Toni Kroos: König in Madrid - und für Deutschland?

Kürzlich beim Heimspiel gegen Sevilla hat sich Toni Kroos fürchterlich über den Schiedsrichter aufgeregt. Wegen einer banalen Foulentscheidung meckerte sich der Mittelfeldstar von Real Madrid mit zornentstelltem Gesicht zu einer Verwarnung. Noch Tage später erklärte Kroos ernsthaft, bei einer späteren Verletzung des Schiedsrichters habe es sich um himmlische Gerechtigkeit gehandelt: "Gott sieht alles."

Kroos gilt als einer, der immer seine Meinung sagt. Das kann sogar gegen eigene Interessen gehen. Wegen seiner Kritik an Saudi-Arabien wurde er beim spanischen Supercup dort im Januar durchweg niedergepfiffen. Und nach Reals 1:0 im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei RB Leipzig erklärte er die Aberkennung eines sächsischen Treffers ehrlich zur Fehlentscheidung:

Am Mittwoch (21 Uhr) kommt es in Madrid nun zum Rückspiel. Die Augen seines Heimatlandes werden mehr denn je auf ihn gerichtet sein. Es ist der erste Europapokalauftritt, seit Kroos, 34, sein Nationalelf-Comeback verkündete.

Es sind emotionale Tage für Kroos, daher womöglich auch der ungewöhnliche Zornesausbruch gegen Sevilla. Der sonst so kontrollierte Norddeutsche weiß, dass seine DFB-Rückkehr von Hoffnungen begleitet wird, die er nicht steuern kann. Da mag er selbst noch so betonen, dass "ich definitiv nicht der Heilsbringer bin" - die kriselnde Fußball-Nation sehnt sich nach Erlösung.

Beim DFB scheinen die Erwartungen von Bundestrainer Julian Nagelsmann klar: Kroos soll Struktur ins deutsche Mittelfeld bringen und idealerweise mit seiner Ballsicherheit auch die fehleranfällige Abwehr beschützen.

Umgekehrt ist ein EM-Triumph - der einzige internationale Titel, der ihm noch fehlt - vor eigenem Publikum selbst für einen fünffachen Champions-League-Sieger eine besondere Herausforderung. Doch hat Kroos mit dem Comeback das Richtige getan?

Als Teamfußballer par excellence ("Nur mit meinen Qualitäten gewinnt eine Mannschaft nichts, aber meine Qualitäten helfen, Spiele zu bestimmen") weiß er, wie sehr für ein funktionierendes Team ein Rad ins andere greifen muss.

In Madrid hat er Mittelfeldkollegen, die ihm sehr entgegen kommen, weil sie seine Stärken potenzieren – und seine vielleicht einzige Schwäche kompensieren. Auch wenn er sich zuletzt etwas lustvoller in Zweikämpfe wirft: Kroos wird mit seinen 34 nicht mehr zu einem explosiven Dynamiker werden, der Gegner mit seiner Physis überrollt.

Umso besser ergänzen sich zu ihm die jungen Eduardo Camavinga, Federico Valverde, Aurélien Tchouameni oder Jude Bellingham - sie sind nicht nur hervorragende Fußballer, sondern auch physisch robuste Ausnahmeathleten. Nach vorn treiben sie den Ball bisweilen im Alleingang durch das Mittelfeld, nach hinten räumen sie kompromisslos ab. Es sind Spielertypen, wie sie der deutschen Nationalelf eher fehlen.

Die Wechselwirkung mit den Youngstern lässt Kroos diese Saison noch erhabener die Fäden ziehen, als er es bei vier Champions-League-Titeln mit Luka Modric (inzwischen meist nur Ersatz) und Abräumer Casemiro (seit anderthalb Jahren bei Manchester United) tat.

In Madrid warten sie nun gespannt auf die zweite wichtige Kroos-Entscheidung dieses Frühjahrs - jener über die Fortsetzung seiner Laufbahn nach dem Sommer. Eigentlich befindet er sich längst in einem Alter, für das er früher seinen Ruhestand prophezeit hatte. Aber Real möchte ihn noch ein Jahr halten. Und sein Fußball gibt es her.