Antisemitismus-Projekte im Sport: Es fehlt an Wissen
Auch der Sport hat Probleme:Antisemitismus-Projekte: Es fehlt an Wissen
von Ralf Lorenzen
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Was ist eine politische Aussage, was ist Antisemitismus? Auch im Umfeld des Sports ist nicht allen bewusst, wo die Trennlinie verläuft.
Fans als Vorreiter: Anhänger des FC St. Pauli beziehen immer wieder Stellung, hier am vergangengen Dienstag im DFB-Pokal-Spiel gegen FC Schalke 04.
Quelle: Marcus Brandt/dpa
Als am vergangenen Montag der Meldebutton für antisemitische Vorfälle im Sport vorgestellt wurde, brachte Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus, ein Beispiel mit.
Zwischen März 2015 und Oktober 2018 seien dem Thüringer Innenministerium acht Fälle bekannt geworden, bei denen die antisemitische Beschimpfung "Juden Jena" zur Bezeichnung der Anhänger des FC Carl Zeiss Jena verwendet wurde.
In Dortmund ist ein Meldebutton für antisemitische Vorfälle vorgestellt worden. Neben der Sichtbarmachung geht es auch darum, Erkenntnisse für die Präventionsarbeit zu erhalten.31.10.2023 | 1:51 min
Nur eine davon sei als antisemitisch bewertet worden, so Steinitz. Denn: Der zuständige polizeiliche Staatsschutz habe "Juden Jena" als szenetypischen Fanbegriff und die Generalstaatsanwaltschaft Thüringens als allgemeine politische Aussage bewertet.
Schiris werden in Sachen Antisemitismus geschult
Dagegen sollten deutsche Schiedsrichter aller Ligen den Unterschied zwischen einer Beleidigung und einer Diskriminierung mittlerweile kennen. "Heute ist es Bestandteil des Aus- und Fortbildungsprogramms für die Unparteiischen, darüber zu sprechen: Wie gehen wir mit Formen der Diskriminierung um? Wie gehen wir mit Antisemitismus um?", sagte Alex Feuerherdt, Leiter Kommunikation und Medienarbeit der DFB Schiri GmbH, am Montag bei einem Podiumsgespräch im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund.
Es ist noch keine zwei Monate her, dass die Schiedsrichter Deniz Aytekin und Katrin Rafalski an gleicher Stelle die Initiative "Schiris gegen Diskriminierung" vorstellten. Sie riefen ihre mehr als 50.000 Kollegen im Land nicht nur auf, künftig noch entschlossener einzuschreiten, wenn der Fußball zum Schauplatz von Rassismus, Sexismus und Antisemitismus wird.
Sie fühlen sich hilflos und alleingelassen: Menschen aus der Jüdischen Gemeinde trauen sich angesichts der aktuellen Situation teilweise nicht mehr auf die Straße. Ein Zeichen dagegen setzt nun die Kulturszene in Hamburg.02.11.2023 | 2:31 min
Deniz Aytekin und Katrin Rafalski klären auf
Sie präsentierten auch ein gut siebenminütiges Lehrvideo, in dem gezeigt wird, wie sie dies tun können. Das Video ist in Zusammenarbeit mit dem Bildungs- und Präventionsprojekt Zusammen1 entstanden - einer Kooperation des jüdischen Sportverbandes Makkabi und des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Mit zahlreichen Pädagogischen Trainings, Workshops und Beratungen schulen die Mitarbeitenden alle Akteure des Sports darin, Antisemitismus zu erkennen und zu bekämpfen.
Antisemitismus mehr als Hakenkreuzschmierereien
Dabei geht es auch darum zu verstehen, wie tief der Antisemitismus in der Gesellschaft verankert ist. Und dass er mehr beinhaltet als Hakenkreuzschmierereien. "Es wird bagatellisiert und unter den Teppich gekehrt, weil gar nicht verstanden wird", sagt Luis Engelhardt, Leiter von Zusammen1.
Projekte wie die "Schiris gegen Diskriminierung" und "Zusammen1" wären vor 20 oder 30 Jahren nicht denkbar gewesen. Den Boden bereitet haben neben den jüdischen Sportvereinen vor allem geschichtsbewusste Fußball-Fans.
"Wir befinden uns aktuell in einer Situation, in der Antisemitismus, obwohl er ganz offenkundig geschieht, nicht hinreichend benannt wird ", so Laura Cazés von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.30.10.2023 | 6:46 min
Erst drängten sie die rechtsextremen Hooligangruppen in den Kurven zurück, dann begannen sie, die Erinnerung an Überlebende und Opfer der Shoah in ihren Klubs aufzuarbeiten.
Fans als Vorreiter
So wurden beispielsweise die jüdischen Vereinspräsidenten Kurt Landauer bei Bayern München, Eugen Salomon bei Mainz 05 und Alfred Ries bei Werder Bremen wiederentdeckt und geehrt.
Heute gibt es einen Erinnerungstag des deutschen Fußballs am 27. Januar, das Netzwerk "Nie Wieder" und Fangruppierungen, die sich explizit gegen Antisemitismus engagieren.
Alle Bemühungen, jüdisches Leben wieder sichtbarer zu machen - im Alltag, in der Kultur und im Sport - , haben durch das Massaker der Hamas am 7. Oktober und den verstärkten Antisemitismus einen Rückschlag erlitten, dessen Folgen noch nicht abzuschätzen sind. Umso wichtiger sind die schon entstandenen Ansätze, Antisemitismus im Sport entgegenzutreten.