Erdogan bleibt: Wie es zwischen der EU und Ankara weitergeht

    Zwischen Werten und Realpolitik:Was nach Erdogans Wahlsieg auf die EU zukommt

    Isabelle Schaefers, ZDF-Korrespondentin in Brüssel
    von Isabelle Schaefers, Brüssel
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    Die Türkei ist der älteste Beitrittskandidat der EU, doch die Verhandlungen liegen auf Eis. Die gegenseitige Abhängigkeit ist groß - und wird eher noch wachsen.

    Der türkische Präsident Erdogan vor einer europäischen Flagge. (Archivbild)
    Nach dem Wahlsieg des türkischen Präsidenten Erdogan will die EU die Beziehung mit Ankara verbessern. (Archivbild)
    Quelle: imago/photothek

    Einer der ersten Gratulations-Tweets überhaupt war auch der herzlichste aus der EU: Viktor Orban, der ungarische Premier postet ein Foto von sich und Erdogan, nennt den Sieg unbestreitbar. Die anderen hielten sich bis zum späten Abend zurück. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bleibt auch inhaltlich zurückhaltend: Sie freue sich darauf, die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei weiter aufzubauen.
    Was dann folgt, klingt erstmal banal, zeigt aber, worum es geht:

    Es ist von strategischer Bedeutung sowohl für die EU als auch für die Türkei, diese Beziehungen voranzutreiben.

    Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission

    Und weil das so ist, hat Brüssel mit Spannung auf diese Wahl in der Türkei geschaut. Die Hoffnung war, dass ein Machtwechsel den Beziehungsstatus wieder etwas verbessern würde. Bleibt jetzt alles beim Alten?

    Wie realistisch ein EU-Beitritt der Türkei ist

    Die Türkei ist der älteste Beitrittskandidat der EU. Es gab Phasen, da befand sich das Land vielleicht nicht auf einem schnellen, aber doch realistischen Weg in die EU. Seit einiger Zeit allerdings liegen die Verhandlungen auf Eis. "Es gibt keine richtige Türkei-Politik in der EU. Die Hoffnung war sehr naiv, dass es zu einem politischen Wechsel kommen könnte, der es einfacher macht", sagt Kristian Brakel von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
    Dass der Beitrittsprozess mit dem türkischen Präsidenten Erdogan wieder ins Rollen kommen wird, das glaubt kaum jemand in Brüssel. "Wirtschaftlich hätte die Türkei durchaus ein Interesse an einem Beitritt - die EU ist der wichtigste Handelspartner für die Türkei", so Brakel.

    Aber Erdogan ist nicht bereit, dafür innenpolitisch etwas zu verändern. Und die EU hat es nie verstanden, daraus etwas zu machen.

    Kristian Brakel, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    EU-Flüchtlingsabkommen mit Türkei auf dem Prüfstand

    Eines der wichtigsten gemeinsamen Dossiers der letzten Jahre zeigt, wie sehr auch die EU die Türkei braucht: Das Flüchtlingsabkommen soll die EU-Migrationskrise entschärfen. Dass das nicht gelingt, liegt zunächst mal an der fehlenden Asylreform innerhalb der EU.
    Aber auch in der Türkei zeichnet sich ein Scheitern des Abkommens ab: Sowohl Erdogan als auch die Opposition haben im Wahlkampf angekündigt, mit dem Regime in Syrien verhandeln zu wollen. Aber wenn Flüchtlinge nach Syrien zurückgeschickt würden, dann stellt das den Flüchtlingsdeal in Frage.

    Die Grundlage des Deals ist ja, dass Geflüchtete nicht in die EU kommen dürfen, weil sie in der Türkei in einem sicheren Aufnahmeland sind.

    Kristian Brakel, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    Ankara will zwischen Russland und Ukraine vermitteln

    Die Türkei spielt in den Beziehungen zu Russland eine ambivalente Rolle. Die Türkei unterstützt die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht. Gleichzeitig tritt Ankara aber als Vermittler auf - etwa im Getreidedeal zwischen der Ukraine und Russland. "Der Kontakt, den Putin und Erdogan haben, das ist ein persönlicher Kontakt. Mit jemand anderem an der Spitze würden dezidierte Kanäle zu den Russen wegfallen", so Kristian Brakel.
    Was nach einem Machtwechsel ziemlich sicher stattgefunden hätte: "Ein ganz klares Bekenntnis zur Westbindung. Es gibt zwar auch bei der Opposition die Einsicht, dass man sich nicht völlig von Russland frei machen kann. Aber ein Bekenntnis zu Nato und EU als strategische Partner hätte es gegeben." Eine solche klare Neuausrichtung wird es von Erdogan nicht geben.

    Ringen um Nato-Beitritt Schwedens

    Dennoch hoffen nun alle, dass Erdogan nach der Wahl zumindest in einigen Punkten einlenkt - wie etwa beim Nato-Beitritt Schwedens. Ob die Türkei den Weg zum Beitritt Schwedens wie vermutet jetzt wirklich freimacht, ist aber unklar. "Da ist der psychologische Faktor, dass Erdogan ernst genommen werden will. Aber ich würde schon sagen, dass sich etwas tun wird", so Kristian Brakel.
    Das Ziel der Allianz: möglichst schon zum NATO-Gipfel in Vilnius soll Schweden aufgenommen werden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg jedenfalls verweist in seinem Glückwunsch-Tweet an Erdogan gleich auf die gemeinsame Arbeit in der Nato und die Vorbereitungen auf den Gipfel im Juli.

    Erdogan als internationaler Player

    Diese Woche trifft sich in Moldau die so genannten Europäische Politische Gemeinschaft. Neben den 27 EU-Mitgliedern ist etwa auch die Ukraine dabei - und die Türkei. Mit dem Wahlsieg im Rücken ist anzunehmen, dass Erdogan selbst kommen wird.

    Für Erdogan ist es wichtig, dass er in der eigenen Bevölkerung als ein Regierungschef gesehen wird, der sich auf Augenhöhe mit den anderen europäischen Regierungschefs trifft.

    Kristian Brakel, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    Eine erste Gelegenheit also für die EU-Chefs, dem alten und neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren. Und eine Ahnung zu entwickeln, in welche Richtung die Beziehung zwischen Brüssel und Ankara sich bewegt. Aber klar ist wohl allen: "Erdogan wird Erdogan bleiben", wie Kristian Brakel es formuliert.
    ZDFheute live: Was kommt nach Erdogans Wahlsieg?
    Wahlsieger Erdoğan schlägt aggressive Töne gegen westliche Medien, Opposition sowie Schwule, Lesben und Transsexuelle an. ZDFheute live ordnet ein, womit jetzt zu rechnen ist.29.05.2023 | 36:07 min

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