Interview
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Lage in Nord-Syrien:Kurden: Lassen uns nicht einfach entwaffnen
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Nach dem Umsturz in Syrien greift die Türkei die Kurden im Norden des Landes an. Der Oberbefehlshaber der Kurdenmiliz SDF erläutert die Lage - und berichtet vom Erstarken des IS.
In einem Lager im Nordosten Syriens leben zehntausende IS-Anhänger und ihre Familien. Eine Kurdenmiliz verwaltet das Camp, sie ist oft mangelhaft ausgestattet - und unterbesetzt.16.01.2025 | 2:38 min
ZDFheute: Herr Abdi, Experten sprechen seit 2024 von vermehrten Angriffen des IS in Syrien und Irak (ISIS). In Damaskus seien kürzlich IS-Mitglieder festgenommen worden, die einen Anschlag auf einen Schrein geplant hätten, meldeten die neuen Machthaber. Wie sieht es in ihrer Region aus?
Mazlum Abdi: Das Erstarken beobachten auch wir auch vor Ort. Nach dem Fall des Assad-Regimes entstand ein Sicherheitsvakuum, das der IS ausnutzte. Er konnte an Waffenlager herankommen, gerade in den Wüstenregionen.
Wir beobachten vermehrte IS-Angriffe gegen unsere Kräfte. Er attackiert auch Gegenden, die bislang nicht im Fokus standen - wie die Stadt Raqqa.
Quelle: ZDF
... studierte an der Universität Aleppo und wurde mehrere Male in Syrien verhaftet. Er gilt als Veteran der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Im syrischen Bürgerkrieg wurde er als zentrale Figur im Kampf gegen den IS bekannt und etablierte die Kurdenmiliz SDF unter seiner Führung als den Hauptalliierten der USA.
ZDFheute: Wie sehen Sie die bislang unklare Zukunft der 2.000 US-Truppen in der Region? Was würde bei einem Abzug der US-Truppen passieren?
Abdi: Wir kennen die Entscheidungen der zukünftigen US-Administration nicht. Es ist entscheidend, dass die Amerikaner bleiben. Das gemeinsame Programm unserer Streitkräfte mit der US-Armee hat sein Ziel - die Beendigung der Bedrohung durch den IS - noch nicht erreicht.
Daher haben wir das neue US-Team über unsere Bitte informiert, dass die US-Truppen hier bleiben sollten.
Erdoğans Türkei nutzt die Gunst der Stunde nach dem Sturz Assads, um ihre Macht in Syrien auszuweiten und geht weiter gegen die Kurden im Nordosten des Landes vor.18.12.2024 | 6:19 min
ZDFheute: Die Türkei hat vorgeschlagen, dass die HTS-Islamisten in Damaskus die Kontrolle der IS-Gefängnisse in Ihrer Region übernehmen könnten …
Abdi: Nach unseren Informationen wollen die Türken sogar selbst diese Gefängnisse kontrollieren. Eine ausländische Armee auf syrischem Boden - das wäre nicht hinnehmbar. Wir haben mit der HTS über diese Angelegenheit gesprochen. Wir sind bereit, mit unseren Kräften weiter die Aufsicht zu führen.
Aber wir sind offen für eine Kooperation mit der HTS und werden weitere Gespräche dazu mit ihr führen, um gemeinsam Stabilität und Sicherheit zu erreichen. Aber in der jetzigen Situation die Aufsicht über die 28 Gefängnisse und die Lager zu verändern, ist schwierig. Die Lage ist zu komplex, um schnell verändert werden zu können.
ZDFheute: Wie sehr leidet Nord-Syrien unter den Angriffen pro-türkischer Milizen und der Türkei?
Abdi: Die fortgesetzten Angriffe der Türkei zeigen, dass ihr wahres Ziel nicht ein Ende des Konflikts ist, sondern die Vernichtung der SDF und allgemein der kurdischen Präsenz. Es gibt keinen anderen Grund.
Türkische F16-Jets, türkische Berater und diese Gruppen (die pro-türkischen SNA-Milizen, Anm. d. Red.) führen die Angriffe gemeinsam aus, nicht nur an der Front, sondern auch in zivilen Wohngegenden - wo zuweilen unsere Kämpfer auch sind - aber wo auch Zivilisten getötet werden.
