Experte: Zweifel, ob Ukraine "Krim zurückerobern muss"
Experte zu Tschonhar-Brücke:Zweifel, ob Ukraine "Krim zurückerobern muss"
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Die Tschonhar-Brücke, die die vom Kreml annektierte Krim mit der besetzten Region Cherson verbindet, ist beschädigt worden. Militärexperte Lange über mögliche Folgen für den Krieg.
Die Tschonhar-Brücke, eine der wenigen Verbindungen zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim und der russisch besetzten Region Cherson in der Südukraine, ist beschädigt worden. Wie Militärexperte Nico Lange erklärt, könnte das Moskau vor Probleme stellen:
"Wenn es der Ukraine gelingt, die Eisenbahnlinien, die Brücken der russischen Seite nicht mehr zugänglich zu machen, dann werden die Truppen Probleme kriegen mit dem Nachschub", sagt Lange im ZDF-Interview. Das habe schon im Norden von Kiew und bei Cherson zum Erfolg geführt. "Mir scheint, die Ukrainer versuchen jetzt eine ähnliche Vorgehensweise", sagt der Militärexperte.
Lange: Ukraine stoppt Nachschub für russische Truppen
Die Ukraine sei gut darin, die Logistik der Russen zu schwächen, sagt Lange. Der Nachschub für die russischen Truppen im Süden der Ukraine komme zu einem großen Teil von der Krim. Die ukrainischen Angriffe richteten sich deshalb gezielt gegen diese Logistik, um die eigene Gegenoffensive zu vereinfachen.
Der Militärexperte bezweifelt zudem, "ob denn die Ukraine im streng militärischen Sinne die Krim zurückerobern muss".
Quelle: Tobias Koch
... arbeitet für die Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Von 2004 bis 2006 forschte und lehrte er in St. Petersburg. Später leitete er die Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine und in den USA. Von 2019 bis 2022 war er Leiter des Leitungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung.
In den vergangenen Monaten kam es häufig zu Angriffen auf Brücken-Verbindungen. Im Oktober 2022 hatte eine Explosion die Brücke von Kertsch - die einzige Brücke, die die Krim direkt mit Russland verbindet - schwer beschädigt.
Der aktuelle Vorfall bei Tschonhar ereignete sich in der Nacht zum Donnerstag inmitten der ukrainischen Gegenoffensive zur Rückeroberung von der durch Russland besetzten Gebiete.
Kiew meldet Erfolge bei Gegenoffensive
Während Kiew bei seiner Gegenoffensive bereits erste Erfolge gemeldet hatte, sprach Moskau am Donnerstag von "bedeutenden Verlusten" auf ukrainischer Seite. Der von Russland eingesetzte Gouverneur der Krim, Sergej Aksjonow, bestätigte allerdings, dass die Tschonhar-Brücke zwischen der Krim und der südukrainischen Region Cherson in der Nacht getroffen worden sei. Es habe keine Opfer gegeben.
Die von Moskau eingesetzten Behörden in Cherson sprachen von mehreren beschädigten Brücken. Die Kiewer Streitkräfte hätten "zivile Infrastrukturen bombardiert", erklärte Gouverneur Wladimir Saldo. Dabei seien wahrscheinlich britische Langstrecken-Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow zum Einsatz gekommen, behauptete er.
Schoigu: Ukraine gruppiert sich neu
Nach russischen Angaben habe die ukrainische Armee ihre Vorstöße zuletzt wieder zurückgefahren. "Nachdem der Feind in den vergangenen 16 Tagen aktiv Kampfhandlungen vorgenommen und dabei bedeutende Verluste erlitten hat, hat er seine Aktivitäten reduziert und ist dabei, sich neu zu gruppieren", sagte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
Zerstörungen prägen nicht nur die Region um den Kachowka-Stausee. Nun hat eine Geberkonferenz in London der Ukraine milliardenschwere Unterstützung für den Wiederaufbau zugesagt.22.06.2023 | 2:17 min
Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal zeigte sich mit Blick auf die laufende Gegenoffensive dagegen optimistisch und mahnte zur Geduld.
Schmyhal ergänzte: "Leider haben die Russen sich während unserer Vorbereitungszeit ebenfalls vorbereitet, daher gibt es viele Minenfelder, die das Vorankommen verlangsamen".
Putin: Kiews Streitkräfte noch "nicht erschöpft"
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte die ukrainische Gegenoffensive in der vergangenen Woche wiederholt als Misserfolg bezeichnet. Bei einem Treffen mit seinem Sicherheitsrat räumte er allerdings ein, dass Kiews Streitkräfte über "Offensivpotenzial" verfügten, das noch "nicht erschöpft" sei. Kiew verfüge noch über eine "Reihe strategischer Reserven".
Das Warten auf westliche Waffenlieferungen habe Russland Zeit gegeben, "sich einzugraben und die Gegend zu verminen", deshalb sei das Vorrücken "nur sehr langsam" möglich, so ZDF-Reporterin Alica Jung.16.06.2023 | 2:48 min
Das Vorankommen der ukrainischen Gegenoffensive sei langsamer als ursprünglich angenommen, bekräftigt Experte Nico Lange. Die Kombination aus Minenfeldern und gleichzeitig der Gefahr durch Luftangriffe durch russische Hubschrauber verlangsame die ukrainischen Angriffe.
Dennoch habe die Ukraine im Vergleich zum Vorankommen Russlands bei Bachmut "in viel kürzerer Zeit schon ein Mehrfaches" seines Territoriums zurückgewonnen. Kiew müsse seine Truppen schützen, "deswegen geht es jetzt nur langsam und methodisch und vorsichtig voran". "Da wird es jetzt keine schnellen Durchbrüche geben, sondern wenn, dann nur kleine Fortschritte", schätzt Nico Lange.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.