Newsletter ZDF-Fernsehrat:Wo man findet, anstatt zu suchen
Fernsehrat Stephan Schaede über das neue ZDF-Streaming-Portal
"Das neue ZDF-Streaming-Portal ist etwas für Menschen, die in neugieriger Finderlaune sind und sich dabei produktiv überraschen lassen wollen", sagt Fernsehrat Stephan Schaede. Ausdrücklich begrüßt der Theologe auch, dass der Sender verwendete Algorithmen offenlegt.
Fernsehratsmitglied Dr. Stephan Schaede
Quelle: Jens Schulze
#Fernsehrat: Immer weniger Menschen schauen klassisches lineares Fernsehen, während die non-lineare Nutzung wächst. Wie bewerten Sie die Prinzipien der Non-Linearität, mit denen das eigenständige ZDF-Streaming-Portal im März die Mediathek ablöst, die sich noch stärker am TV orientierte?
Stephan Schaede: Ich finde diese Veränderung klasse. Das ZDF kehrt damit konsequent allen digitalen Hausstaub, der sich fröhlich in die Ritzen seiner Mediathek eingelagert hatte, aus seiner digitalen Angebotspalette heraus. Und das war auch höchste Zeit. Denn die Streaming- Konkurrenz ist hart, weil kein neuer Markt mehr erschlossen werden kann. Die Entscheidungszeit, ob ich auf der jeweiligen Plattform bleibe oder nicht, ist extrem kurz geworden. Wer da auf Buchstabendaddeln mit den Alphabettasten setzt, und seien sie noch so hinreißend orange, hat schon verloren. Schluss mit dem "Wer suchet, (was er längst schon als Sendung im Kopf hat), der findet". Mediennutzerinnen und Mediennutzer von heute sind extrem anspruchsvoll. Sie folgen dem Anspruch Picassos, der einmal gesagt hat: "Ich suche nicht, ich finde". Das neue ZDF-Streaming-Portal ist etwas für Menschen, die in neugieriger Finderlaune sind und sich dabei produktiv überraschen lassen wollen von einem durchdachten Navigationssystem mit ansprechenden Bildern und knappen orientierenden Wortinformationen. Ich bin gespannt, wie sehr die jüngeren Alterskohorten darauf anspringen werden. Wer linear mag und die imponierend gut durchdachte Dramaturgie eines ZDF-Fernsehtages und -abends liebt, kann ja auf den Senderknopf seiner TV-Fernsteuerung weiter drücken, und kommt auf seine Kosten.
Zusammenfassung der Fernsehratsvorlage "Stand und Entwicklung des ZDF Streaming-Portals"
#Fernsehrat: Der einzelne Nutzende soll mit seinen individuellen Interessen und Vorlieben "intuitiv" durch das Portal navigieren. Welche Bedeutung hat hierbei das Metadatenkonzept?
Schaede: Mit dem Prädikat "intuitiv" ist ein höchster Anspruch gesetzt. Die Intuition hat es in sich. Sie ist auch in Sachen Mediensuche das genaue Gegenteil von einem gedankenlos emotional chaotisierenden Drauflosgesuche. Intuition ist die nachreflexiv verdichtete und kondensierte Ortungsfähigkeit und Ortungserwartung eines Individuums, oder anders gewendet ein beschleunigtes abkürzungsfreudiges Herumhirnen. Oder noch knapper: Ein herzgesteuerter Brühwürfel mit Kopf. Chapeau also, wenn ein Metadatenkonzept einem intuitiven Navigationsanspruch gerecht wird und blitzschnell in Sachen Publikationsform, Genre und Stimmung klassifiziert und informiert, immer deutlicher an den Sehgewohnheiten der Nutzer*innen orientiert, leicht fasslich in Bild und Wort, und das alles auch noch barrierefrei. Die Mühe hat sich wirklich gelohnt, die Produkte, für die das ZDF steht, auf der Streamingplattform durch das Metadatensystem leicht identifizieren und unkompliziert finden zu können. Es wird anspruchsvoll bleiben, in Zukunft die richtige Balance zu finden, zwischen einerseits beharrlichen Standards, die die Metadaten (wieder)erkennbar, in der Aufmachung einheitlich und vor Überschreibung geschützt sein lassen, und andererseits einer hohen Dynamik der Anpassung der Metadaten an veränderte Seh- und Sucherwartungen.
