Nach Hinrichtung von Sharmahd: "Mullah-Gegner in Gefahr"

    Nach Hinrichtung von Sharmahd:"Mullah-Gegner sind überall in Gefahr"

    Ninve Ermagan
    von Ninve Ermagan
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    Nach der Hinrichtung des Deutsch-Iraners Djamshid Sharmahd im Iran kritisieren Experten die Bundesregierung - und erklären die möglichen Konsequenzen für Regimekritiker weltweit.

    Protestanten mit seinem Bild
    Wegen Terror-Vorwürfen ist der Deutsch-Iraner im Iran hingerichtet worden. Aus Deutschland kam deshalb scharfe Kritik, die der Iran ebenso scharf zurückwies.29.10.2024 | 1:31 min
    Vor mehr als vier Jahren entführte der iranische Geheimdienst den deutsch-iranischen Doppelstaatsbürger Djamshid Sharmahd in Dubai und verschleppte ihn nach Teheran. Im Frühjahr 2023 wurde er zum Tode verurteilt, am Montag trotz internationaler Kritik an dem Todesurteil wegen "Korruption auf Erden" hingerichtet.
    Die Bundesregierung verurteilte die Hinrichtung scharf. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem Skandal. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte, die Tötung "zeigt erneut, was für ein menschenverachtendes Regime in Teheran herrscht". Teheran sei immer wieder unmissverständlich klargemacht worden, "dass die Hinrichtung eines deutschen Staatsangehörigen schwerwiegende Folgen haben wird".
    Doch hat die Regierung vorher genug für seine Freilassung getan? Und wie steht es um weitere deutsche Staatsbürger, die im Iran in Haft sind?

    Kritik am Engagement der Bundesregierung

    Die Terrorismusexpertin Rebecca Schönenbach kritisiert im Interview mit ZDFheute das Verhalten der Bundesregierung: "Seit dem Todesurteil haben wir gefordert, den iranischen Botschafter auszuweisen, Airlines die Landeerlaubnis zu entziehen und den Zahlungsverkehr zu stoppen - aber die Bundesregierung hat keine wirkungsvolle Verhandlungsposition eingenommen."
    Trotz der bestehenden Sanktionen konnten iranische Banken und Airlines weiterhin operieren, und nicht einmal die Revolutionsgarden wurden auf die Terrorliste gesetzt, bemängelt die Expertin. "Das Regime hat alles bekommen, was es wollte."
    Protestierende stehen vor der Botschaft der Islamischen Republik Iran nach der Hinrichtung des Deutsch-Iraners Djamshid Sharmahd.
    Das Auswärtige Amt hat nach der Hinrichtung des Deutsch-Iraners Sharmahd den Leiter der iranischen Botschaft einbestellt. Kanzler Scholz kritisierte die Hinrichtung als Skandal.29.10.2024 | 0:24 min

    Expertin: "Die Geiselpolitik wird sich weiter ausbreiten"

    Schönenbach warnt, das Urteil gegen Sharmahd sende ein klares Signal an alle Regimekritiker: "Sie sind jederzeit und überall in Gefahr" und erhalten keinen Schutz von der Bundesregierung. "Die Geiselpolitik, die wir derzeit von Iran, Russland und China erleben, wird sich weiter ausbreiten."

    Das bedeutet, dass alle, die sich politisch äußern - unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft - in jedem Land in Gefahr sind, wenn ihre eigenen Regierungen sie nicht verteidigen.

    Rebecca Schönenbach, Terrorismusexpertin

    Auch die Menschenrechtsaktivistin Mina Ahadi bestätigt diesen Eindruck gegenüber ZDFheute. Sie erinnert an die Freilassung zweier deutscher Journalisten im Jahr 2011, für die der damalige Außenminister Guido Westerwelle persönlich nach Teheran geflogen war, um sie mit einem Regierungsflugzeug zurückzuholen. Solches Engagement habe in den letzten Jahren jedoch stark nachgelassen.
    Das Urteil gegen Sharmahd beunruhigt auch kritische Exil-Iraner wie Ahadi, die in ihrem Heimatland als "Terroristin" gilt. "Neben Morddrohungen gegen mich und meine Kinder habe ich bereits mehrere Cyber-Attacken erlebt."

