Leitzinsentscheid EZB: Was Deutschland aus der Krise hilft
Leitzinsentscheid der EZB:Warum Deutschland zum Problemfall wird
von Stefan Schlösser
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Die größte Volkswirtschaft der Eurozone steckt in der Krise. Deutschland steuert auf eine Rezession zu, die Inflation ist immer noch viel zu hoch. Ein Dilemma für die EZB.
Die Europäische Zentralbank entscheidet erneut über den Leitzins.
Quelle: dpa
In noch nie dagewesenen Tempo haben die europäischen Währungshüter die Zinsen in die Höhe getrieben. Von Null auf 4,25 Prozent seit Juli 2022. Ihr Ziel: die Inflation drücken, wieder in die Nähe von 2 Prozent.
Tatsächlich ist die Inflation gesunken, aber lange noch nicht weit genug. In Deutschland lag sie im August nach Daten von Eurostat bei 6,4 Prozent. Die Zinsen müssten also noch weiter steigen oder zumindest noch länger hoch bleiben, will die EZB ihr Mandat ernst nehmen und alles für Preisstabilität tun.
Eurozone: Nur die deutsche Wirtschaft schrumpft
Andererseits schwächelt die Wirtschaft in der Eurozone, insbesondere in Deutschland. Die Europäische Kommission rechnet mit einem Schrumpfen der deutschen Wirtschaft in 2023, während alle anderen großen Wirtschaften der Eurozone zulegen dürften.
In so einer Situation würden niedrigere Zinsen helfen, die Kredite billiger machen und frischen Schwung in die lahmende Konjunktur bringen könnten. Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING, bringt es auf den Punkt:
Hohe Zinsen für Darlehen bremsen Nachfrage aus
Teodoro Krap treiben die hohen Zinsen um. Er ist Geschäftsführer von Intertec Solar in Oberursel. Sein Unternehmen entwickelt Solarprojekte, von kleinen für Einfamilienhäuser bis zu großen Anlagen für Solarparks mit 100 Hektar Fläche.
Eine boomende Branche, die Nachfrage nach Fotovoltaik steigt stetig. Doch die Zinsen bremsen ihn aus. Krap ist sich sicher:
Experten sprechen von einer regelrechten Investitionsflucht in Deutschland. Börsenexpertin Valerie Haller mit einer Einschätzung zu dieser Entwicklung.27.06.2023 | 1:18 min
Stornierungen im Baugewerbe auf neuem Höchststand
In der Baubranche ist die Lage seit Monaten angespannt. Aufträge, Baugenehmigungen, fertiggestellte Wohnungen - überall gehen die Zahlen nach unten.
Aktuell markiert die Stornierungswelle im Wohnungsbau einen neuen Höchststand, meldete gerade das ifo-Institut. 20,7 Prozent der Unternehmen klagen über abgesagte Projekte.
Angesichts der hohen Zinsen lohnen sich viele Projekte nicht mehr, auch für viele Verbraucher ist der Traum vom Eigenheim zumindest vorerst geplatzt.
Zinsen langfristig betrachtet noch niedrig
"Ja, es fallen ganz sicher Käufer weg", sagt auch Thomas M. Reimann. Er leitet ein Bauunternehmen in Frankfurt am Main mit rund 100 Mitarbeitern und ist gleichzeitig auch Präsident des Verbandes baugewerblicher Unternehmen in Hessen. Er kennt die Branche aus dem Effeff.
EZB-Entscheid: Spitze der Zinserhöhungen erreicht?
An dieser Unsicherheit habe die Politik sicher ihren gehörigen Anteil. Was macht also die EZB an diesem Donnerstag? Wird es ein Tag der Falken, die für eine straffe Geldpolitik plädieren und Inflationsbekämpfung an erster Stelle sehen? Oder können sich die Tauben durchsetzen, die sich gegen weitere Zinsschritte aussprechen?
Bundesbankpräsident Joachim Nagel ließ jedenfalls wissen, dass es für ihn viel zu früh sei, über eine Zinspause nachzudenken. EZB-Präsidentin Christine Lagarde dagegen deutete in ihrer betont vorsichtigen Kommunikation zumindest an, dass die Spitze der Zinserhöhungen erreicht sein könnte. Die Zentralbank bewegt sich auf einem schmalen Grat.