Schwerer Start für Tusk: Wie Polens PiS an der Macht festhält

    Interview

    Experte zu Tusks schwerem Start:Wie die PiS in Polen an der Macht festhält

    |

    Polens neuer Ministerpräsident Tusk will die Rechtsstaatlichkeit wieder aufbauen, beginnend beim Rundfunk. Die abgewählte PiS will - und kann - das blockieren. Was sind die Folgen?

    Polens neuer Ministerpräsident Donald Tusk kommt gerade beim Büro des ukrainischen Präsidenten an
    Kein einfacher Start für Polens neuen Ministerpräsidenten Donald Tusk.
    Quelle: AP

    Polens neue liberale Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk ist angetreten, um das Land nach acht Jahren nationalkonservativer PiS-Regierung und Abbau der Rechtsstaatlichkeit wieder zurückzubauen. Dazu wurde als eine der ersten Maßnahmen der öffentlich-rechtliche Rundfunk - acht Jahre lang zum Propaganda-Sprachrohr der PiS geworden - angegangen. Die alten Chefs und die meisten Journalisten mussten gehen.
    Das polnische Verfassungsgericht hält diese Maßnahmen für verfassungswidrig. Doch der Kulturminister erkennt diese Entscheidung nicht an. Parallel dazu kann Präsident Duda - PiS-nah - jedes Gesetz der neuen Regierung per Veto blockieren.
    Im Interview gibt Prof. Franz Mayer eine Einschätzung zu dem Streit und erklärt, wie die neue Regierung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Polen wieder herstellen will.

    Prof. Dr. Franz C. Mayer
    … lehrt an der Universität Bielefeld Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht. Unter anderem unterrichtet er jährlich im Rahmen einer Gastprofessur an der Universität Warschau.

    ZDFheute: Herr Professor Mayer, Polens Kulturminister akzeptiert das Urteil des Verfassungsgerichts nicht. Ist das eine Staatskrise?
    Prof. Franz Mayer: Nein, der polnische Staat ist stabil, aber es ist die Fortsetzung der Rechtsstaatskrise, die die PiS ausgelöst hat. Es geht ja genau gesehen nicht um den Rechtsstaat, sondern eben um die Frage, wie man in der Demokratie die Macht weitergibt. Die PiS wollte die Macht so sichern, dass sie möglichst nicht mehr herausgegeben werden muss, indem sie die unabhängigen Instanzen, Gerichte und Medien unter ihre Kontrolle gebracht hat.
    Und nun haben wir ein Rechtsstaatsparadox, weil wir die Unabhängigkeit, die ursprünglich bestand, wiederherstellen wollen und das geht wiederum nur, indem man auf diese unabhängigen Institutionen einwirkt.

    Es sieht also zunächst so aus, als tue man dasselbe, wie die PiS es getan hat, aber in Wahrheit ist das Ziel gerade, Unabhängigkeit wiederherstellen, den Normalzustand, den demokratischen und rechtsstaatlichen Normalzustand wiederherstellen.

    Prof. Dr. Franz Mayer

    Anhänger der PiS-Partei protestieren gegen die Reform der öffentlich-rechtlichen Medien in Polen.
    Die neue polnische Regierung unter Donald Tusk will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu strukturieren.12.01.2024 | 2:34 min
    ZDFheute: Wie schätzen Sie das polnische Verfassungsgericht und seine Legitimierung ein?
    Mayer: Das polnische Verfassungsgericht kann als Verfassungsgericht nicht mehr ernst genommen werden. Es ist mehrfach durch objektive Instanzen festgehalten worden, dass die Zusammensetzung und die Politisierung nicht mehr rechtfertigen, von einem Gericht zu sprechen. Das ist sogar vom Präsidenten unseres Bundesverfassungsgerichts geäußert worden. Das ist ein ganz ungewöhnlicher Vorgang, dass die Karlsruher Richter sich so dezidiert äußern.
    Es ist ein Gericht, das nicht ordentlich zusammengesetzt ist und das politisiert ist. Das ist der Sache nach ein Sprachrohr des Machthabers der PiS, von Herrn Kaczynski.
    ZDFheute: 2015 ist die PiS nach ihrem Wahlsieg an TVP rangegangen, hat sehr schnell 2016, 2017, die Justizreform durchgesetzt, das Verfassungsgericht als eines der ersten auf Linie gebracht. Jetzt wirkt es ebenfalls sehr radikal. Tut die jetzige Regierung genau das Gleiche, was die PiS vor acht Jahren getan hat?
    Mayer: Es mag so scheinen auf den ersten Blick, als tue die gegenwärtige Regierung genau das Gleiche wie die PiS-Regierung 2015. Aber wenn man näher hinschaut, ist es natürlich eine Reaktion auf diesen ursprünglichen groben Demokratieverstoß, die Spielregeln, die das demokratische Miteinander anleiten, so zu verbiegen und zu verletzen, dass sie nur einem selbst nützen. Das hat die PiS gemacht. Und von daher ist das, was jetzt passiert: Reaktion. Es ist sozusagen ein Reset des Systems.
    Anhänger der PiS-Partei protestieren gegen die Entlassung der Führung des Staatssenders
    Die neue Regierung Tusk setzt die Führung des Staatsfernsehen ab. Sie soll von der ehemalige Regierungspartei PIS gelenkt worden sein. 21.12.2023 | 1:35 min
    ZDFheute: Wer kontrolliert denn die aktuelle Regierung bei diesem Rückbau Polens? Welche Instanz, wenn das Verfassungsgericht nicht mal ernst zu nehmen ist?
    Mayer: Man könnte sich sorgen, dass in Polen, nachdem die kontrollierenden Instanzen beschädigt sind und erst wieder hergestellt werden müssen, derzeit gar keine Kontrolle mehr besteht. Aber tatsächlich ist es für alle Mitgliedstaaten in der Europäischen Union so, dass die europäische Integration dafür gesorgt hat, dass ein weiterer, europäischer Verfassungs-Rahmen für das demokratische und das rechtsstaatliche Miteinander besteht.
    ZDFheute: Die PiS klebt an der Macht, wie soll es weitergehen?
    Mayer: Wir können in Polen beobachten, dass die Preisgabe der Macht nicht selbstverständlich ist. In diesem Kontext muss man die Vorgänge der letzten Wochen stellen, wenn etwa der Präsident sich überhaupt nicht zurücknimmt um die Entscheidungen der neuen Regierung zu respektieren.
    Womöglich ist der nüchterne Befund dann doch: Endgültig klären wird sich die Situation vielleicht erst in 18 Monaten, wenn die Amtszeit des gegenwärtigen Präsidenten ausläuft. Oder der Präsident hat doch noch ein Einsehen und respektiert das demokratische Mehrheitsvotum, das ja hinter dem Machtwechsel steht und das den friedlichen Übergang der Macht will.
    Das Interview führte Natalie Steger, ZDF-Korrespondentin in Warschau.

    Verhältnis zwischen Polen und EU
    :Wird mit Donald Tusk nun alles besser?

    Kaum vereidigt, reist Donald Tusk zum EU-Gipfel nach Brüssel. Was mit Polens Premier leichter wird - und was nicht.
    Gunnar Krüger, Brüssel
    Donald Tusk

    Mehr zu Donald Tusk und Polen