Vor EM-Finale: England erst beschimpft, jetzt geliebt
Vor dem Finale gegen Spanien:England erst beschimpft, jetzt geliebt
von Florian Vonholdt
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Nach Gareth Southgate wurden Bierbecher geworfen, nun steht er im EM-Endspiel. Schon wieder. Endet der englische Pragmatismus gegen Spanien diesmal tatsächlich im großen Triumph?
Nach anfänglichen Beschimpfungen haben sich Gareth Southgate und sein Team in die Herzen der englischen Fans gespielt.
Quelle: AFP
Sie haben es wieder geschafft. Die englische Nationalmannschaft steht erneut im EM-Finale. Wie schon 2021. Damals gegen Italien, diesmal gegen Spanien.
Zuvor erreichte England überhaupt nur ein einziges Finale bei einem großen Turnier. Beim WM-Titelgewinn 1966.
Damit ist die Ära von Nationaltrainer Gareth Southgate, seit 2016 im Amt, schon jetzt die erfolgreichste der englischen Fußballgeschichte. England so gut wie nie - die Euphorie rund um die "Three Lions" müsste großartig sein.
Wenn da nicht die Art und Weise wäre, mit der es das Team bis ins Finale von Berlin geschafft hat. Diese brachte nicht nur Experten reihenweise auf die Palme.
Kritik und Spott von allen Seiten
"Bräsige Spielweise", "Armutszeugnis", polterte etwa ZDF-Experte Christoph Kramer bei den dürftigen Auftritten in der Gruppenphase. Kollege Per Mertesacker pflichtete bei: "Man möchte einfach mehr sehen. Man möchte Fußball sehen, der nach vorne geht."
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Und Englands Ex-Nationalspieler Owen Hargreaves beklagte: "Wir haben so viele geile Fußballer, aber das klappt irgendwie nicht. Offensiv kann das Team eigentlich viel, viel mehr."
Bierbecher fliegen Richtung Southgate
Selbst die eigenen Fans fühlten sich vom uninspirierten Auftreten ihrer "Three Lions" persönlich beleidigt. So sehr, dass nach dem trostlosen 0:0 zum Vorrundenabschluss gegen Slowenien Bierbecher in Richtung des Trainers flogen.
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Der teuerste Kader des Turniers - rund 1,5 Milliarden Euro an Marktwert - blieb bis dato von allen Teams am weitesten unter seinen Möglichkeiten. Trotzdem qualifizierte man sich als Gruppenerster für das Achtelfinale.
Nur zwei Siege nach 90 Minuten
Und war dort nach 90 Minuten raus aus dem Turnier. Gegen die Slowakei, die Nummer 45 in der Fifa-Weltrangliste. Doch in der Nachspielzeit kam Jude Bellinghams Fallrückzieher, der alles änderte.
Immerhin: Die beste Leistung hob sich Southgates Elf für das Halbfinale auf. Form und Stimmung stiegen. Schon vor dem Duell mit den Niederlanden rief der sonst so bissige englischen Boulevard dazu auf, das englische Team und dessen Trainer zu unterstützen.
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Man sah wohl plötzlich die historische Chance, zum ersten Mal ein Endspiel außerhalb von England zu erreichen. Southgate stilisierte die Spiele zu "nationalen Ereignissen" hoch. Er übertrieb nicht.
König Charles hat eine Bitte
Zum Finale bekam er einen royalen Auftrag. König Charles, besorgt um "die Belastung für den kollektiven Puls und Blutdruck der Nation", wandte sich an das Team:
Im Endspiel ist klar: Der Favorit ist Spanien. Was aber für England spricht: Viele Spieler haben Finalerfahrung. Auch der Trainer, der bescheiden sagt:
Gelingt Southgate das, ist England nicht nur erstmals Europameister, sondern auch der, der auf dem Weg dorthin die meisten Beschimpfungen über sich ergehen lassen musste.
Zumindest von außerhalb. Das Team steht voll hinter seinem Coach. Und der Verband möchte Southgates Vertrag bis 2026 verlängern. Unabhängig vom Ausgang des Finals, dessen Erreichen nicht nur in England wenige für möglich gehalten haben.
Zum EM-Finale zwischen Spanien und England treffen nicht nur zwei konträre taktische Ideen aufeinander, sondern auch unterschiedliche Party-Kulturen unter den Fans. Ein Vergleich.