#Fernsehrat: Nutzerinnen und Nutzer sind oft sehr kritisch, wenn es um einen Algorithmus geht, der ihnen eine Programmauswahl präsentiert. Wie bewerten Sie es, dass das ZDF den Algorithmus der ZDF-Streaming-Plattform offenlegt?
Schaede: Das ist doch genau der richtige Weg, um zu signalisieren: Unsere Algorithmen sind ein offenes Geheimnis. Ohne Algorithmen sind individuell immer mehr maßgeschneiderte Zuschnitte, Schnelligkeit und lukullische Lust an Medienangeboten, die ich nach getaner Arbeit gerne inhalieren möchte, nun einmal nicht zu haben. Den Algorithmus offenzulegen ist da ein kluger und medienpolitisch entscheidender Schachzug. Er markiert den feinen und zugleich entscheidenden Unterschied zu anderen Suchmaschinen und Medienplattformen, die ihre Algorithmen nicht preisgeben wollen. Das ZDF braucht mit seiner öffentlich-rechtlichen Medienambition, die mit einer gehörigen Portion kluger Selbstdistanz eben nicht manipulieren, sondern orientieren und meinungsplural informieren will, seine Algorithmusphilosophie nicht zu verbergen. Alle dürfen wissen, wo sie dran sind. Wir sind die, die keine fragwürdigen Geschäftsinteressen mit Algorithmen verfolgen. An einer algorithmischen Fernsteuerung, die Mediennutzer dahin führen, wohin sie selbst eigentlich gar nicht wollen, besteht kein Interesse. Deshalb volle Transparenz für alle, die es wirklich wissen wollen.
#Fernsehrat: Das ZDF hat sich zum erklärten Ziel gesetzt, innerhalb des gesamten Streaming-OS-Netzwerks von ARD und ZDF eine "starke Rolle" zu spielen und in bestimmten Entwicklungs-Bereichen eine Federführung zu übernehmen. Wo und wie kann Ihrer Meinung nach das ZDF diese Rolle ausfüllen?
Schaede: Die Frage der bestimmten Entwicklungs-Bereiche, auf die konzentriert zu setzen ist, beherrschen die Fachleute im ZDF selbst wohl am allerbesten. Auf die sollten wir kritisch hören. Die große Stärke des ZDF ist doch, jenseits von medienpolitisch föderalem Interessen-Tohuwabohu konzentriert bundesweit agieren zu können und auch zu sollen. Mit diesem medialen Pfund sollte es weiter wuchern und sich konzentriert an die Arbeit machen. Das hat das ZDF ja durch die Medienforschung im Vorfeld und den gezielten Einsatz von Agenturen, die Anwendungshärtetests durchgeführt haben, schon getan und deshalb im Konzert der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten gepunktet. Die entscheidende Vorreiterrolle scheint mir zuletzt eine sehr prinzipielle zu sein, nämlich erstens - in einer gewissen Selbstlosigkeit gegenüber den sehr schönen inhouse entstandenen Produkten - alles von hoher Qualität jenseits des Hauses mit dem nötigen kritischen redaktionellen Blick willkommen zu heißen. Und zweitens weg vom linearen Produktionsbestandsdenken hin zum Bedarf aktueller Mediennutzer generationenübergreifend ein Metadatenfeuerwerk zu entzünden, das die individualisierten Suchraketen in Richtung einer Lust an aufgeklärter Informations- und Unterhaltungspolitik in den Medienhimmel des 21. Jahrhundert schickt, und das ohne falsche Konkurrenz, sozusagen mit Freude am hauseigenen Fernsehgarten "in mir" und Lust am gestirnten Streaminghimmel "über mir".
Zur Person: Stephan Schaede, Jahrgang 1963, ist Vizepräsident des Kirchenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Seit Juli 2024 ist er ZDF-Fernsehrat und Mitglied im Programmausschuss Programmdirektion. Der Theologe lebt in Hannover.