Fachrat: So wird Deutschland unabhängig von Erdgas
Zehn-Schritte-Plan von Experten:So wird Deutschland unabhängig von Gas
von Elisa Miebach
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Ein Fachrat stellt zehn Schritte für eine drastische Senkung von Erdgas vor. Das werde sich auszahlen, so die Experten. Es gehe auch um Deutschlands Sicherheit.
Wie kommt Deutschland weg vom Erdgas? Dazu hat der Fachrat Energieunabhängigkeit Vorschläge vorgelegt.23.01.2024 | 1:52 min
Es sind zehn Empfehlungen für eine große Frage: Der Fachrat für Energieunabhängigkeit stellt einen konkreten Plan vor, wie die Abhängigkeit Deutschlands von Erdgas um fast 80 Prozent reduziert werden kann.
Ein Jahr lang arbeiteten die Fachleute für Technik, Wirtschaft und Finanzen an dem Bericht. Im Fokus stehen die Sektoren Gebäude und Industrie.
Weniger Gas für Deutschlands Energieversorgung
Der Rat fordert die Reduktion von Gas nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen. Erdgas macht rund ein Viertel des Energieverbrauchs Deutschlands aus - und wird fast ausschließlich aus anderen Ländern importiert. Schätzungsweise stammen immer noch rund vier Prozent des deutschen Verbrauchs aus Russland, meist transportiert über Drittländer, sagt Georg Zachmann vom Institut Bruegel gegenüber ZDFheute.
Der Großteil des Erdgases für Deutschland kommt mittlerweile aus Norwegen und den USA ebenso wie aus den Vereinigten Arabischen Emirate und Katar.
Gas aus dem Ausland einzukaufen birgt Gefahren für Deutschland
Jonathan Barth, Sprecher des Rates für Energieunabhängigkeit, warnt:
Die Attacken der Huthi-Miliz auf Schiffe im Roten Meer sorgen für Lieferengpässe. 12.01.2024 | 1:42 min
Rat: Technisch ist Energie-Unabhängigkeit Deutschlands möglich
Die technischen Lösungen, Gas zu ersetzen, seien da, so die Autoren. Es gehe nun darum, wie diese umgesetzt und finanziert werden können. Die Empfehlungen zielen nicht nur auf Förderungen des Bundes ab, sondern auch auf effiziente Investitionen von Stadtwerken, Industrie, Finanzwirtschaft und Wohnungseigentümern.
Notwendig wären laut Studie rund 526 Milliarden Euro bis 2045. Der Großteil entfällt mit 482 Milliarden Euro auf den Gebäudesektor. In der Industrie könnte bereits mit "geringen Mitteln viel erreicht werden", so die Autoren, die den Bedarf hier mit 44 Milliarden Euro angeben.
Ab 2024 sollen nach den Plänen der Bundesregierung neue Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden.19.04.2023 | 2:36 min
Studienautorin und Finanzexpertin Kristina Jeromin sagt:
Der Fachrat verweist darauf hin, dass der Bund in der Energiekrise 2022 alleine 200 Milliarden Euro eingeplant hatte, um Unternehmen und Haushalte zu unterstützen.
Der Fachrat für Energieunabhängigkeit ist ein Gremium aus acht Expertinnen und Experten für Finanzen, Wirtschaft und Technik. Dazu zählen:
Tariq Noori, Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank,
Caroline Herkströter, Finanzanwältin DLA Piper,
Kristina Jeromin, German Sustainable Finance Cluster,
Tom Krebs, Professor für Makroökonomik an der Universität Mannheim,
Frank Peter, Agora Industrie,
Martin Pehnt, Institut für Energie und Umweltforschung,
Anna Leipprand, Wuppertal Institut,
Jonathan Barth, ZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien.
Der Fachrat wird vom ZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien koordiniert und vom Climate Finance Fund finanziert.
