Zehn-Punkte-Programm: Wie die Union den Turbo anwerfen will

    Zehn-Punkte-Programm:Wie die Union den Turbo anwerfen will

    von Nicole Diekmann
    |

    Hohe AfD-Umfragewerte, zerstrittene Ampel: Die Union will sich als einzige bürgerliche Partei positionieren - dazu haben CDU und CSU ein Zehn-Punkte-Programm vorgestellt.

    Man kann darüber streiten, ob es klug oder eher nicht so klug ist, als Union ein Papier mit "Agenda für Deutschland" zu überschreiben - abgekürzt also mit "AfD".
    Klar ist aber: Die Ratlosigkeit im Umgang mit der Rechtsaußenpartei AfD, die selbsternannte "Alternative für Deutschland" ist einer von zwei riesigen weißen Elefanten, die an diesem Mittag bei der gemeinsamen Pressekonferenz von CDU-Chef Friedrich Merz, dem hessischen Spitzenkandidaten Boris Rhein und Markus Söder, CSU-Chef und bayerischer Spitzenkandidat in Personalunion, im Raum stehen.

    CDU dümpelt in Umfragen vor sich hin

    Die CDU dümpelt vor sich hin. Freundlicher kann man den Umfragetrend der vergangenen Wochen nicht zusammenfassen, der sich auch im aktuellen ZDF-Politbarometer fortsetzt: 28 Prozent. Damit ist sie in der Sonntagsfrage die stärkste Partei, das schon - aber sie legt nicht zu. Stillstand.
    Und das trotz zweier gegenläufiger Dynamiken, die sich ebenfalls seit Wochen verstetigen: Die Unzufriedenheit der Bürger mit der Ampel wächst stetig. Ebenso der Balken bei der AfD. Immer mehr Wähler können sich vorstellen, bei der in Teilen rechtsextremen Partei ihr Kreuzchen zu machen.
    Realität geworden ist dieser Höhenflug am vergangenen Sonntag. Da errang erstmals ein AfD-Mann ein Landratsmandat. In Thüringen, ausgerechnet. Dort, wo der Verfassungsschutz kein Fragezeichen hinter die Verfassungstreue der AfD mehr setzt, sondern sie als gesichert rechtsextrem eingestuft hat.
    AfD-Politiker Robert Sesselmann mit Björn Höcke und Tino Crupalla
    Mit 52,8 Prozent der Stimmen gewinnt AfD-Mann Robert Sesselmann die Stichwahl ums Landratsamt. 17.06.2023 | 14:04 min

    Seitenhieb auf Ampel-Regierung

    Die CDU kann also nicht vom Dauerstreit der Ampel profitieren. Gleichzeitig zeigt ihr die AfD, dass Mobilisierung durchaus möglich ist. Die Schwäche der Ampel für sich nutzen, gleichzeitig das Erstarken der AfD bremsen, außerdem allmählich den Turbo aktivieren für die beiden Landtagswahlen Anfang Oktober, all das will die Union. Dabei soll dieses Papier helfen. Sich als Alternative zur AfD und zur Ampel gleichermaßen endlich in Umfragen spürbar zu positionieren.
    Markus Söder fasst es so zusammen:

    Braucht es jetzt eine Alternative für Deutschland? Nein, es braucht eine Lösung. Und das sind wir.

    Markus Söder, CSU-Vorsitzender

    Je unruhiger die Zeiten, desto mehr Stabilität und Sicherheit seien nötig - ein Seitenhieb auf die Ampel im Bund.

    Merz: Größter Kapitalabfluss seit Jahren

    Diese habe Wirtschaftspolitik quasi abgeschafft. Folgerichtig steht Wirtschaftspolitik neben der inneren Sicherheit - beides traditionelle Kernthemen der Unionsparteien - im Mittelpunkt des gemeinsamen Papiers: Runter mit Steuern für Normal- und Geringverdiener, Förderungen beim Erben oder Bauen von Wohneigentum, so lauten zentrale Forderungen darin. Härteres Durchgreifen gegen Clan-Kriminalität und illegale Migration, das sind grob die wichtigsten Punkte. Das soll das Signal dafür sein, wer für bürgerliche Politik steht: die Union - nicht die AfD.
    Was in 16 Jahren Unions-Regierung aufgebaut worden sei, reiße die Ampel binnen Monaten wieder ein. Merz bringt das Schlagwort "Deindustrialisierung":

    Wir haben den größten Kapitalabfluss seit 20 Jahren und die niedrigsten Kapitalzuflüsse seit 20 Jahren.

    Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender

    Und fügt hinzu: "Dafür sind vor allem die Grünen verantwortlich."

    Kritik an Merz aus eigenen Reihen

    Damit schiebt sich der zweite weiße Elefant immer weiter ins Zentrum der Pressekonferenz: Die Grünen benannte Merz bereits am vergangenen Montag als Hauptgegner der CDU. Und löste damit Streit in seiner eigenen Partei aus. Am heutigen Freitagmorgen zum Beispiel widersprach ihm CDU-Vize Andreas Jung offen im SWR:

    Natürlich ist unser ideologischer Hauptgegner die AfD.

    Andreas Jung, Vize-Vorsitzender der Unionsfraktion

    Und nicht nur er geht auf Distanz zu Friedrich Merz. Dem Vorsitzenden einer Partei, die erstens Geschlossenheit grundsätzlich zu ihrem Markenkern zählt, und die zweitens den Dauerstreit der Ampel als Hauptursache des AfD-Erfolgs erkannt haben will.

    Union steht die K-Frage bevor

    Auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther nahm diese Äußerung von Merz wieder zum Anlass, sich indirekt gegen seinen Parteichef zu wenden: "Es hilft uns nicht, wenn wir Fehler beim Heizungsgesetz dazu nutzen, die Grünen oder ein ganzes Ministerium zu diskreditieren", sagte Günther am Donnerstag den Funke-Medien.
    Friedrich Merz bei der Generaldebatte im Bundestag am 07.09.2022 in Berlin
    Bereits im vergangenen Jahr hat CDU-Chef Friedrich Merz Kanzler Olaf Scholz sowie Wirtschaftsminister Robert Habeck angegriffen. 07.09.2022 | 21:14 min
    Und lobte bei der Gelegenheit auch gleich noch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. Der nicht nur, ebenso wie Günther, zusammen mit den Grünen regiert. Sondern seinerseits auch schon mit gar nicht mal so unverhohlener Kritik an Merz aufgefallen ist und dafür von Merz in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" abgewatscht wurde.
    Es ging heute also nur vordergründig um zehn Punkte, um Landtagswahlen, um die Grünen. Über allem aber lauert die K-Frage - oder, wie man im Fall der Union wohl sagen muss: das Trauma namens K-Frage.

    Spitzenkandidat? Ungewiss.

    In zwei Jahren wird der Bundestag neu gewählt. Vor zwei Jahren kandidierte für die Union Armin Laschet, der Ausgang ist bekannt. Seiner Kandidatur vorangegangen war ein schmutziges, zähes und der Union nicht zuträgliches Gerangel zwischen Laschet und Söder. Dem Söder, der im Herbst abräumen und anschließend erneut seinen Finger heben könnte. So wie vielleicht auch Hendrik Wüst. Oder andere. Wer weiß.
    Entsprechend geschlossen standen die drei Unions-Männer heute vor der Presse, entsprechend demonstrativ. Und oft dankte man einander, lobte die jeweils anderen, schob Fragen der Journalisten zu den kritischen Punkten mit zum Lächeln gefletschten Zähnen beiseite.
    Nicole Diekmann ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin.

    Mehr Politik aus Deutschland