mehr als Hunderttausend kurdische Syrer auf der Flucht sein. In einer notdürftig eingerichteten Zeltstadt, 160 Kilometer südlich von Kobane, fehlt es an allen: "Kinder sterben hier, weil es an allem mangelt. Wo sind die internationalen Hilfsorganisationen?", fragt uns Layla Rashid, selbst Flüchtling, die versucht, so gut es geht, Hilfe für die Alten und Kranken zu organisieren.
Ein 58-Jähriger erzählt, dass er in wenigen Tagen zweimal vor den anrückenden Kräften der Nationalen Syrischen Armee fliehen musste: "Wir hörten, dass sie im Anmarsch sind, also floh jeder von uns in eine andere Richtung. Wir wissen immer noch nicht so richtig, was passiert." Weil er so in Eile war, habe er alle Wertgegenstände vergessen, erzählt der Mann. Noch nie in den vergangenen 13 Jahren, seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges, sei seine Situation so schlecht gewesen.
Nach dem Sturz des syrischen Machthabers Assad befürchten die Kurden eine türkische Großoffensive im Norden Syriens. Die USA sollen dabei helfen, den Angriff aufzuhalten.
mit Video
Quelle: ZDF
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