    Auch habe ich Nachrichten erhalten, in denen angedroht wurde, man wolle mich entführen und ermorden.

    Mina Ahadi, Menschenrechtsaktivistin

    SGS GAA
    Bundeskanzler Scholz hat die Hinrichtung des Deutsch-Iraners Djamshid Sharmahd scharf verurteilt. ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa bewertet aus Teheran die Auswirkungen auf die deutsch-iranischen Beziehungen.29.10.2024 | 1:28 min

    Weitere deutsche Staatsbürger in Teheran gefangen

    Die 69-jährige Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi ist neben Jamshid Sharmahd die bekannteste Deutsche, die im Iran festgehalten wird. Laut der Hilfsorganisation "Hawar" werden mindestens zwei weitere deutsche Staatsbürger, deren Namen nicht bekannt sind, gefangen gehalten.
    Post von Mariam Claren, Tochter von Taghavi
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    In der Vergangenheit gab es bereits Deals zwischen EU-Ländern und dem Mullah-Regime. So wurde im Mai 2023 der im Iran verurteilte belgische Entwicklungshelfer Olivier Vandecasteele im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigelassen. Im Gegenzug wurde der wegen Terrorvorwürfen verurteilte iranische Diplomat Assadolah Assadi, der im Jahr 2018 in Paris einen Terroranschlag geplant haben soll, in den Iran überstellt. Daraufhin kam es zur Freilassung weiterer europäischer Geiseln - deutsche Staatsbürger waren jedoch nicht darunter.

    Amnesty: Geiselnahmen haben im Iran System

    Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht davon, dass Geiselnahmen im Iran "Teil eines systematischen Vorgehens" sind. "Seit Jahren nehmen iranische Behörden ausländische und Doppelstaatsangehörige unter dem Vorwurf angeblicher Gefährdung der nationalen Sicherheit ins Visier", erklärt Amnesty. Westliche Diplomaten warnten seit Langem davor, "dass Teheran diese Fälle gezielt nutzt, um Druck auf europäische Regierungen auszuüben, insbesondere um eigene Staatsbürger aus europäischen Gefängnissen freizubekommen".
    Terrorismusexpertin Schönenbach spricht im Fall des iranischen Diplomaten Assadi von einem "kompletten Versagen" Deutschlands, sowohl mit Blick auf eine mögliche Freilassung von Jamshid Sharmahd als auch von Nahid Taghavi. Dabei wurde Assadi ursprünglich von der deutschen Polizei festgenommen und nach Belgien überstellt.

    Deutschland hätte jedes Recht gehabt, ihre Geiseln in diesen Deal einzubringen.

    Rebecca Schönenbach, Terrorismusexpertin

    Auch bei einem weiteren Austausch zwischen Schweden und Iran im Juni 2024, bei dem zwei schwedische Staatsbürger im Gegenzug für den Iraner Hamid Nouri - einem verurteilten Kriegsverbrecher - freigelassen wurden, wurde versäumt, deutsche Geiseln einzubinden.
    Ein Plakat ist in der Nähe iranischer Menschen zu sehen, die vor dem Außenministerium in Brüssel, Belgien, protestieren, 18. Januar 2023
    Demonstranten wurden im Iran hingerichtet. Einer von ihnen war Mohammad Ghobadlou, der an den Protesten 2022 teilnahm.24.01.2024 | 2:11 min
    Für die iranische Community entsteht nach Ansicht Schönenbachs der fatale Eindruck, dass "sogenannte Biodeutsche oder Biobelgier bevorzugt behandelt werden, während bei Doppelstaatsbürgern wie Taghavi oder Sharmahd weggeschaut wird." Das Regime argumentiert, dass diese Personen Iraner seien und deshalb kein Recht auf konsularische Betreuung hätten. Die Terrorismusexpertin entgegnet:

    Es sind aber europäische Staatsbürger, und die EU muss diese Handhabung nicht akzeptieren.

    Rebecca Schönenbach, Terrorismusexpertin

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