Temu & Co.: Politik nimmt Schnäppchen-Plattformen ins Visier
Chinas Schnäppchen-Plattformen:Politik nimmt Temu & Co. stärker ins Visier
von Marcel Burkhardt
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Verbraucherschützer warnen vor illegalen Produkten chinesischer Billig-Plattformen. Die Europäische Politik handelt, kann aber mit dem Tempo der Anbieter schwer Schritt halten.
Täglich erreichen circa 400.000 Päckchen allein von Temu und Shein Schätzungen zufolge Kunden in Deutschland.
Quelle: Reuters
Fast im Wochentakt warnen Kontrollbehörden, Verbraucherschutz-Organisationen und Industrieverbände vor mangelhaften und auch gefährlichen Produkten aus China, die über beliebte Schnäppchen-Plattformen wie Temu auf direktem Weg zu Kunden nach Europa gelangen.
Eines von vielen Beispielen aus jüngster Zeit: Verdachtsveranlasste Testkäufe von Elektrogeräten bei Temu durch die Bundesnetzagentur. Sie ergaben laut Wirtschaftsstaatssekretär Udo Philipp "in nahezu allen Fällen, dass die gesetzlichen Anforderungen nicht eingehalten wurden".
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Test: Große Gefahr für Kinder durch Temu-Spielzeug
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein unabhängiges Testlabor, das im Auftrag des europäischen Spielwarenverbands "Toy Industries of Europe" über Temu verkaufte Spielzeuge untersuchte. Demnach stellten 18 von 19 geprüften Spielwaren ein "Sicherheitsrisiko für Kinder" dar:
Alle beanstandeten Produkte hat Temu nach eigenen Angaben inzwischen von der Plattform entfernt. "Wir haben die Überwachung dieser Produktgruppe und der damit verbundenen Anforderungen verstärkt", schreibt eine Temu-Sprecherin auf ZDFheute-Anfrage.
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Verbände fordern Gesetzesänderungen für mehr Schutz
Der europäische Spielwarenverband und sein deutsches Pendant bleiben skeptisch und fordern Gesetzgeber und Behörden auf, mit gezielteren Rechtsvorschriften härter gegen den Verkauf von unsicherem Spielzeug vorzugehen, "um Kinder zu schützen und seriösen Spielzeugherstellern einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen".
Auch der Bundesverband der Verbraucherzentrale (VZBV) drängt darauf, Online-Marktplätze wie Temu stärker verantwortlich zu machen, denn:
Während der Druck der europäischen Wirtschaft und Verbraucherschützer auf die Politik wächst, boomt das Geschäft der Verkaufsplattformen.
Seit April 2023 macht die chinesische Online-Handelsplattform in Deutschland Marktgrößen wie Amazon, ebay, Otto und Kaufland Konkurrenz. Temu gehört zur PDD Holding, die laut Statista im Jahr 2022 einen Rekordumsatz in Höhe von 130,56 Milliarden Yuan (circa 17 Milliarden Euro) erreicht hat.
Umfragen zufolge hat inzwischen jeder vierte Deutsche bereits bei Temu eingekauft. Als Online-Marktplatz ermöglicht Temu es Händlern, ihre Produkte direkt an den Endkunden zu verkaufen. Diese bieten zu extrem niedrigen Preisen ein breites Warenangebot an: von Mode- und Kosmetikartikeln über Elektronik bis hin zu Küchengeräten, Schulbedarf und vielem mehr. Bei den angebotenen Artikeln handelt es sich laut Verbraucherzentralen "meist um No-Name-Produkte".
Kunden beschweren sich auf Bewertungsportalen vor allem über beschädigte Waren, Fehllieferungen, eine mangelnde Produktqualität und schlechten Kundenservice, etwa bei Retouren und Rückerstattungen. Kontrollbehörden und andere professionelle Produkttester warnen häufig vor "nicht gesetzeskonformen" und gesundheitsgefährdenden Waren.
Bei ZDF-WISO-Testkäufen fehlten bei elektronischen Geräten wichtige Schutzvorrichtungen oder auch das vorgeschriebene CE-Zeichen ("Conformité Européenne"). Damit bestätigen Hersteller, dass ihr Produkt europäische Richtlinien einhält. Im WISO-Test waren einige Verpackungen auch mit CE-Zeichen bedruckt, wobei das Gerät die Norm nicht aufwies. Die Erklärung eines chinesischen Herstellers: CE stehe für "China Export".
Auf ZDFheute-Anfrage beschreibt eine Temu-Sprecherin, wie das Unternehmen durch eine Vielzahl von Maßnahmen die Produktqualität und Sicherheit der Verbraucher gewährleisten wolle. So müssten sich die Verkäufer gegenüber Temu vor Beginn der Geschäftsbeziehung "zur Einhaltung der für ihre Zielmärkte relevanten Vorschriften verpflichten". Die Temu-Plattform führe zudem "stichprobenartige Kontrollen" durch.
Das Unternehmen weist auch auf eine Reihe möglicher Sanktionen für Hersteller hin, die Qualitäts- und Sicherheitsstandards nicht einhielten: "Verstöße können zu Verwarnungen, Strafen, Auslistung von Produkten, Schließung des Kontos oder bei schweren oder wiederholten Verstößen sogar zu einer Überweisung an die Aufsichtsbehörden führen", so die Temu-Sprecherin.
