"Nein heißt Nein" in der EU?:Deutschland blockiert neues Sexualstrafrecht
von Florian Neuhann, Brüssel
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Die EU will härter gegen Vergewaltigung kämpfen - doch die Bundesregierung wendet sich dagegen. Justizminister Buschmann hat rechtliche Bedenken. Und wird scharf kritisiert.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat Unmut auf sich gezogen.
Quelle: AFP
Es ist gerade mal sieben Jahre her, dass in Deutschland ein Grundsatz ins Gesetz aufgenommen wurde: "Nein heißt Nein". Seitdem macht sich nicht mehr nur derjenige strafbar, der Sex mit Gewalt erzwingt.
Für eine Freiheitsstrafe zwischen 6 Monaten und 5 Jahren reicht es nun, sexuelle Handlungen gegen den "erkennbaren Willen" eines anderen vorzunehmen. Also: gegen das "Nein". Die Verschärfung des entsprechenden Paragrafen 177 im Strafgesetzbuch hatte der Bundestag damals sogar einstimmig beschlossen.
"Nein heißt Nein": In 14 EU-Staaten gilt das Prinzip bisher nicht
Sieben Jahre später könnte der Grundsatz "Nein heißt Nein" - beziehungsweise, in der europäischen Fassung "nur Ja heißt Ja" - europaweit beschlossen werden. Und damit auch in jenen EU-Ländern gelten, in denen ein Nein bisher nicht ausreicht für den Tatbestand der Vergewaltigung. Das sind in der EU aktuell immerhin 14 Staaten: von Frankreich über die Niederlande, Portugal, Italien und Österreich bis hin zu fast allen osteuropäischen Staaten (bis auf Slowenien).
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Europa will die Rechte von Vergewaltigungsopfern stärken: Das hatte vor drei Wochen sogar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihn in ihrer Rede zur Lage der Union zur Chefsache gemacht.
Doch Deutschlands FDP-Justizminister sagt Nein
Doch diesmal ist es - neben anderen Staaten - ausgerechnet die deutsche Bundesregierung, die sich gegen eine solche Verschärfung wendet. "Das ist unglaublich bitter", schimpft die Europaabgeordnete Maria Noichl (SPD). "Der Schutz von Frauen hängt damit weiter von ihrem Wohnort in Europa ab."
Ihre Kritik richtet sich an Justizminister Marco Buschmann von der FDP, dessen Ressort in der Bundesregierung für die Richtlinie zuständig ist. Und Buschmann sagt Nein zu dem entsprechenden Absatz. Es bestünden "erhebliche Zweifel" daran, dass die EU die dafür erforderliche Kompetenz zur Rechtsetzung habe, so eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber ZDFheute.
Zwar könne die EU im Bereich besonders schwerer Kriminalität Mindeststrafen vorschreiben, dies umfasse jedoch nicht die Vergewaltigung. Eine Regelung könnte daher, so die Sorge, vom Europäischen Gerichtshof gekippt werden.
Nur: Sowohl der juristische Dienst der EU-Kommission als auch die Juristen des EU-Parlaments sehen das anders. Aus ihrer Sicht hat die EU durchaus eine Gesetzgebungskompetenz - um genau diese Frage zu regeln.
Ohne das deutsche Ja wird es nichts
Ohne Deutschlands Zustimmung aber ist die erforderliche Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten in weiter Ferne - da auch andere Länder Bedenken vorbringen. Und so heißt Buschmanns Nein im Ergebnis: "Nein heißt Nein" hat auf EU-Ebene aktuell keine Chance.
"Ich kann die Entscheidung von Bundesjustizminister Buschmann nur mit Kopfschütteln und Unverständnis zur Kenntnis nehmen", sagt die SPD-Politikerin Maria Noichl.
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"Pandemie sexueller Gewalt"
Die irische Europaabgeordnete Frances Fitzgerald, stellvertretende Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion und eine der Verhandlungsführerinnen, zeigt sich gegenüber ZDFheute kämpferisch: Der Tatbestand der Vergewaltigung sei für das Europaparlament der Kern der neuen Richtlinie.
"Ich fordere Herrn Buschmann auf, angesichts einer Pandemie von sexueller Gewalt seine Position zu überdenken!" Würde Deutschland zustimmen, dann würde eine ausreichende Zahl von andere Staaten folgen, meint Fitzgerald.
EU verhandelt im November weiter
Eine Verhandlung in dieser Woche zwischen Parlament und Rat brachte allerdings keine Annäherung. Für den 14. November ist die vorläufig letzte Verhandlung angesetzt. An seinem Nein will Justizminister Buschmann derzeit offenbar nicht rütteln.
Florian Neuhann ist Korrespondent im ZDF-Studio in Brüssel.
Der diesjährige Welttag der sexuellen Gesundheit dreht sich um die Frage, wann Handlungen einvernehmlich sind. Aktuelle Skandale zeigen, wie viel Klärungsbedarf besteht.