Nach verpasstem Aufstieg: Beifall statt Bierbecher für HSV
Nach verpasstem Aufstieg:Beifall statt Bierbecher für den HSV
von Ralf Lorenzen
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Nach dem verpassten Bundesliga-Aufstieg steht der HSV wieder einmal vor der Frage: Kontinuität oder Umbruch? Die Antwort der Fans ist eindeutig: Weiter mit Trainer und Mannschaft.
Enttäuscht, aber nicht böse: Der Großteil der HSV-Fans hat nach dem Aus in der Relegation ein Nachsehen mit den Hamburger Spielern.
Quelle: dpa
Der Glaube hielt eine gute Stunde. Bis dahin war die Hoffnung auf ein HSV-Wunder am Leben, befeuert durch ein frühes 1:0 durch Sonny Kittel und ein leidenschaftliches Publikum, das sich entschlossen hatte, Geschichte zu schreiben. Einen 0:3-Rückstand hat in der Bundesliga-Relegation noch kein Klub aufgeholt.
Fernandes' persönliches Drama
Doch dann nutzte der VfB Stuttgart die bekannte Schwäche des HSV bei schnellen Gegenangriffen aus, fing an der Mittellinie den Ball ab, zwei Pässe, zwei gute Laufwege - und Enzo Millot schob zum Ausgleich ein.
Kurz darauf kam noch ein persönliches Drama hinzu: Torwart Daniel Heuer Fernandes, der mit seinen Paraden im Hinspiel den kleinen Türspalt zum Aufstieg offengehalten hatte, säbelte über den Ball, und Millot musste zum zweiten Mal nur noch den Fuß hinhalten.
"Wir wollten heute hier alle mitnehmen mit einem frühen Tor, das ist uns gelungen", sagte Torschütze Kittel nach der Partie.
Dem Hamburger SV gelingt im Rückspiel der Relegation das erhoffte frühe Tor. Doch es reichte nicht für das Fußball-Wunder zum Aufstieg. Der VfB Stuttgart wehrt sich.05.06.2023 | 9:01 min
Besonnene HSV-Fans
Doch in dem Moment, in dem die HSV-Fans die Realität akzeptieren mussten, mit ihrer Mannschaft in die sechste Zweitliga-Saison in Folge zu gehen, zeigte sich, was im Volkspark in den letzten zwei Jahren entstanden ist.
Kein Pfiff, keine Beschimpfungen, keine fliegenden Bierbecher - sondern weitere Unterstützung der Mannschaft bei dem Versuch, sich anständig von der erneut verpassten Aufstiegschance zu verabschieden.
Der Beifall, den sich die enttäuschten Spieler nach der 1:3-Niederlage vor der Nordtribüne abholten, machte die Fernsehkommentatoren fast genauso sprachlos wie Trainer Tim Walter, dessen Mimik zwischen traurig und begeistert pendelte. "Dafür fehlen mir die Superlative", sagte er mit Blick auf das Publikum.
Trainer Walter: Schlüsselfigur für den Zusammenhalt
Für diesen Zusammenhalt zwischen Fans und Mannschaft, der in dieser Form auch in den letzten Erstliga-Jahren selten spürbar war, ist Walter selbst die Schlüsselfigur.
Er verkörpert das, wonach sich der Anhang nach Jahren der Turbulenzen, Trainerwechsel und Machtkämpfe sehnt: Bodenständigkeit, Konsequenz und hundertprozentige Identifikation mit dem Klub. Und er steht für eine Spielphilosophie, die nur eine Richtung kennt: nach vorne.
Tim Walter soll den HSV zurück in die Bundesliga führen. Seine Spielidee scheint kompromisslos, seine Art eckt schonmal an. Team und Klub stehen hinter dem "Typen" und Trainer.07.05.2023 | 8:08 min
Der HSV zu offensiv?
"Es sind nicht umsonst immer 57.000 im Stadion'', hat er diesen Ansatz vor ein paar Wochen verteidigt. Es ist genau diese "radikale Offensivlehre" ("Süddeutsche Zeitung"), mit der Walter polarisiert und die ihm seine Kritiker vorwerfen, da sie zu vielen Gegentoren und wenig Stabilität führt.
Das Ergebnis am Montagabend gibt den Kritikern recht, die Stimmung im Stadion aber dem Trainer.
Boldt will mit Walter weitermachen
HSV-Sportvorstand Jonas Boldt, der vor der Saison vor allem eine Weiterentwicklung gefordert hatte, schlägt sich eindeutig auf die Seite Walters. "Selbstverständlich geht es mit dem Trainer weiter", hatte er schon vor dem entscheidenden Spiel gesagt.
Aber auch die Zukunft von Boldt selbst ist kein Selbstläufer - laut "Abendblatt" will der Aufsichtsrat der HSV Fußball AG demnächst über diese beraten.
Sponsor Kühne bleibt dem HSV treu
Mit den starken Absteigern Hertha BSC und Schalke 04 dürfte der Aufstieg in der kommenden Saison noch schwerer fallen. Da ist es ein gutes Zeichen, dass Investor Klaus-Michael Kühne laut Presseberichten offenbar bereit ist, den HSV auch in der zweiten Liga weiter zu unterstützten.
Das werden auch die Fans weiter tun. "Da tut mir jeder Erstligist leid, der nächstes Jahr hier nicht spielen darf", sagte Mittelfeldspieler Jonas Meffert mit einem Schuss Galgenhumor nach der Niederlage gegen Stuttgart.
Souveräner VfB kann Aufschwung fortsetzen
Der VfB wird auf dieses Vergnügen gern verzichten. Der präsentierte sich in zwei Relegationsspielen sehr strukturiert und effektiv und darf den unter Trainer Sebastian Hoeneß eingeleiteten Aufschwung nun in der ersten Liga fortsetzen.
Die Hoffnung beim Hamburger SV auf einen Bundesliga-Wiederaufstieg hielt nur kurz. Gegen den VfB Stuttgart hatte der HSV kaum eine Chance. Die Schwaben halten damit die Klasse.