Tief verankerte Bindung und Entwicklungspotenzial
Der Sachverständige Philipp Künstle über seine Arbeit zur Selbstverpflichtungserklärung des ZDF
"Qualität lässt sich nicht eindimensional messen – sie ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von kreativen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren", konstatiert der Sachverständige Philipp Künstle. Er nennt konkrete Ergebnisse seiner Arbeit in den letzten Jahren und erklärt, was diese ihm auch persönlich gebracht hat.
Sachverständiger Philipp Künstle
Quelle: privat
#Fernsehrat: Sie haben den Fernsehrat bei der Umsetzung der in der Selbstverpflichtungserklärung des ZDF festgelegten Qualitätsziele zwei Jahre lang als Sachverständiger begleitet. Bitte ziehen Sie ein kurzes Fazit Ihrer Arbeit.
Philipp Künstle: Mein bisheriges Fazit als Sachverständiger des ZDF-Fernsehrats fällt insgesamt positiv aus, zugleich lohnt es sich, unsere Erkenntnisse differenziert zu betrachten. Besonders aus medienwissenschaftlicher Perspektive mit Schwerpunkt auf Film- und Serienproduktion wird deutlich, dass das ZDF erhebliche Anstrengungen unternimmt, seine Rolle als qualitativ hochwertiger, innovativer und gesellschaftlich relevanter Programmanbieter zu festigen.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt meiner Prüfung lag in der Durchführung einer Fallstudie zu Leistungskriterien fiktionaler Programme, konkret den ZDFneo-Serien des Jahres 2023. Diese Fallstudie war nicht nur ein methodischer Test für das damals im Aufbau befindliche Befragungs-Panel ZDFmitreden, sondern ermöglichte auch einen vielschichtigen Blick auf Qualität und Akzeptanz in einem vor allem hinsichtlich der Nutzung gut erforschten Bereich der Fiction. Selbst bei den z.T. für sehr spitze Zielgruppen konzipierten Serien fördert die Kombination von technisch gemessenen Nutzungsdaten mit gezielten Befragungsergebnissen interessante Erkenntnisse zur Zuschauerbindung und Programmqualität. Die hohe positive Bewertung durch die Nutzenden (95 Prozent Zustimmung) und das Auslösen einer relevanten Anschlusskommunikation über Themen wie Macharten belegt die gelungene Umsetzung produktionstechnischer und narrativer Standards. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass emotional tief verankerte Bindung – gemessen als sog. "Love Value" – bisher nur bei einem kleineren Teil des Publikums besteht. Hier sehe ich in den nächsten Jahren Entwicklungspotenzial, um die fiktionalen Angebote gezielt so weiterzuentwickeln, dass stärkere Resonanzräume entstehen.
Aus persönlicher Sicht war diese Begleitung nicht nur eine Analyseaufgabe, sondern ein intensiver Dialogprozess: Der Austausch mit dem Fernsehrat, den Programmschaffenden und dem Team der Sachverständigen hat mir noch einmal verdeutlicht, wie komplex die Operationalisierung von Qualität im öffentlich-rechtlichen Kontext ist. Qualität lässt sich nicht eindimensional messen – sie ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von kreativen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren.
#Fernsehrat: So wie das ZDF ziehen Sie regelmäßig (Zwischen-)Bilanzen zur Umsetzung der Selbstverpflichtungserklärung. Wie gehen Sie dabei methodisch vor?
Künstle: Unser Team der Sachverständigen verfolgt einen fokussierten, themenorientierten Ansatz. Das methodische Vorgehen zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass wir uns bewusst auf spezifische Schwerpunktthemen konzentrierten, um diese tiefgehend und differenziert zu analysieren. Gleichzeitig hatten wir uns der Herausforderung zu stellen, das wirklich komplexe Instrumentarium ZDF KOMPASS möglichst in seiner gesamten Breite auf die Anwendbarkeit auf die Selbstverpflichtungserklärung (SVE) zu erproben, bei dem auch jetzt noch Teile hinzukommen oder ausgebaut werden. In gewisser Weise hatten wir auch zu testen, inwieweit das Instrumentarium nur für eine umfassende Qualitätsmessung des gesamten ZDF-Angebots taugt, oder ob auch Aussagen auf der Ebene von Genres, Subgenres oder Formaten möglich sind.
Zusammenfassung der Fernsehratsvorlage "Selbstverpflichtungserklärung des ZDF 2025 - 2026"
#Fernsehrat: Für die neue Selbstverpflichtungserklärung sind die fünf Kernziele angepasst worden - wie bewerten Sie die neu justierten Zielsetzungen?