Temu verweist zusätzlich auf eine Studie des europäischen Spielwarenverbands, die 2020 zu dem Ergebnis kam, dass bei anderen bekannten Verkaufsplattformen 97 Prozent der getesteten Spielzeuge, die dort online von Drittanbietern gekauft wurden, nicht den EU-Rechtsvorschriften entsprachen und 76 Prozent der geprüften Spielwaren als gefährlich für Kinder eingestuft wurden.
Die deutschen Verbraucherzentralen weisen generell auf "bestimmte Fallstricke und Risiken" bei jeder Online-Einkaufsplattform aus dem Ausland hin. Im Fall Temu sollten Verbraucher aber vor allem darauf achten, dass sie sich über die geltenden Zollbestimmungen informieren, sonst könnten unerwartet zusätzliche Steuern und Zollgebühren auf sie zukommen.
Zudem sollten die Käufer "nach Möglichkeit nicht in Vorkasse" gehen, sondern erst nach Erhalt der Ware zahlen. Bei elektronischen Geräten gelte es, auf das zugelassene "CE-Zeichen" zu achten, wobei es auch da – wie ZDF-WISO-Recherchen zeigen - zu Manipulationen kommen kann. Insgesamt sei es wichtig, "kritisch zu sein und sich vor dem Kauf gut zu informieren", etwa mithilfe von Bewertungen anderer Kunden, empfehlen die Verbraucherschützer.
Die über Temu verkauften Produkte kosten in den allermeisten Fällen unter 150 Euro. Deshalb muss die Plattform keinen Zoll zahlen, da dieser erst bei einem Produktwert ab 150 Euro anfällt. Deutsche Verbraucherzentralen warnen allerdings, dass Kunden oft mit „Einfuhrumsatzsteuern und Verbrauchssteuern“ konfrontiert seien, weil sie diese schon ab 5,26 Euro Warenwert zahlen müssten.
Die Europäische Kommission hat inzwischen Vorschläge zur Reform der europäischen Zollverfahren vorgelegt und vorgeschlagen, die 150-Euro-Zollfreigrenze abzuschaffen. Marktplatzbetreiber wie Temu müssten dann Zoll vor dem Export in die EU zahlen. Die Kommission erwartet, dass dadurch auch die Kontrolle eingeführter Produkte durch die Zollbehörden verbessert werden könnte.
Paketflut von Temu und Shein bringt Kontrolleure in Not
Schätzungen zufolge erreichen täglich circa 400.000 Päckchen allein von Temu und der Textilien-Plattform Shein Kunden in Deutschland. Die Masse von Paketen, "die über Temu und Shein jeden Tag den deutschen Markt fluten, stellt die Überwachungsbehörden vor große Herausforderungen", fasst ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums die aktuelle Lage zusammen.
Die Behörden seien "hoffnungsvoll überfordert", kommentiert derweil die "WirtschaftsWoche" das Geschehen: "Schon vor der Produktinvasion via Temu oder Shein standen die Zöllner auf Frachtumschlagplätzen wie dem Flughafen Leipzig auf verlorenem Posten", so das Magazin.
ZDF-Reporter Sven-Hendrik Hahn hat Online-Billigprodukte getestet.11.12.2023 | 7:10 min
Bundesregierung: Strengere Marktüberwachung nötig
Laut Bundeswirtschaftsministerium prüft die Bundesregierung nun mit ihren Partnern in der Europäischen Union (EU), wie die eigenen hohen Standards für Produktsicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Zollvorgaben auch bei Plattformbetreibern außerhalb der EU "konsequenter durchgesetzt" werden könnten.
Eine vorgesehene Maßnahme ist die strengere Marktüberwachung. Das heißt: Behörden wie die Bundesnetzagentur intensivieren ihre Kontrollen. Immerhin: Temu nahm bislang beanstandete Produkte stets aus dem Sortiment. Andere Plattformen schalten dagegen auf Durchzug.
Plattform Shein kooperiert nicht mit Kontrolleuren
"So haben die Plattformen Shein und Tomtop bislang nicht kooperiert", schreibt Wirtschaftsstaatssekretär Philipp. Das "Durchschlagspotenzial" der Marktüberwachung sei bei den Nicht-EU-Plattformen bislang begrenzt.
Die Bundesregierung setze sich daher auf Ebene der EU für eine Verschärfung der Vorschriften gegenüber solchen Akteuren ein, um diese künftig zur "Auskunft und Unterstützung der Marktaufsicht" zu verpflichten, so der Staatssekretär. Zudem verweist er auf Vorschläge der EU-Reform zu einer Zollreform.
In Zeiten des Online-Handels werden Unmengen an Billiggeräten um die Welt geliefert. Häufig sind diese sind nicht nur unbrauchbar, sondern auch gefährlich. 02.11.2021 | 1:39 min
Kritik: Auch strengeres EU-Recht noch nicht ausreichend
Verbraucherschützer sehen in neuen EU-Rechtsakten wie dem Gesetz für Digitale Dienste und der "Allgemeinen Produktsicherungsverordnung" zwei wichtige Schritte für mehr Sicherheit im Online-Handel, weil Plattformbetreiber erstmals Sorgfaltspflichten auferlegt bekommen für die transportierten Inhalte und Produkte.
Der VZBV will aber noch einen Schritt weitergehen: Online-Marktplätze müssten in letzter Konsequenz die Verantwortung dafür tragen, "wenn über ihre Plattform illegale Produkte verkauft werden", so Expertin Stefanie Grunert. Dafür gebe es bislang aber keine politische Mehrheit in der EU.