"Die Streitrepublik": Der Zoff zum Tag der Einheit
"Die Streitrepublik":Der Zoff zum Tag der Einheit
von Peter Kunz
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In Deutschland geht es derzeit oft ans Eingemachte: Migration, Inflation, Populismus, Klima und Heizung. Aushalten müssen wir vieles. Ohne Schaum vor dem Mund.
Dass Streiten ohne Schaum vor dem Mund geht, zeigen die vier Protagonisten in der "Streitrepublik 2", der Doku von Melanie Haack und Peter Kunz zum Tag der Deutschen Einheit.03.10.2023 | 29:03 min
Treffen sich vier Deutsche zum 3. Oktober: Die Geschichte wäre schnell zu Ende erzählt, wenn das Quartett einer Meinung wäre. Aber den Eindruck lassen Rebecca und Vater Heiko Braun, Kris Schnappertz und seine Mutter Christiane von Gierke nicht lange stehen.
Zwei Sofas - darauf sitzen zwei aus dem Osten Deutschlands und zwei aus dem Westen. Heiko Braun ist ein AfD-Protestwähler aus Thüringen, Kris Schnappertz AfD-Funktionär in Nordrhein-Westfalen. Christiane von Gierke saß mal im Bundesvorstand der Grünen und Wendekind Rebecca Braun hat von den etablierten Parteien die Nase voll.
Der Niedriglohnsektor im Osten ist auch 33 Jahre nach der Wiedervereinigung deutlich größer als im Westen. Linken-Fraktionschef Bartsch fordert jetzt einen Ostdeutschland-Gipfel.
mit Video
"Rechtsaußen nicht zu akzeptieren"
Der AfD-Vertreter hat rechts Platz genommen. "Rechtsaußen", scherzt Heiko Braun. Spaßig gemeint, aber von Kris Schnappertz Mutter folgt gleich eine ernsthafte Begriffsklärung:
"Für mich ist Rechtsaußen ganz rechtsradikal und nicht zu akzeptieren in der Gesellschaft", definiert Christiane von Gierke ihre rote Linie auch gegenüber dem eigenen Sohn. Den Moment, wo Blut vielleicht nicht mehr dicker als Wasser sei.
Deutschland gehört auf die Couch. Krisen und Krieg ziehen Gräben bis in Familien hinein. Der Film schaut in die Wohnzimmer der "Streitrepublik" - wo Meinungen auch sehr wehtun können.24.08.2023 | 44:33 min
Demokratie: "Auch dieses System hat Ecken und Kanten"
"Ihr zwei seid so eine Gegensatzfamilie. Bei uns gibt es auch mal Streit, aber nicht so krasse Gegensätze", stellt Heiko Braun fest. Es ist das erste Mal, dass die Vier sich leibhaftig begegnen, obwohl sie alle schon im ersten Teil der Dokumentation "Streitrepublik" im August ihr Leben ausgebreitet hatten.
Heiko Braun, der gelernte Maschinenbauer aus dem kleinen Ort Thal, hadert fast 34 Jahre nach dem Fall der Mauer mit der Politik und der Gesellschaft in Deutschland: "Alles wird dem Geld untergeordnet. Ich sehe jetzt, dass auch dieses System Ecken und Kanten hat. Und das Volk wird nicht mehr gehört."
Sehen Sie die Dokumentation "Die Streitrepublik - der nächste Zoff" jetzt schon vorab oben im Video oder am 3. Oktober 2023 um 12.00 Uhr im ZDF.
Seine Konsequenz ist klar, und so erklärt er sich auch die hohen Umfragewerte für die AfD im Osten:
Die AfD befindet sich im Umfragehoch. Die in Teilen rechtsextreme Partei bezeichnet sich selbst als bürgerlich und liberal, tatsächlich werden die Töne immer radikaler.19.09.2023 | 7:17 min
Arroganter Blick auf Ostdeutschland "ist leider hängengeblieben"
Auf dem Sofa zeigt Kris Schnappertz, der AfD-Funktionär, werbendes Verständnis für den ostdeutschen Sitznachbarn. Auch wenn er an anderer Stelle zugeben muss, nach der Wiedervereinigung nicht viel für die "Ossis" übriggehabt zu haben. "Ich war von oben herab. Arrogant. Wir haben gewonnen!"
Die Reaktion von Rebecca Braun, die in Thüringen ein kleines Heimatmuseum leitet: "Der arrogante Blick auf die Ostdeutschen ist leider hängengeblieben."
Was bedeutet Demokratie im geeinten Deutschland?
Schon im ersten Teil der Dokumentation "Die Streitrepublik" wurde das verbreitete Gefühl vieler Ostdeutscher deutlich, dass der Westen auch heute noch auf sie herabschaut und die Lebensleistungen der Bürger in den ehemals neuen Bundesländern zu wenig gewürdigt würden.
Jetzt geht es darum, was Demokratie im geeinten Deutschland bedeutet. Dass man sie aushalten und aushandeln muss, dass Streit dazu gehört. Dass es um Ehrlichkeit geht, wenn man sie verteidigen will. Dass sie auch geübt werden muss. Und dass sie Grenzen der Toleranz hat.
Streit innerhalb der AfD "goutiert der Wähler nicht"
Thüringens AfD-Landesvorsitzender Björn Höcke muss sich demnächst vor Gericht wegen des Vorwurfs verantworten, NS-Vokabular zu benutzen. Und Kris Schnappertz hat in der "Streitrepublik" Mühe, seine eigene rote Linie zu den braunen Tönen in der Partei zu ziehen.
Wegen des Vorwurfs der Verwendung von NS-Vokabular muss der Thüringer AfD-Chef vor Gericht. In Halle an der Saale hat das Landgericht die Anklage zugelassen.13.09.2023 | 2:07 min
"Das habe ich deutlich gesagt, dass ich inhaltlich andere Meinungen vertrete als er", verteidigt er sich beim Thema Höcke. "Aber ich weigere mich auch dagegen, mich von diesem oder jenem zu distanzieren. Eine Partei ist auch - nicht falsch verstehen - ein Kampfverband. Streit goutiert der Wähler nicht."
Auf dem Sofa wird deutlich, womit die AfD sich im derzeit rauen politischen Klima auch gegenüber Wählern konturieren will. Nicht die Fehler der anderen machen. Bloß nicht durch Streit in den eigenen Reihen die Zustimmung riskieren. Die eigenen Reihen schließen.
Meinung von Höcke "wirklich rechtsradikal"
Für Mutter Christiane ist die Rhetorik ihres Sohnes offenbar schwer auszuhalten. Umso klarer zieht sie beim Thema AfD und Extremismus ihre Grenze: "Unsere Familie ist selbst auch väterlicherseits verfolgt worden. Ich habe Dir gesagt, wenn Du jemals die Meinung von Höcke vertrittst, dann bist Du für mich auch wirklich rechtsradikal. Dann kann ich eigentlich unsere Diskussionsebene nicht mehr akzeptieren."
Christiane von Gierkes Großvater verlor in der Nazizeit seine Professorenstelle, weil seine Mutter eine konvertierte Jüdin war. Ihm nützte wenig, als Kritiker der Weimarer Republik und aus Angst um seine berufliche Existenz noch am Solidaritätsmarsch für Hitler teilgenommen zu haben.
Peter Kunz ist Leiter des ZDF-Landesstudios Niedersachsen.
Über Rechtsextreme, Faschisten oder Rechtspopulisten wird oft gesprochen. Aber wo ist eigentlich der Unterschied und ab wann gilt man als rechtsextrem?