Künstle: Die Anpassung der fünf Kernziele in der neuen SVE stellt aus meiner Sicht eine konsequente Weiterentwicklung dar, die sowohl den medienpolitischen Herausforderungen unserer Zeit als auch den methodischen Erfordernissen zur Messbarkeit gerecht wird. Besonders hervorzuheben ist die Integration des Begriffs gesellschaftlicher Zusammenhalt im zweiten Kernziel. In unserem Team der Sachverständigen haben wir diesen Begriff bewusst in den Fokus genommen, weil er – in seiner programmübergreifenden Relevanz – eine zentrale Referenzgröße für die gesamte öffentlich-rechtliche Programmarbeit darstellt. Das heißt nicht, dass Ziele wie Vielfalt jemals abgehakt werden können – sie spielen hier mit hinein und müssen immer wieder aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden.
Die zentrale Frage lautet dabei: Wie tragen mediale Inhalte konkret dazu bei, Gemeinschaft zu stiften und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern – insbesondere in Zeiten, in denen Desinformation, Polarisierung und algorithmisch verstärkte Fragmentierung den gesellschaftlichen Diskurs zunehmend herausfordern.
Eine weitere strategische Neuerung, die ich als zukunftsweisend einschätze, ist die Aufnahme des Kernziels: "Das ZDF verbessert Qualität und Zugänglichkeit seiner Angebote mittels Technologie, Daten und moderner Prozesse". Dieses Ziel fungiert als strukturelles Rückgrat der gesamten Selbstverpflichtungserklärung. Die explizite Berücksichtigung technologischer Entwicklungen – etwa der Einsatz von KI, personalisierten Empfehlungsmechanismen und barrierefreien Distributionswegen – ist aus meiner Sicht essenziell, um den öffentlich-rechtlichen Auftrag im digitalen Zeitalter nachhaltig zu sichern.
#Fernsehrat: Auch bei den Messgrößen gibt es Neuerungen - welche sind für Sie die wichtigsten?
Dein ZDF:ZDFmitreden
Künstle: Hier erscheinen mir besonders zwei Neuerungen relevant: Zum Ersten ist es die Stärkung und Weiterentwicklung des Panels ZDFmitreden im Bezug auf die Wirkungsebene: Das Panel hat sich bereits in der erwähnten Fallstudie zu den ZDFneo-Serien als wertvolles Instrument erwiesen, um differenzierte Aussagen zur Programmbewertung, Akzeptanz und Zuschauerbindung zu treffen – insbesondere auch für spitze Zielgruppen und fiktionale Inhalte. Die Möglichkeit, Kriterien wie "Brand Love", also "Markenliebe", und das Potenzial für gesellschaftliche Anschlusskommunikation zu erfassen, stellt eine deutliche Vertiefung der bisherigen Messpraxis dar. Für zukünftige Evaluationen, insbesondere auf der Wirkungsebene, ist das Panel ausbaufähig, etwa durch experimentelle Designs oder gezielte Befragungen zu gesellschaftlich relevanten Themen.
Die zweite Neuerung ist die Einführung KI-gestützter Verfahren zur Messung von Vielfalt und Zugänglichkeit: die explizite Aufnahme technologischer Innovationen als Messgröße, insbesondere die Nutzung von Algorithmen zur Vielfaltssicherung, ist ein bedeutender Schritt. Damit kann künftig auch die Angebotsseite systematisch analysiert werden, nicht nur die Rezeption durch das Publikum. Dies eröffnet bei allen methodischen Herausforderungen die Möglichkeit, objektive Kriterien wie Gender- und Diversitätsanteile automatisiert zu erfassen und kontinuierlich zu überprüfen – ein wichtiger Beitrag zur transparenten Qualitätssicherung.
Zusammenfassend sehe ich die neuen Messgrößen als konsequente Erweiterung eines Qualitätsverständnisses, das sowohl die gesellschaftliche Verantwortung des ZDF als auch die technologischen Entwicklungen berücksichtigt. Für den Fernsehrat bieten sie die Möglichkeit, die Umsetzung der SVE-Ziele künftig noch präziser und evidenzbasierter zu begleiten – insbesondere dort, wo qualitative Ziele wie gesellschaftlicher Zusammenhalt, Vielfalt oder kreative Innovationskraft bislang schwerer messbar waren.
Zur Person: Philipp Künstle ist einer der drei unabhängigen Experten für die ZDF-Selbstverpflichtungserklärung. Er war drei Jahre lang Geschäftsführer am Erich Pommer Institut, das an die Filmuniversität Babelsberg und die Universität Potsdam angebunden ist. Seit Mai 2023 ist er als selbstständiger Berater tätig.