Fußball: Ist RB Leipzig reif für die Meisterschaft?

Eigentlich hatte sich Marco Rose vorgenommen, zum Saisonstart in der Bundesliga weder Kampfansagen an die Konkurrenz auszusenden noch sich selbst und seine Mannschaft mit zu hohen eigenen Ansprüchen unter Druck zu setzen.

Aber natürlich kamen vor dem Saisonauftakt die Fragen nach den Titelambitionen von RB Leipzig, und der Trainer kam nicht umhin, sich zu positionieren. Angesprochen auf den Meistertitel, für RB wäre es nach 15 Jahren Klubbestehens der erste, sagte Rose in einem kurzen romantischen Anflug:

Sekunden später war der 47-Jährige wieder ganz der Realist und Macher, als der er bekannt ist. Träumen allein genüge nicht, "wir müssen rangehen und anpacken, eine gute Serie starten, stabil und gesund bleiben, uns weiterentwickeln".

Er sei ein Freund von Demut und Mut zugleich. "Es ist so viel möglich, es liegt so viel da. Ich wünsche mir, dass wir in der Mannschaft und im ganzen Verein einen Spirit aufbauen, der vielleicht am Ende dazu führt, dass wir etwas Außergewöhnliches schaffen", sprach der Fußballlehrer.

Am Samstag beim Deutschen Meister Bayer Leverkusen (18:30 Uhr) steht eine erste frühe Bewährungsprobe für Roses Mannschaft auf dem Programm.

In seiner dritten Saison bei RB weiß Rose auch, dass die Klubbosse von ihm und der Mannschaft Außergewöhnliches erwarten. Tenor: Es gibt keine Ausreden mehr. Der noch immer mächtige Aufsichtsratschef und Red-Bull-CEO Oliver Mintzlaff äußerte jüngst bei einer Veranstaltung der "Sport-Bild": "Wir waren ja schon mal Vizemeister. Aber das reicht natürlich nicht, du willst gewinnen."

Dass Leverkusen und nicht die Leipziger zur Stelle waren, als der FC Bayern schwächelte, habe ihn "dann schon geschmerzt". Und auch der neue Sportchef Marcel Schäfer äußerte bei seinem Amtsantritt die "klare Erwartungshaltung an jeden einzelnen, nicht nur über Titel zu sprechen, sondern auch so zu agieren, dass Titel gewonnen werden können. Das möchte ich dann auch jeden Tag sehen."

Doch um tatsächlich ganz oben mitzuspielen, muss das - bis auf den Abgang des ohnehin zu häufig verletzten Spielmachers Dani Olmo - weitgehend stabil zusammengehaltene und mit Toptalenten verstärkte Team sich dringend spielerisch verbessern.

Gegen den Ball ist die Mannschaft eingespielt, defensiv gehört sie zu den Besten der Bundesliga. Ebenso in der Spielphase nach Ballgewinn, wenn Räume vorhanden sind und der RB-Express rasant rollt. Doch in der Disziplin, im eigenen Ballbesitz massiv formierte Gegner auf engstem Raum zu bespielen und Abwehrblöcke aufzubrechen, muss Leipzig einen deutlichen Schritt voranmachen.

Zudem zeigten die beiden bisherigen Pflichtspiele in Essen im Pokal (4:1) und gegen den Bochum zum Ligaauftakt (1:0), dass RB nach wie vor viel zu viele Chancen braucht. Wohltuend war da Zugang Antonio Nusa von Club Brügge, der jeweils kurz nach seiner Einwechslung traf und Kompromisslosigkeit und Konsequenz einbrachte. Ein Schlüsselspieler.

Der zweite ist sein Spielmacherkollege Xavi Simons, der zwar erneut nur ausgeliehen wurde, aber dessen Rückkehr wie die eines Heilsbringers gefeiert wurde. Doch der 21-Jährige hatte durch den Halbfinaleinzug mit den Niederlanden bei der EM nur wenig Urlaub und keine Vorbereitung und wirkt gerade so, als wolle er allen zeigen, dass er die Last, das RB-Spiel zu machen, auch allein schultern kann.

Ob die Saison erfolgreich wird, hängt auch davon ab, ob Xavi Simons zu mehr Klarheit in seinen Aktionen findet. Und schließlich muss Rasenballsport während der gesamten Hinrunde auf den am Kreuzband verletzten Xaver Schlager verzichten, den Herzschrittmacher, den Rose einst als "vielleicht wichtigsten Spieler" bezeichnete.