In Nord-Syrien eskalieren die Kämpfe zwischen Islamisten und kurdischen Milizen. Zivilisten fliehen aus den umkämpften Gebieten, die Lage spitzt sich weiter zu.31.12.2024 | 2:33 min
Die Türkei greift Getreidesilos, Raffinerien und Stromwerke an. Der Tischrin-Damm, ein Zentrum der Stromerzeugung, ist deswegen bereits außer Betrieb. Dazu kommen rund 150.000 neue Vertriebene, aus Tal Rifaat oder aus Kobane.
ZDFheute: Deutschlands Syrien-Koordinator Tobias Lindner fordert einen Abzug der Kämpfer der - in Deutschland als Terrororganisation klassifizierten - kurdischen Arbeiterpartei PKK aus Nord-Syrien. Diese müssten verstehen, dass man nun in einer anderen Situation sei als noch vor dem Sturz von Assad.
Abdi: Als der Kampf gegen den IS begann, riefen wir nicht nur die Anti-IS-Koalition, sondern auch kurdische Kämpfer überall in der Welt dazu auf, zu uns zu kommen und uns zu helfen. Mehr als 3.000 dieser Kämpfer wurden getötet im Kampf gegen den IS.
Nach dem Umsturz haben die neuen Machthaber angekündigt, alle Waffen im Land unter ihre Kontrolle zu stellen. Das beträfe auch Gebiete der Kurden in Nordsyrien. 23.12.2024 | 1:32 min
Einige dieser kurdischen Kräfte gingen zurück in ihre Gebiete, so wie die Peshmerga. Andere wollten hier bleiben, an unserer Seite, um die anhaltenden Angriffe abzuwehren und unserem Volk zu helfen. Heute, nachdem Syrien in eine neue Phase eingetreten ist, bestätigen wir:
ZDFheute: Wie verlief Ihr erstes Treffen mit Machthaber Ahmad Al-Scharaa in Damaskus?
Abdi: Es dauerte zweieinhalb Stunden und verlief positiv. Die HTS spricht offen mit uns. Wir sind uns im Wesentlichen einig über Syriens Einheit und Nicht-Aufteilbarkeit, über Stabilität und Frieden als Ziel. Wir wollen zusammenarbeiten, um eine neue Verfassung und eine inklusive nationale Regierung auszuarbeiten.
Nach dem Sturz des Assad-Regimes liefern sich pro-kurdische und syrische Milizen im Nordosten Syriens schwere Kämpfe. Die Türkei unterstützt die syrischen Kämpfer gegen die Kurden.19.12.2024 | 2:25 min
Doch die Frage bleibt, wie das alles zu erreichen ist. Was unsere Rolle in der Regierung in Damaskus sein wird und wie diese mit uns arbeiten kann. Bei einigen praktischen Details sind wir noch uneins und werden nun einen Ausschuss damit beauftragen.
ZDFheute: Wie stehen Sie zum Appell Al-Scharaas, dass nun alle bewaffneten Gruppierungen aufgelöst werden sollten?
Abdi: Im Prinzip sollte Syrien eine einheitliche Armee haben, unter einem Verteidigungsministerium. Wir als SDF müssen Teil der syrischen Armee sein. Wir haben Tausende erfahrene Sicherheitskräfte, die seit Jahrzehnten gekämpft haben. Sie können nicht einfach so schnell entwaffnet werden. Das würde ein Sicherheitsvakuum an den Grenzen und Chaos erzeugen.
Nach dem Sturz des Assad-Regimes steht Syrien vor einer Zeit der Ungewissheit. Doch viele Syrer scheinen Vertrauen zu haben, dass nun eine bessere Zukunft auf sie wartet.09.12.2024 | 2:33 min
ZDFheute: Wie sähe die Zukunft Ihrer Region idealerweise aus im neuen Syrien?
Abdi: Das alte Syrien war ein diktatorisches, zentralisiertes Regime. Wir wollen ein dezentralisiertes Syrien. Wir haben keinen Föderalismus verlangt. Wir reden über Selbstverwaltung mit breiten Vollmachten.
Das Interview führten Golineh Atai (Leiterin des ZDF-Studios für die arabische Welt) und Amro Refai im nord-syrischen Al-Hasaka.
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