Olympia 1924: Paavo Nurmi - nur die Stoppuhr fürchtete er

    Rückblick: Olympia 1924 in Paris:Paavo Nurmi - nur die Stoppuhr fürchtete er

    von Erik Eggers
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    Vor 100 Jahren, bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris, wuchs der Läufer Paavo Nurmi zu einem Mythos der olympischen Geschichte. Die Gründe dafür lagen nicht allein im Sport.

    Juli 1924: Paavo Nurmi liegt bei den Olympischen Spielen in Paris in Führung
    Fünf Goldmedaillen bei Olympia 1924 in Paris: Paavo Nurmi, hier in Führung liegend.
    Quelle: AP

    Am 12. Juli 1924 drückte enorme Hitze auf das Stadion Colombes. "Paris dampfte, Paris glühte, Paris kochte", hieß es in einer Reportage über den olympischen Geländelauf, der an diesem Tag um 14.30 Uhr über 10,65 Kilometer durch tristes Terrain angesetzt war. Gemessen wurden über 45 Grad. Viele kollabierten, 23 der 38 Starter gaben auf.

    "Sonnenschlacht" lässt Paavo Nurmi kalt

    "Die Strecke glich einem Schlachtfeld. Die Sonnenpfeile hatten die Läufer hingemäht", berichtete seinerzeit der Beobachter Willy Meisl. Als "Sonnenschlacht von Colombes" ging dieses Rennen ein, Willy Meisl nannte es "ein Schreckensblatt der Sportgeschichte".
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    Nur einen Läufer ließen die extremen Bedingungen kalt: Paavo Nurmi, der nicht einmal zu schwitzen schien. Als er mit eineinhalb Minuten (!) Vorsprung einlief, tat der Finne, als sei nichts Besonderes geschehen.

    Paavo Nurmi - neunmaliger Olympia-Sieger

    So wurde aus dem furchtbaren Cross-Country-Lauf, der es nie wieder ins olympische Programm schaffte, ein weiteres "heroisches Blatt" (Meisl) für den Finnen.
    Fünf Goldmedaillen gewann Nurmi in Paris, mit insgesamt neun Mal Gold liegt er heute auf Platz drei in der Liste der erfolgreichsten Olympioniken der Geschichte.
    Zu einem modernen Mythos der Leichtathletik wuchs der Mann, der am 13. Juni 1897 in Turku geboren wurde und in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen war, indes vor allem durch seine sagenhafte Leistung zwei Tage vor diesem Geländelauf.

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    Frankreich, Paris, Olympisches Stadion, 1924

    Paavo Nurmi: Zwei Gold-Läufe binnen einer Stunde

    Am 10. Juli 1924 siegte Nurmi zunächst souverän im olympischen Finale über 1.500 Meter und nur 30 Minuten später - nun aber sehr knapp gegen seinen Landsmann Ville Ritola - auch im Endlauf über 5.000 Meter.
    Getestet hatte Nurmi für diese schier unmenschliche Belastung schon am 19. Juni 1924 in Helsinki und war dabei zwei umjubelte Weltrekorde gelaufen.
    Nurmi sei kein Läufer mehr, befand Publizist Meisl.

    Was mit ihm, um ihn und bald hinter ihm rennt, ist für ihn nicht Gegner, ist für ihn höchstens störend, weil er beim Überholen ausweichen muss.

    Olympia-Beobachter Willy Meisl

    Olympia 1928 in Amsterdam: Paavo Nurmi im 10.000-Meter-Lauf Zweiter hinter Ville Ritola und vor Edvin Wide
    1928 in Amsterdam, Paavo Nurmis dritte Olympischen Spiel. Hier im 10.000-Meter-Lauf noch Zweiter hinter Ville Ritola und vor Edvin Wide, am Ende gewinnt er das Rennen.
    Quelle: Imago / Colorsport

    Selbstkontrolle mit der Stoppuhr in der Hand

    Die Überlegenheit Nurmis war so massiv, dass ihm seine Zeitgenossen das Image einer Maschine verpassten. Seine Eigenart, bei seinen Läufen stets eine Stoppuhr in der Hand zu tragen, befeuerte diese Zuschreibungen noch.
    Angewöhnt hatte sich Nurmi dies nach seiner Niederlage im 5.000-Meter-Finale bei Olympia 1920 in Antwerpen, das er zu schnell angegangen war.
    Auch in Paris fiel Nurmi damit auf. "In seiner rechten Hand trägt er die zu Fünftelsekunden, Sekunden und Minuten geronnene Zeit", schrieb Meisl:

    Nurmi läuft nicht gegen Menschen, er läuft gegen das Unheimliche, Unsichtbare, gegen die schemenhafte Zeit, die er mit sich trägt in seiner rechten Hand. Wenn es einen Gegner für ihn gibt, so ist’s der Weltrekord.

    Olympia-Beobachter Willy Meisl

    Aber es waren nicht allein die läuferischen Fähigkeiten, deretwegen Nurmi als Weltwunder bestaunt wurde. Auch seine Wortlosigkeit trug zu seiner Unnahbarkeit bei. Nurmi sei "ein Buddha zwischen den Kreidelinien", staunte sein deutscher Konkurrent Otto Peltzer. Erst der Zauber dieser Persönlichkeit mache den Finnen so populär.

    Schweigend betrat er den Platz, schweigend lief er seine Runden und schweigend, fast scheu, verschwand er wieder in seiner Kabine.

    Otto Peltzer, Konkurrent von Paavo Nurmi

    In seiner Heimat, dem damals jungen Staat Finnland, der sich just erst von Russland abgenabelt hatte, nährten auch politische Gründe Nurmis Popularität. Nach der Erklärung der Selbständigkeit im Jahre 1917 habe sich Finnland "sein nationales Profil aus den Leistungen Paavo Nurmis" erschaffen, urteilte im Jahr 2000 der finnische Publizist und Politiker Jukka Tarkka.

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    Der Finne selbst wertschätzte seine Olympiasiege gering ein. "Ich habe", sagte er, bevor er 1973 starb, "in meinem Leben nichts geleistet."
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