1. Einrichtung einer Kommission für Erdgasunabhängigkeit 2. Kommunale Wärmewende-Teams und Austausch auf kommunaler, Länder- und Bundesebene 2a. Aufstockung der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze 3. Effiziente Finanzierung von Sanierungen und Heizungstausch 3a. zum Beispiel durch regionale Zweckgemeinschaften aus Energieversorgern, Stadtwerken und Immobilienbesitzern zur Bündelung von Krediten 3b. Spezielle Versicherungen etwa gegen Strompreisschwankungen einführen 4. Bürokratische Hindernisse für Sanierung und Heizungstausch abbauen 5. Staatliche Bürgschaften bei Krediten für Haushalte mit niedrigem Einkommen für Sanierung und Heizungstausch 6. Fachkräfteoffensive für die Wärmewende auch durch Umschulung in Branchen, in denen Jobs wegfallen 7. Plattform für den Wissensaustausch in der Industrie 7a. Pionier-Betriebe und Banken geben Wissen zur Finanzierung weiter 7b. Plattform unterstützt weitere Unternehmen bei Planung und beim Zugang zu Kapital 8. Klarere Standards für Finanzunternehmen, die das Risiko von neuen Investitionen zur Gasunabhängigkeit bewerten 9. Gezielte öffentliche Förderungen von mindestens 3,3 Milliarden Euro pro Jahr bis 2030 für Wärmenetze, Elektrifizierung der Industrie 9a. Fachkräfteausbildung und Unterstützung von Haushalten mit geringem Einkommen 10. Zinsvorteile bei Krediten für Investitionen in Erdgasunabhängigkeit 10a. Ermöglicht durch ein temporäres Spezial-Programm der EZB
[Anm. d. Red.: In einer früheren Version dieser Infobox war unter 9. die Rede von "Förderungen von mindestens 3,3 Millionen Euro" - richtig ist "mindestens 3,3 Milliarden Euro".]
Reaktionen aus Wohnungs- und Energiewirtschaft gemischt
Die Reaktionen auf die Vorschläge sind gemischt. Der Bundesverband der Wohnungs- und Immobilienunternehmer spricht gegenüber ZDFheute von "guten Vorschlägen", wünscht sich aber Ergänzungen.
Es würde zwar Hilfe für Wohnungsbesitzer mit geringem Einkommen vorgeschlagen, aber auch Mieter müssten mit einbezogen werden. Wie die Investitionen in Zeiten "hoher Anforderungen, Zinsen, Baupreise und Baukosten" durch die Wohnungswirtschaft allein gestemmt werden solle, sei nicht ausreichend adressiert.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) stimmt zu, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Netze, der Energieeffizienz und der Hochlauf des Wasserstoffs so schnell wie möglich vorangebracht werden müsse. Bis dahin müsse man laut Verband aber noch auf Erdgas setzen. Der deutsche Gasverbrauch lasse sich aus Sicht des BDEW derzeit noch nicht durch klimaneutrale Alternativen ersetzen.
Deutschland steckt in einem Gas-Dilemma. LNG, verflüssigtes Erdgas, soll den Wegfall der russischen Lieferungen ausgleichen. Doch die Pläne der Bundesregierung sind teuer und klimaschädlich.09.11.2023 | 28:49 min
Das Bundeswirtschaftsministerium verweist auf Anfrage auf die Schritte, die bereits unternommen wurden, um die Energiewende voranzubringen. Die Bundesregierung rechne damit, dass der Gas-Ausstieg bis 2040 gelingen könne.
Expertin sieht Chance für Industriestandort Deutschland
Die Transformationsforscherin Maja Göpel begrüßt den Bericht und verweist besonders auf die Chancen für die Industrie. Pionierunternehmen, die auf neue Lösungen ohne Gas setzten, könnten die Technologieführerschaft Deutschlands weiter sichern.
In Gesprächen sei ihr der Stolz vieler Unternehmer aufgefallen: "Wir wollen an diesem Standort für etwas stehen, wir wollen die hohe Qualität sichern und die Industrie insbesondere mit der Ingenieurskunst kann genau in diesen Bereichen natürlich zeigen, was möglich ist", so Göpel.
Elisa Miebach ist Redakteurin in der ZDF-Umweltredaktion.